© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 23/06 02. Juni 2006

Kleinlaute Reaktionen
Potsdam: Nach der Wende im Fall Ermyas M. beginnt die politische Aufarbeitung / Kritik am Verein "Opferperspektive"
Peter Freitag

Den Eindruck, er empfinde ein Triumphgefühl, möchte Jörg Schönbohm (CDU) auf keinen Fall entstehen lassen. "Man könnte eine Menge sagen, aber es geht hier um ein Ermittlungsverfahren. Ich sage dazu nichts", so der kurze Kommentar des brandenburgischen Innenministers, nachdem am vergangenen Dienstag die beiden Tatverdächtigen des Überfalls auf den äthiopischstämmigen Ermyas M. aus der Untersuchungshaft entlassen worden waren.

Dabei wird mittlerweile immer deutlicher, daß die Kritik des konservativen Unionspolitikers so unberechtigt und unzutreffend nicht war. Am 18. April, zwei Tage nach dem Überfall, bei dem der Ingenieur schwer verletzt worden war, hatte Generalbundesanwalt Kay Nehm die Ermittlungen an sich gezogen, denn die Tat sei "bestimmt und geeignet, die innere Sicherheit zu beeinträchtigen", und könnte Nachahmungstaten zur Folge haben.

Den beiden Verdächtigen, die am 20. April festgenommen und öffentlichkeitswirksam gefesselt und mit Augenbinden versehen per Hubschrauber zum Amtssitz der Bundesanwaltschaft in Karlsruhe verbracht worden waren, warf der oberste deutsche Strafermittler vor, den Überfall "aus Ausländerhaß und auf Grundlage einer rechtsextremistischen Gesinnung" begangen zu haben.

Drei Tage später übte der brandenburgische Innenminister Schönbohm dann seine Kritik daran, daß das Verfahren von der Potsdamer Staatsanwaltschaft abgezogen wurde; ein rechtsextremes Tatmotiv stehe nicht fest, so Schönbohm weiter, und die Behauptung einer besonderen Gefährdung der inneren Sicherheit - Begründung für das Einschreiten Nehms - nannte der Innenminister "überzogen".

Der Aufschrei ließ nicht lange auf sich warten. Landespolitiker der brandenburgischen Opposition, aber auch des Koalitionspartners SPD erregten sich über Schönbohms Äußerungen. Der Minister wolle die "rechte Gefahr" kleinreden, er beschädige außerdem die Koalition in Brandenburg sowie Ansehen und Amt des Generalbundesanwalts, so der vielstimmige Chor, dem sich auch zahlreiche Medien anschlossen. Schönbohm habe im Kampf gegen den "braunen Sumpf" versagt, vermeldete das ARD-Magazin Monitor und zog zur Beurteilung des CDU-"Hardliners" einen "Rechtsextremismus-Experten" heran.

Berufen zur finalen Abrechnung mit dem Unionskonservativen fühlte sich auch die Parteivorsitzende der Grünen, Claudia Roth: "Wenn einer Schande über Brandenburg bringt, dann wirklich Schönbohm", tat sie gegenüber den Ruhr-Nachrichten kund und schlußfolgerte: "Ich finde, es reicht. Er muß zurücktreten". Seine "Relativierung" des Übergriffs auf einen Farbigen sei "ungeheuerlich" und die Kritik an Nehm ungerechtfertigt.

Auffallend kleinlaut sind jedoch jetzt alle - Politiker wie Journalisten -, seit immer mehr Details zum Fall Ermyas M. zutage befördert werden. Demnach verdichten sich nach Auswertung der Mobiltelefon-Aufzeichnungen und Zeugenaussagen die Angaben, wonach das spätere Opfer stark alkoholisiert und aggressiv gewesen sei, außerdem mit Beleidigungen und Handgreiflichkeiten begonnen habe. Die gegen das Ermyas M. gerichtete Beleidigung "Nigger" und die anschließende Körperverletzung seien ein "zweiaktiger Geschehensablauf", das heißt sie stünden in keinem unmittelbaren Tatzusammenhang zueinander. Genau diese Vermutung hatte Schönbohm zu einem früheren Zeitpunkt geäußert, was ihm den Vorwurf der "Relativierung und Bagatellisierung" einbrachte.

Ein Wort der Entschuldigung in Richtung Schönbohm oder Selbstkritik bezüglich des eigenen Alarmismus war bisher nicht vernehmbar. Dafür mehren sich die Kommentare, nach deren Tenor der Generalbundesanwalt in diesem Verfahren keine gute Figur mache. Denn in der vergangenen Woche hob der Ermittlungsrichter beim Bundesgerichtshof die Haftbefehle gegen die Tatverdächtigen wieder auf, da die Beweislage unzureichend sei. Die Ermittlungen liegen seit letztem Freitag wieder bei der Staatsanwaltschaft in Potsdam. Einer der beiden Beschuldigten ist mittlerweile zurück in Untersuchungshaft; einziger Grund: Ein ehemaliger Mithäftling behauptete, der Verdächtige habe ihm gegenüber mit der Tat geprahlt.

Angesichts dieses Verfahrensverlaufs geben sich einige Politiker indigniert. Der brandenburgische SPD-Fraktionssprecher Florian Engels meinte: "Die Aufhebung der Haftbefehle ist nach den in der Öffentlichkeit lange Zeit dargestellten Indizien überraschend". Unangenehm ist diese "Überraschung" vor allem für den sozialdemokratischen Fraktionsvorsitzenden Günter Baaske, der sich mit Kritik an Schönbohm vorher weit vorgewagt hatte.

Unterdessen hat der brandenburgische Generalstaatsanwalt Erardo Rautenberg Kritik an dem von "aktiven Antifaschisten" gegründeten Verein "Opferperspektive e.V." geübt. Dieser betreibe eine "zuweilen leichtfertige Einordnung von Sachverhalten als rechtsextremistische oder fremdenfeindliche Taten" und operiere mit falschen Zahlen. Er verwahre sich zudem gegen den vom Verein erweckten Eindruck, seine Behörde verfolge fremdenfeindliche Taten nicht mit der gebotenen Sorgfalt.

Diese Kritik an dem mit jährlich 200.000 Euro Bundes- und Landeszuschüssen geförderten Verein teilte auch der brandenburgische CDU-Generalsekretär Sven Petke: "Die 'Opferperspektive' muß sich korrekt verhalten, sonst gefährdet sie ihre staatliche Förderung".

Sayan weist Vorwürfe zurück

Im Fall des in Berlin-Lichtenberg überfallenen und verletzten PDS-Politikers Giyasettin Sayan berichtete die Berliner Zeitung unter Berufung auf anonyme Mitglieder der Partei unterdessen von Zweifeln an dem vom gebürtigen Kurden geschilderten Tathergang samt fremdenfeindlichem Motiv (JF 22/06). So könnte er einen rechtsextremen Hintergrund nur vorgetäuscht haben, um die öffentliche Empörung über diese Tat im innerparteilichen Wahlkampf für sich zu nutzen. Hintergrund dieses Vorwurfs ist die Tatsache, daß die PDS eigentlich die ebenfalls kurdischstämmige Evrim Baba als Direktkandidatin für das Berliner Abgeordnetenhaus nominieren wollte. Damit wären Sayans Chancen auf eine Direktkandidatur gesunken.

Sowohl die PDS wie Sayan selbst wiesen solche Gerüchte als "ungeheuerlich" zurück. Am Freitag demonstrierte die Partei in Lichtenberg gegen "Rechtsextremismus und Rassismus" und erklärte sich mit dem inzwischen aus dem Krankenhaus entlassenen Sayan solidarisch.


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