© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 23/06 02. Juni 2006

Wie Freud dem Fanatismus zu Leibe rückt
Peter Conzen unternimmt den Versuch, eine "Geißel der Menschheit" psychoanalytisch zu fassen
Hans-Jürgen Hofrath

Betrachtungen des Phänomens "Fanatismus" richten sich bevorzugt auf seine äußere Manifestation. Für den Autor des vorliegenden Werkes, den an der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität lehrenden Psychologen Peter Conzen, Grund genug, sich dem Wesen des Übels nunmehr von seiner "Innenseite" her anzunähern. Epistemologisch findet die klassische Psychoanalyse Freudscher Observanz hier ein umfängliches Betätigungsfeld.

Als tiefenpsychologisches Konzept zur Enträtselung der menschlichen Seele erhebt diese immerhin den Anspruch, viele Prozesse (zumindest für die sich gerne selbst inszenierenden Analytiker) überzeugend zu erklären. Dennoch lehrt die Praxis, daß sie mit der Explikation des berühmten "letzten Zehntels" eines Übels - geschweige denn mit dessen Beseitigung - doch nicht selten überfordert ist.

Dessenungeachtet darf es als Verdienst des Autors gewertet werden, hier ein facettenreiches und multiple Aspekte erschließendes Kompendium vorgelegt zu haben. Spannt er doch den Bogen etwa von vordergründig so gegensätzlich scheinenden Polen wie Adolf Hitler über die Terroristen der Roten-Armee-Fraktion bis hin zum aktuellen islamistischen Fundamentalismus. Wesentliche Determinanten des Fanatikers sieht Conzen in einer oft verhängnisvollen Melange aus zerstörtem Urvertrauen, Narzißmus, Ödipuskomplex, ohnmächtiger Wut, Demütigung, kränkendem Identitätsverlust und Spaltung des Über-Ich und im Ergebnis auch der Welt in die manichäische Dichotomie von Gut und Böse - wobei letzteres unbedingt zu eliminieren ist. Verbunden mit missionarischem Sendungsbewußtsein, verdichtet sich dies zu einer Kraft, die letztlich auch übermächtige Gegner und Umstände zu besiegen beansprucht.

Zu fragen bleibt allerdings, inwieweit der Anspruch, das Fanatismus-Phänomen mittels einer auf wissenschaftlichen Methodensets basierenden "Fanatismusforschung" erschließen zu wollen, überhaupt realitätsgerecht ist. Zumal, wenn man sich - wie der Autor auch völlig zu Recht konzediert - hierbei menschlichen Seelenzuständen gegenüber sieht, welche im Kern von "Instinktlogik" statt von westlich-rationaler Verstandeslogik primär ge-prägt sind - und sich folglich derartigen Deutungsversuchen zwangsläufig zu entziehen drohen. Im übrigen vermag eine singulär-monokausale Explikation des Fanatismus allein mit psychoanalytischen (oft selbst ideologiebefangenen) Kategorien nicht zu befriedigen.

Zu kurz kommt bei Conzen auch - obschon er sich partielle Andeutungen erlaubt - die Frage nach einer etwaigen geschichtsphilosophischen Dimension des Themas: Wie vermögen Wollen und Leidenschaften des Individuums "geschichtswirksam" zu werden? Hier drängt sich unwillkürlich das Hegelsche Diktum von der List des Weltgeistes auf, welcher sich durchaus auch der Leidenschaften oder gar des Hasses von Individuen bedient im Vorantreiben der Historie, wobei - wie Hegel es gar zynisch problematisiert - "manch unschuldige Blume zertreten wird". So spricht auch Conzen mehrfach von der rätselhaften "Getriebenheit" fanatischer Akteure.

Bei der eingehenden und sehr akade-misch anmutenden Analyse der unterschiedlichen Formen von Fanatismus bleibt als Quintessenz festzuhalten, daß letztlich allen Fanatismen entweder originär religiöse oder aber quasi- und zivilreligiöse Attitüden inhärent sind. Französische Revolution, Kommunismus, Nationalsozialismus, Rote-Armee-Fraktion, Islamismus, aber auch extreme Formen des neuzeitlichen Feminismus mögen diese Erkenntnis illustrieren.

Daß Fanatismus sich regelmäßig auch in haßerfüllten Verbalattacken entlädt, belegen eindrucksvoll die von Protagonisten der RAF geifernd im Mund geführten Titulierungen wie "Arschlöcher und Schweine" - womit sie bevorzugt die Repräsentanten des Staates bedachten. Pikanterweise werden hier dem wachen Medienrezipienten heutiger, vornehmlich feministisch geprägter Filmdarbietungen doch unwillkürlich Parallelen deutlich: etwa die gebetsmühlenhaft - unter dem Vorwand von Meinungsfreiheit und harmloser Unterhaltung - gegen das den alten Klassenfeind ersetzende "Feindbild Mann" gern geführten Verbalinjurien wie "Schwein, Scheißkerl" etc. Die RAF (zu der sich bekanntlich überdurchschnittlich viele Frauen zählten) und die aktuellen Radikalfeministinnen stehen offenbar - zumindest bezüglich "verbaler Bomben" - in einer ungebrochen fanatischen Kontinuität.

Erwartungsgemäß bleiben derlei As-pekte in vorliegendem Werk mit Rücksicht auf Zeitgeist und feministische "Fatwas" ebenso unerwähnt wie etwa die zeitgenössische "political correctness" , die - obschon vordergründig in gewaltfreier Attitüde daherkommend - wesenhaft Züge und innere Logik eines fanatisimusgeschwängerten Eiferertums mit moralisierenden Absolutheitsansprüchen impliziert.

Alles in allem zeigt gerade also die jüngere Geschichte, daß das unbedingte Etablieren-Wollen vernunftbe-stimmter Paradigmen seit der Aufklä-rung und das "Abschnüren der Seele von ihrem geheimnisvoll-irrationalen Urgrund" eben nicht die "Erweckung neuer, verhängnisvoller Gespenster" verhindern konnte. Gleichwohl blei-ben positiv gestimmte Geschichtsphi-losophen bis heute davon überzeugt, daß insgeheim dennoch eine positive Kraft die Historie zu einem guten Ende befördert.

Dennoch: Eine universelle "Welt-ethik" - so hebt der Autor als zentrales Fazit hervor - dürfte sich angesichts der gewonnenen Erkenntnisse in absehbarer Zeit wohl nicht einstellen. Des weiteren postuliert Conzen resümierend - womit er bei sich progressiv gerierenden Zeitgeist-Apologeten nicht auf unbedingte Gegenliebe stoßen dürfte - eine Rückbesinnung des Menschen auf traditionelle Werte wie Fürsorge und Erziehung.

Foto: Palästinensischer Mob lyncht zwei israelische Soldaten, Ramallah 2000: Rätselhafte Getriebenheit

Peter Conzen: Fanatismus. Psychoanalyse eines unheimlichen Phänomens. Kohlhammer Verlag, Stuttgart 2005, broschiert, 300 Seiten, Abbildungen, 27 Euro


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