© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 23/06 02. Juni 2006

Schelmenstreich der Natur
Geschlechtsreife und Stimmbruch treten immer früher ein: Eltern müssen wieder mehr Mut zur Erziehung zeigen
Richard Stoltz

Die Menschen werden immer älter, aber ihre schöne, unbeschwerte Kindheit diesseits der Geschlechtsreife wird immer kürzer. Denn die Pubertät setzt immer früher ein, wie uns die Sexualforscher belehren. Zwölfjährige Mütter sind zwar noch selten, aber es gibt sie schon, und ihre Anzahl steigt, obwohl viele von ihnen die Pille nehmen. Zwölfjährige Jungen krächzen bereits kompanieweise im Stimmbruch und hegen aggressive Gedanken, in jede Richtung. Man darf sich auf einiges gefaßt machen.

Es ist ja nicht so, daß mit Eintritt von Stimmbruch und Geschlechtsreife, wie noch Kant glaubte, auch die Vernunft "eintritt", im Gegenteil, die Unvernunft wird potenziert, zur Kindischkeit tritt bewußte Ungebärdigkeit. Es kommt eine Phase des leeren Auftrumpfens, des Alles-besser-Wissens. Wohl denen unter den Pubertierenden, die dann ebenso verantwortungs- wie autoritätsbewußte Eltern und Erzieher finden, die ihnen zeigen, wo's langgeht bzw. langzugehen hat.

"Mut zur Erziehung" hieß einst, vor dreißig Jahren, eine wackere Bürgerinitiative (initiiert unter anderem von Hermann Lübbe und Golo Mann), die den Verheerungen, welche die sogenannte "antiautoritäre Erziehung" (sprich: Nichterziehung) im Gefolge der 68er-Revolte anrichtete, mutig entgegentrat. Viel genützt hat es leider nicht. Die Gesellschaft insgesamt scheint inzwischen zu einer einzigen Pubertätsphase ausgeweitet, und danach kommt gleich die Senilität. Schlechte Zeiten für praktische Vernunft.

Was tun? Der große Skeptiker und Menschenkenner Schopenhauer, der dem Kantschen Vernunftoptimismus von Anfang mißtraute, empfahl, den Pubertierenden den erwachenden Trieb als eine Art gegen sie gerichteten Schelmenstreich der Natur hinzustellen, auf den man, da man ihn doch durchschaue, lachend und lässig reagieren sollte. Modern gesprochen: "Pubertät ist uncool" sei die Parole! Wer dieser Parole folgt, bekommt Zeit und Seelenraum, um sich vernünftigen Dingen zuwenden zu können. Ziemlich riskanter Vorschlag. Aber man kann ihn ja einmal ausprobieren.


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