© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 23/06 02. Juni 2006

Der voreingenommene Staat
Grundrechtereport: Alternativer Verfassungsschutzbericht thematisiert die Gefährdung der Freiheit durch Behörden
Anni Mursula

Ernsthafte Gefahren für unseren freiheitlichen, demokratischen Rechtsstaat mit seinen Bürger- und Menschenrechten gehen weniger von sogenannten Verfassungsfeinden und verfassungsfeindlichen Bestrebungen aus, sondern in erster Linie vom Staat und seinen Institutionen", schreiben die Herausgeber des jährlichen Grundrechtereports, der in der vergangenen Woche zum zehnten Mal veröffentlicht worden ist. Publiziert wurde der Report erstmals 1997 von den vier Organisationen Humanistische Union, Gustav-Heinemann-Initiative, Komitee für Grundrechte und Demokratie sowie Bundesarbeitskreis Kritischer Juragruppen. Seitdem hat sich der Kreis der herausgebenden Organisationen mehrfach erweitert.

Angebliche Meinungsneutralität

Der Grundrechtereport versteht sich als alternativer Verfassungsschutzbericht, der nicht die Bürger als Gefahr für die Grundrechte und damit für die Verfassung sieht, sondern den Staat. "Keine der in den Verfassungsschutzberichten genannten Personen und Organisationen hat je ernsthaft unsere Verfassung bedroht", schreibt der Mitherausgeber Till Müller-Heidelberg im Vorwort des Reports. Eine Gefahr für die freiheitliche demokratische Grundordnung, insbesondere für die Menschen- und Bürgerrechte, gehe aber permanent von den staatlichen Organen aus.

Daß der Staat nicht neutral ist, gerade weil er die alleinige Deutungshoheit über die Grundrechte übernimmt, ist nicht neu. Seit Jahren herrscht nach Ansicht des Grundrechtereports in Deutschland ein vom Verfassungsschutz gepflegtes Gebot: daß nämlich die angebliche Meinungsneutralität des Staates zu der Forderung führe, alle "extremistischen" Bestrebungen zu verbieten. Das Urteil über zulässige Meinungen fällt laut dem Report somit der Verfassungsschutz.

Diese Voreingenommenheit des Staates sei ein eindeutiger Eingriff in die freie Meinungsäußerung. Der Report weist darauf hin, daß die Meinungsfreiheit letztlich auch dann gelte, wenn die geäußerte Meinung "extrem" sei. Es gebe schließlich keine Pflicht zu verfassungskonformer Gesinnung, schreibt Elke Steven in einem der Beiträge. Auch die Humanistische Union als Mitherausgeber erinnert in ihrer Selbstdarstellung daran, daß in einer pluralistischen Gesellschaft selbst radikale Meinungsäußerungen möglich sein müssen.

Die Herausgeber des Grundrechtereports sind, wie man vermuten kann, allerdings nicht selber vollkommen neu-tral. Sie sprechen zwar Tabuthemen an wie die Einschränkung des im Grundgesetz verankerten Versammlungsrechts - welches etwa auch für Neonazis gelten müsse. Allerdings relativieren sie dies schon im nächsten Absatz. Laut dem Grundrechtereport habe der gegen die "neualten Nazis" geführte Kampf "erschreckende, demokratiewidrige Konsequenzen für diejenigen, die als Antifaschisten und Demokraten den braunen Demagogen entgegentreten".

Der Kampf gegen Rechts werde so oft auch auf diejenigen ausgeweitet, die zu Gegendemonstrationen aufriefen. "Sowohl die autoritär-demokratiefeindlichen Eingriffe in Freiheitsrechte als auch die strafrechtliche Verfolgung von Antifaschisten spielt letztlich nur der extremen Rechten in die Hände, statt sie zu bekämpfen", schreibt Steven in ihrem Beitrag. Schlimmer als die eingeschränkte Versammlungsfreiheit von Rechtsextremisten sei - so kann man den Report verstehen - die daraus angeblich resultierende Diskriminierung von Linksextremisten.

Zu den Grundrechten gehört bekanntlich auch die Pressefreiheit. Der Report nennt als Beispiel für einen Eingriff in diese den im vergangenen Jahr bekanntgewordenen Fall der Zeitschrift Cicero, deren Redaktionsträume von der Polizei durchsucht wurden. Anschließend werden drei weitere Fälle genannt: "Labournet Germany", ein Internettreffpunkt der gewerkschaftlichen Linken, die Zeitschrift anti atom aktuell und Özgür Politika, eine kurdische Zeitung. Bei allen wurden ebenfalls die Redaktionsräume durchsucht.

Diesen - bis auf Cicero - relativ unbekannten Zeitschriften und Zeitungen räumen die Autoren übrigens weit mehr Platz ein als dem aufsehenerregenden Verfahren der JUNGEN FREIHEIT vor dem Bundesverfassungsgericht. Der gewonnene Rechtsstreit der JF im vergangenen Jahr gegen ihre Erwähnung im Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen wird nur mit einem Satz in der Chronologie erwähnt. Dadurch ist bereits eine Wertung im Sinne des Weltbildes der Herausgeber vollzogen.

Ideologische Scheuklappen

Jedoch ist eine derartige Haltung der Herausgeber kaum verwunderlich. Die Humanistische Union ist, wie der Name schon sagt, eine atheistisch-linke Organisation. Zu ihren Zielen gehören unter anderem der "selbstbestimmte Schwangerschaftsabbruch", ein weitreichendes Antidiskriminierungsgesetz und das "Selbstbestimmungsrecht von Kranken und Sterbenden". In ihrem Gründungsaufruf von 1961 heißt es, daß man "die Befreiung des Menschen aus den Fesseln obrigkeitsstaatlicher und klerikaler Bindungen" anstrebe.

Ein weiterer Mitherausgeber ist die "Bundesweite Arbeitsgemeinschaft für Flüchtlinge - Pro Asyl". Diese Organisation setzt sich nach eigenen Worten dafür ein, daß in Deutschland Flüchtlinge einen verstärkten Schutz bekommen. Pro Asyl kritisiert die "zunehmenden Versuche von staatlicher Seite, Flüchtlinge auszugrenzen und zu stigmatisieren". Statt nach Lösungen zu suchen und diesen Menschen zu helfen, begegne die hiesige Gesellschaft Flüchtlingen häufig nur mit Ablehnung.

Damit ist eine anfänglich interessante Diskussion wieder in die üblichen Bahnen gelenkt worden. Es geht hier nicht mehr um Menschen- und Bürgerrechtsverletzungen in Deutschland an sich, sondern die Aufmerksamkeit ist in Wirklichkeit wieder nur auf Ausländerfragen und den Kampf gegen Rechts gerichtet worden. Somit verhindern ideologische Scheuklappen eine wahre Ächtung von in Deutschland stattfindenden ungerechtfertigten Grundrechtseingriffen.


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