© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 23/06 02. Juni 2006

Es gärt im Untergrund
Schluß mit Nationalmasochismus: Matthias Matussek ist unter die Deutschen gefallen
Günter Zehm

Daß einer etwas sagt, ist manchmal wichtiger als das, was er sagt. Das gilt auch für Matthias Matussek, Feuilletonchef des Spiegel und wichtiger Exponent der sogenannten 68er-Generation, von dem soeben das Buch "Wir Deutschen. Warum uns die anderen gern haben können" erschienen ist. Es hält eine Menge Dinge fest, die sich eigentlich von selbst verstehen, die aber von den herrschenden politischen und publizistischen Gewalten bisher geleugnet wurden bzw. mit einem Tabu belegt sind. Matussek betätigt sich also als Großaufklärer in den eigenen Reihen.

Was will er aufklären, richtigstellen, zur Sprache bringen? Nun, es geht ihm vor allem um die Einsicht, daß die Deutschen ein ganz normales Volk unter anderen Völkern sind, zudem ein besonders friedliches und eifrig Kultur stiftendes, dessen Angehörige auf sich stolz sein können. Und weiter geht es ihm darum, den "Riegel" aufzubrechen, den die 68er und starke auswärtige Kräfte um die deutsche Geschichte gelegt haben, dergestalt, daß sie sie auf die zwölf Jahre nationalsozialistischer Herrschaft von 1933 bis 1945 reduzierten und all die Jahrhunderte davor und all die Jahrzehnte danach immer nur als Vor- bzw. Nach- und Aufarbeitungsgeschichte jener zwölf Jahre verstanden wissen wollten.

Wie gesagt, pure Selbstverständlichkeiten an sich, doch das Selbstverständliche gilt in unserem Land leider schon seit langem als Staatsverbrechen, als "Leugnung", als "Verharmlosung", als Ursünde und Angriff auf die heiligsten Güter. Daß dergleichen jetzt ausgerechnet von einem prominenten Vertreter des politisch-medialen Komplexes betrieben wird, macht den Fall zu einer brisanten Affäre, von ferne vergleichbar mit Martin Walsers legendärer Paulskirchenrede von 1998. Man darf gespannt sein, wie das Establishment darauf reagieren wird.

Im Falle Walsers, der wortgewaltig das Ende des nationalen In-Sack-und-Asche-Gehens forderte, gab es damals eine Art medialer Schrecksekunde, man spendete (erleichterten oder verlegenen) Beifall, aber bald danach zogen sich die Wolken über dem Schriftsteller düster zusammen. Er wurde von taz bis FAZ als "Brandstifter" und "Leugner", gar als "Krypto-Nazi mit antisemitischem Gefühlsstau" denunziert, seine öffentlichen Lesungen wurden und werden seitdem von der "Antifa" systematisch gestört oder gesprengt; wahrscheinlich nur seine große Prominenz bewahrte ihn vor noch schärferen Sanktionen.

Wird es im Falle Matussek ähnlich kommen? Sein Buch ist, im Vergleich zu Walsers Rede, etwas schwammig, es weicht notwendigen Auseinandersetzungen über Kernfragen aus und taucht die ganze Sache in eine Soße aus augenzwinkernder Ironie und versöhnlichem Feuilleton-Humor. Dennoch, die Botschaft ist der Walserschen gleich und unüberhörbar, sie lautet: Macht endlich Schluß mit dem schwachsinnigen Nationalmasochismus! Hört endlich auf, euch wie Sklaven oder resozialisierte Schwerverbrecher zu benehmen! Besinnt euch endlich wieder auf euer großartiges kulturelles Erbe und schneidet euch nicht die eigenen Wurzeln ab!

