© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 23/06 02. Juni 2006

Kasachisches Öl für das Reich der Mitte
Ostasien: Der unübersehbare Wiederaufstieg Chinas fördert neue Allianzen / Fragile Beziehungen zwischen Washington und Neu Delhi
Albrecht Rothacher

Zu Beginn des Irak-Kriegs konnten die USA in Asien noch auf zahlreiche Verbündete zählen: Japan und Südkorea, ja selbst die Mongolei stellten Truppen. Auch Singapur, Taiwan und die Philippinen reihten sich 2003 in die "Koalition der Willigen" ein. Aus Angst, er komme nach Saddam Hussein als nächster an die Reihe, tauchte Nordkoreas spätstalinistischer Diktator Kim Jong-il wochenlang in Bunkern an der chinesischen Grenze ab. Boykottaufrufe islamischer Gruppen gegen US-Imbißketten und Markenartikel verklangen ohne Effekt. Die Kritik des damaligen malaysischen Premiers Mahathir bin Mohamad, der den USA Staatsterrorismus und Bruch des Völkerrechtes vorwarf, störte wenig.

Drei Jahre später sind die USA so tief im Irak verstrickt, daß sie die Besetzung von Afghanistan und die Protektorate auf dem Balkan (Kosovo und Bosnien) gern der EU abtreten, vom Kongo-Einsatz ganz zu schweigen. Unschlüssig stehen sie dem Atomprogramm des Irans gegenüber, einer unbotmäßigen Mittelmacht fundamentalistischer Mullahs, deren anti-israelische Rhetorik Washington bis aufs Blut reizt.

Ungestraft warf auch Islam Karimow, der diktatorische Präsident Usbekistans, die Amerikaner aus dem Land und ließ den Luftwaffenstützpunkt Khanabad schließen, auf dem der usbekische Geheimdienst die afghanischen Taliban-Gefangenen der Amerikaner kenntnisreich foltern durfte. Jetzt müssen sie andernorts verhört werden.

Die größte Herausforderung für die USA geht allerdings von der wachsenden Regionalmacht Chinas aus. Das über 1,3 Milliarden Einwohner zählende "Reich der Mitte" sieht sich als Kontinentalmacht des asiatischen Festlands, dessen Küste von Japan bis Singapur von den mit Einkreisungsabsichten verdächtigten Amerikanern beherrscht wird, die auch Chinas Ölversorgung unschwer jederzeit kappen könnten.

Weltmachtstatus ab dem Jahr 2020

Bis zum magischen Jahr 2020 will China Weltmachtstatus erreicht und die US-Einkreisung aufgebrochen haben. Diesem Ziel dienen eine mit russischen Waffenlieferungen unternommene, aggressive Aufrüstung und Modernisierung der Volksbefreiungsarmee (vor allem der Luftwaffe und Marine), die von Raketenabschüssen begleiteten Anschlußforderungen an Taiwan (ein Problem, das ebenfalls bis 2020 bereinigt werden soll, und dann China die Kontrolle von Japans Schiffahrtslinien ermöglichte) und die Gebietsforderungen im Südchinesischen Meer.

Letztere sind gelinde gesagt maßlos: Sie umfassen die Spratly- und die Paracel-Inseln und reichen mit den indonesischen Nantunas fast bis zum Äquator. Gleichzeitig verstärkt China seinen inneren Kolonisationsdruck gegenüber Tibetern, Uighuren, Inneren Mongolen und anderen Minderheitengebieten mit dem Ziel han-chinesischer ethnischer Dominanz und der Verhinderung äußerer Einmischungen in seinem Kolonialreich. In Zentralasien setzte China massive Grenzkorrekturen zu eigenen Gunsten durch, pachtet Siedlungsraum von Kirgisien und Kasachstan und baut systematisch Pipelines zu den Ölfeldern des Kaspischen Meeres im Westen Kasachstans. Seit letzter Woche fließt nun erstmals kasachisches Rohöl durch eine der neuen Leitungen. Der Bau russischer Öl- und Gasleitungen wurde beim jüngsten Besuch von Präsident Wladimir Putin in Peking vereinbart (JF 14/06).

