© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 22/06 26. Mai 2006

CD: Klassik
Marienmotetten
Andreas Strittmatter

De Maria numquam satis: Daß über die Mutter Gottes nie genug gesagt werden könne, zieht sich als Diktum durch die gesamte Geschichte der Marienfrömmigkeit. Und daß solche Begeisterung stets nach mehr strebte als nur nach dem Wort, versteht sich beinahe von selbst. Wem das Herz voll ist, dem geht der Mund auch singend über, unzählige kunstvolle Kompositionen zu Ehren der Heiligen Jungfrau zeugen davon genauso wie die Vielzahl an Marienliedern in der katholischen Tradition.

Mit seiner CD "Beata Vergine" hat sich der französische Countertenor Philippe Jaroussky (in zwei Fällen unterstützt von der Altistin Marie-Nicole Lemieux) zu einer Art Pilgerfahrt ins frühbarocke Italien aufgemacht. Genauer: zu einigen Komponisten venezianischer oder römischer Prägung, die ihre Kunst angelegentlich in die Verehrung der Jungfrau investierten. Die auf der CD versammelten Werke von Francesco Cavalli und Giovanni Legrenzi (um nur die beiden bekanntesten Komponisten zu erwähnen) haben allesamt intimen Charakter. Die Texte entstammen der Messe, dem Stundengebet oder den vielen - oftmals auf dem Hintergrund des alttestamentarischen Hohelieds gedichteten - Laudes zur Verherrlichung der Beata Vergine.

Die Begleitung ist klein gehalten, in der vorliegenden Aufnahme verteilen sich die sechs Protagonisten des Ensemble Artaserse auf neun Instrumente: zwei Violinen und eine Gambe, hinzu kommen Orgel und Cembalo, zwei Theorben, eine Barockgitarre und eine Lirone, ein vor allem in Italien beliebtes Streichinstrument, bei welchem der flachen Stegwölbung wegen mehrere Saiten zugleich gestrichen werden konnten. Dies alles sorgt trotz der überschaubaren Besetzung für abwechslungsreiche Farben. Putzmunter artikuliert wird obendrein, auch das Zusammenspiel mit Jaroussky geht wunderbar auf - mit feinem Ohr reagiert das Ensemble Artaserse auf die Ausgestaltung der jeweiligen Gesangslinien durch den Solisten.

Anpassung ist gefragt, denn die Motetten rücken vor allem das Wort und dessen vokale Ausformung in den Vordergrund und zeugen vom Bestreben, sowohl einer kirchlichen Mahnung wie einer profanen Tendenz in der Kunst Rechnung zu tragen: Einerseits hatte das Trienter Konzil der Kirchenmusik mehr Textverständlichkeit verordnet, andererseits wurden die Stücke auch den Postulaten des Künstler- und Philosophenkreises der Florentiner Camerata gerecht, die im einstimmigen Gesang mit sparsamer Begleitung nach Wegen suchte, um Affekte musikalisch unmittelbar formulieren zu können - wobei wiederum das Verstehen des Textes eine wesentliche Voraussetzung war. Mehr noch: Die Musik sollte - als des Wortes gehorsame Tochter - durch überhöhende Interpretation die Inhalte der Texte verdeutlichen.

Das muß keinen Verzicht auf Verzierungen, Koloraturen, Triller und improvisatorische Passagen des Sängers bedeuten - Mittel, derer sich Jaroussky souverän bedient. Wie köstlich expressive Virtuosität und Textverdeutlichung einhergehen können, läßt sich beispielswegen der Antiphon "Regina coeli laetare" von Giovanni Antonio Rigatti abhören, die mit aufjauchzenden Koloraturen und fulminanten Läufen die Freude der Gottesmutter über Jesu Auferstehung besingt, ehe die Musik plötzlich in einen sehrenden Gestus umschlägt und Maria ersucht, bei Gott für die Menschenkinder zu bitten. Im abschließenden "Alleluja" kehrt das Stück zum Gestus des Anfangs zurück, um mit einer waghalsigen Passage am Ende der Freude besonders nachhaltig Ausdruck zu verleihen. Mit seinem bei allen Höhenflügen intonationssicheren, metallisch schimmernden und zupackend beweglichen Alt ist Jaroussky eine mehr als optimale Besetzung für solchen Jubel.


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