Matussek hat vor seiner Berufung auf den Chefposten im Spiegel-Feuilleton jahrelang als Auslandskorrespondent des Magazins in Amerika, Brasilien und England gelebt und bringt seine auswärtigen Erfahrungen voll in sein neues Buch ein. Er weiß, wovon er spricht, wenn er etwa die übliche Anti-Deutschen-Hetze in den britischen Medien und in der britischen Upperclass in ihrer vollen Dümmlichkeit aufleuchten läßt oder wenn er die spontane Sympathie würdigt, die die Brasilianer dem alten (und - in Maßen - dem neuen) Deutschland entgegenbringen. Und er zögert nicht, daraus seine Schlußfolgerungen zu ziehen.

Völker sind wie einzelne Menschen, zeigt er, sie haben ihre Makken, ihre Vorurteile und dunkle Flecken in ihrer Geschichte, aber keines ist verflucht, zuallerletzt im eigenen Selbstverständnis. Rein aus Selbsterhaltung pflegt und verinnerlicht jedes Volk positive Erinnerungen, freut sich an der Kontinuität des Ansehnlichen und Gelungenen und bildet daraus seine Traditionen, so gut es gehen mag. Traditionen des Selbsthasses und der Selbstzerstörung gibt es nicht. Sie führen, sofern man sie zu installieren versucht, notwendig zur Kulturlosigkeit, zur Auflösung und schließlich zum Untergang. Natürlich gilt das auch für das deutsche Volk.

Wenn solche Erkenntnisse seit jüngstem auch in Kreisen Raum finden, in denen sich Matussek üblicherweise bewegt, ist das ein gutes Zeichen. Viele Dinge sind zur Zeit im Fluß. Zwar hat die Regierung Merkel den offiziellen Zug zur negativen "Traditionsbildung" noch einmal kräftig verstärkt, lebt von der nationalen Hand in den masochistischen Mund, agiert als ein völlig seins- und geschichtsvergessener Landsknechtshaufen. Doch im geistigen Untergrund gärt es. Trendforscher halten den feuchten Finger in den Wind und registrieren unerwartete Richtungswechsel. Die Trias "Multikulti - Homoehe - Materialismus" ist "out", registrieren sie, "Gott - Familie - Vaterland" sind wieder "im Kommen". Die "Restauration" marschiert.

Medienfürsten auf gleicher Augenhöhe mit Matussek fragen sich besorgt: Ist das Buch "Wir Deutschen" nur eine Schwalbe, die bekanntlich noch keinen Sommer macht, oder ist es ein echter Trendsetter, ein bandwagon, auf den man zur rechten Zeit draufspringen muß, um an Bord zu bleiben? Matussek selbst scheint kein bloßer Konjunkturritter zu sein, scheint es ernst zu meinen. Aber er hat noch manche Eierschalen um die Ohren. So glaubt er (und schreibt es sogar), daß die Kanzlerin Merkel ein wahrer "Hoffnungsträger" und mit ihr die Nachkriegszeit und damit die Epoche des Nationalmasochismus endgültig zu Ende sei. Naives Gemüt!

Immerhin versichert er mit liebenswerter Bonhomie, daß er immer mehr Möglichkeiten entdecke, als Deutscher stolz zu sein. "Ich bin immer öfter stolz darauf, Deutscher zu sein." Schön und gut, indes, zum Stolz auf etwas oder jemanden gehört unabdingbar dazu, daß man letztlich unzufrieden mit dem Objekt seines Stolzes ist und auf Änderung, Verbesserung sinnt. Sogar im Zustand der Trunkenheit weiß man das. Als bei Goethe Faust (und Mephisto) Auerbachs Keller betreten, konstatiert einer der dort bechernden Studenten ehrfürchtig: "Sie scheinen mir aus einem edlen Haus, / Sie sehen stolz und unzufrieden aus". Edles Haus bedingt Unzufriedenheit.

Foto: Straßenmalerei: Rein aus Selbsterhaltung pflegt und verinnerlicht jedes Volk positive Erinnerungen und bildet daraus Traditionen

Matthias Matussek: Wir Deutschen. Warum uns die anderen gern haben können. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2006, gebunden, 352 Seiten, 18,90 Euro


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