Gegenüber dem sich entvölkernden russischen Fernen Osten, dessen Einwohnerzahl von sechs Millionen alljährlich um 100.000 schwindet, leben in der Mandschurei auf der anderen Seiten von Amur und Ussuri 130 Millionen Chinesen. Die dortige, meist illegale chinesische Bevölkerung wird schon auf zwei Millionen geschätzt. Es ist absehbar, wann Ost-Sibirien mehrheitlich chinesisch besiedelt sein wird.

Die Länder Ost- und Südostasiens reagieren auf den chinesischen Machtzuwachs mit einer Art Schreckstarre. Die schwächeren Staaten wie Burma, Laos und Nordkorea sind längst Klientelstaaten geworden. Vietnam, Thailand und die Philippinen bemühen sich peinlichst alles zu vermeiden, was chinesischen Unmut hervorrufen könnte.

Südkorea, eigentlich (noch) mit den USA verbündet, sieht im offen ho- fierten Peking den Schlüssel zu seiner Wiedervereinigung. Ein vereintes Korea, das seine antijapanischen und antiamerikanischen Aversionen im Norden wie im Süden liebevoll pflegt, wird sich mutmaßlich an China orientieren. Allein Japan und Taiwan leisten im Verbund mit den USA noch Widerstand gegen die von China mehr oder minder erwartete Unterwerfung unter seine klassische Suzeränität. Japan wird daher mit dem gesteuerten Massenunmut und einer antijapanischen Agitation gestraft. Denn ohne den Willen des Zentralkomitees darf sich in China der Volkszorn nicht entladen.

Trilateraler Sicherheitsdialog aus Angst vor Chinas Macht

Im März machte US-Außenministerin Condoleezza Rice ihre erste Asientour. Mit den Seemächten Japan und Australien eröffnete sie einen formalisierten "Trilateralen Sicherheitsdialog". Der australische Premier John Howard behauptete, es ginge darum, gemeinsam illegale Urantransporte auf dem Luft- und Seewege nach Nordkorea zu unterbinden. Das ist nicht schwierig, denn sie kommen ohnehin über den Landweg aus China.

Tatsächlich ließ Rice bei Interviews zur Erschütterung der Australier, deren Wirtschaft von Rohstoffbestellungen aus China abhängt, die Katze aus dem Sack: Das trilaterale Bündnis solle die chinesische Außenpolitik in eine "positive Richtung" lenken. Bei ihrem Besuch in Jakarta verwendete sie sich auch dafür, daß indonesisches Öl- und Erdgas weiter an Exxon Mobil und nicht an die chinesische Konkurrenz verkauft wird, die sich bereits bei der Erschließung von Öl- und Gasfeldern vor Java und Papua stark engagiert hat.

Mit einem diplomatischen Coup punktete derweil George W. Bush bei seinem gleichzeitigen Indienbesuch. Der Präsident brach mit drei Jahrzehnten US-Politik und erkannte Indien als gleichberechtigte Atommacht an, der die USA - die Zustimmung des Kongresses vorausgesetzt - in Bälde auch ohne Kontrolle des Verwendungszwecks Atomtechnik zu liefern versprachen. Nach den Atomtests von 1974 und 1998 war ein Lieferboykott gegen Indien verhängt worden.

Der Aufstieg Chinas und die Aufrüstung des Iran muß den Washingtoner Partnern einen beängstigenden Alptraum verursacht haben, um einen so dramatischen Kurswechsel durchzuziehen. Ob der neue "Partner" Indien, der kürzlich sogar die chinesische Herrschaft über Tibet anerkannte und mit dem Iran, Burma und Syrien gute Energiegeschäfte macht, allerdings in Nibelungentreue zu den USA stehen wird, darf allerdings bezweifelt werden.

Foto: Chinesische Soldaten bei Militärparade im tibetischen Lhasa: Massive Grenzkorrekturen in Zentralasien, Pipelines zu den Ölfeldern des Kaspischen Meeres und Einwanderung


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