© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 22/06 26. Mai 2006

Pankraz,
W.A. Mozart und die Wonnen der Aufklärung

Höhere Klippschule. Das ist der Eindruck, der den interessierten Besucher der Ausstellung "Lumières!" (Aufklärung) in der Pariser Nationalbibliothek beschleicht. Es gibt die üblichen Bilder von "den" Aufklärern, die alle über einen Leisten geschlagen werden: Voltaire neben Rousseau, Kant neben Holbach. Und in den Begleittexten die üblichen Klischees: "Befreiung vom Dunkelmännertum". "Wiege europäischen Geistes", "Ausgang des Menschen aus der selbsverschuldeten Unmündigkeit" usw. Zum Gähnen langweilig.

Selbst die Räume, die der Kritik der Aufklärung gewidmet sind, langweilen. Keine romantische Keckheit, kein irrational-stürmischer Rousseau, der schneidend mit Diderot & Co. abrechnet (der ist ja merkwürdigerweise als "Aufklärer" vereinnahmt). Statt dessen sieht man Papst Johannes Paul II., Alexander Solschenizyn, T. S. Eliot, alle mit mahnend erhobenem christlichen Zeigefinger. Der Mensch, erfahren wir, dürfe sich nicht vergöttlichen, denn das führe à la longue zu bösen Häusern, nämlich zum Holocaust.

Kein einziger feiner Einfall, kein Blick auf das Verhältnis von Aufklärung und Musik beispielsweise. Völlig ignoriert wird, daß das Zeitalter der Aufklärung gleichzeitig das Zeitalter der großen Geheimnisstiftung und der großen Geheimnistuerei war. Die Epoche wimmelte geradezu von geheimen Zirkeln jeder nur möglichen Couleur. Freimaurer, Illuminaten oder die "Societät der musikalischen Wissenschaften" in Leipzig waren ja nur die Spitze des Eisbergs. Jeder der damaligen Aufklärer war Mitglied mindestens einer Geheimgesellschaft.

Es ging keineswegs darum, sich gegen mögliche Agenten und Zensoren der absolutistischen Staatlichkeit in Sicherheit zu bringen, sondern man war sich weitgehend einig darüber, daß die Aufklärung selber faktisch eine Art geheimes Kommando-Unternehmen war und folglich der Aufklärer eine Art Geheimagent. Den klassischen Aufklä-rern ging es nicht um das Neue, sondern um das Uralte, um das "Eigentliche", dessen vergessene Regeln man freilegen und wiedergewinnen wollte. Dazu bedurfte es der Abschirmung gegen die aktuellen, im Lauf der Zeiten trübe gemachten Spiele und gegen diejenigen, die sich ihnen hingaben.

Die Sache lief im Grunde auf die uralte Lehre von der doppelten Wahrheit des Glaubens hinaus: die Weisen auf der einen Seite, das "naive" Volk auf der anderen. Keine der Seiten steht von Haus aus im "Irrtum" bzw. in der "Wahrheit", beide glauben letztlich dasselbe, nur bedarf das Volk, um glauben zu können, des Bildes, der Märchen und farbigen Erzählun-gen, während die Weisen sich mit "dem Wort an sich" beschäftigen und darin ihre Genugtuung finden.

Würde man das Volk direkt und unverziert mit dem "Wort an sich" konfrontieren. so reagierte es mit völligem Unverständnis, vielleicht sogar mit Widerspenstigkeit und Aufruhr. Jegliche Ordnung, Schule und Staat würden möglicherweise zum Einsturz gebracht, und deshalb müßten die Bilder und Storys in Ehren gehalten und über die Zeiten hinweg geduldig weitergemalt und weitererzählt werden.

Das "Wort an sich" dürfe darüber jedoch nie in Vergessenheit geraten, schon deshalb nicht, weil es zur Aufrechterhaltung der Ordnung nicht weniger nötig sei als die Bilder und Storys. Aus dem Wort als solchem flössen Gesetz und Moral, es werde benötigt, um die Bilder und Storys behutsam zu redigieren und sie so neuartigen Situationen anzupassen. Das und nichts anderes war das Anliegen der berühmtesten Aufklärer, Montesquieu, Voltaire, Kant, Lessing. Es waren überzeugte "Deisten", die sich scharf von stumpfsinnigen Materialisten wie La Mettrie oder Holbach abhoben.

Ihr gesellschaftliches Vorbild war die chinesische Mandarinengesellschaft (die besonders Voltaire so bewunderte) oder das klassische Ägypten mit seinen uralten Weisheiten und seiner Schrift, die in zwei Schreibarten aufgeteilt war: eine für die "Wissenden" (die Priester) und eine für das naive Volk, das die Bilder und Storys brauchte, um der Wahrheit näher zu kommen. Die Aufklärung wälzte sich geradezu in Chinoiserien und altägyptischen Bühnenstaffagen, und ihr Lieblingskunstwerk, in dem sie sich voll erkannte, war Mozarts "Zauberflöte".

Bei Mozart wurde doppelte Wahrheit satt geboten: hier das Volk, die putzigen Porzellanfiguren Papageno und Papagena nebst den farbenfrohen Tierfiguren und ihrem tolldreisten Treiben, da der altägyptische Tempel mit seinem feierlichen Priesterschreiten, seinen "Einweihungen" in allerlei staatserhaltende Geheimnisse. Und über allem die himmlische Musik - ein Medium, das jedem Wort, was Offenbarung der innersten Wahrheit betrifft, haushoch überlegen ist, Volk und Priester in gemeinsamem Entzücken vereinend.

Mozart, der größte Heros und die Schlüsselfigur der Aufklärung, kommt in der Pariser Ausstellung gar nicht vor, und das im Mozartjahr! Aber ist es gleich Wahnsinn, hat es doch Methode. Die Aufklärung wird uns in der Nationalbibliothek gewissermaßen als Dame ohne Unterleib verkauft, als ein strohtrockenes Kolloquium von Oberlehrern und sonstigen Rohrstockträgern, die uns mit allen Mitteln fit machen wollen für den unvermeidlichen clash of civilizations.

Haben wir das nötig? Als bewußt lebende Mitteleuropäer mit ganz spezifischen politischen und kulturellen Erfahrungen wissen wir, daß es für uns alle durchaus so etwas wie ein unveräußerliches Erbe der Aufklärung gibt, ein aufklärerisches Minimum gewissermaßen, eine eiserne Ration an Unvoreingenommenheit und wissenschaftlichem Interesse, an Liberalität und Toleranz im Umgang miteinander, welches wir uns niemals wegnehmen lassen oder gar selber wegschmeißen dürfen. Aber um das zu erinnern, muß im Augenblick niemand extra nach Paris fahren.


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