© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 24/06 09. Juni 2006

"Nicht an einer Integration interessiert"
Österreich: Eine aktuelle Studie über Einwanderer brachte dramatische Ergebnisse / Signifikante Minderheit der Muslime im Abseits
Michael Howanietz

Was die Wähler der bürgerlichen Mehrheit im Jahr 1999 verhindern wollten, ist dennoch eingetreten. Wie die Migrationsstatistiken der vergangenen Jahre bestätigen, hat sich die Zuwanderung nach Österreich unter der Kanzlerschaft Wolfgang Schüssels nahezu verdoppelt. Daß ein hoher Prozentsatz der seit 2000 nach Österreich zugewanderten 300.000 Menschen Muslime sind und hieraus unleugbare, weil im Alltag der Österreicher immer deutlicher spürbare Konfliktpotentiale erwachsen, wurde von Regierungsseite bislang negiert.

Auch medial wurde die Problematik einer vor allem im urbanen Bereich etablierten Parallelgesellschaft kaum wahrgenommen. Dies änderte sich Ende Mai mit der Veröffentlichung einer Studie des Österreichischen Innenministeriums schlagartig. Unter dem Titel "Perspektiven und Herausforderungen in der Integration muslimischer MitbürgerInnen in Österreich" kommt der Autor, der Islamexperte der Universität Erlangen-Nürnberg, Mathias Rohe, zu einem eindeutigen Ergebnis. 45 Prozent der in Österreich lebenden Moslems stünden Kultur und Werten des Gastlandes und damit der Mehrheitsbevölkerung "mit großer Distanz" gegenüber.

Es gibt, so Rohe weiter, eine "signifikante Minderheit", die im Sinne "religiös-konservativer oder kulturell versteinerter Vorprägung" anders denkt. Obgleich diese Gruppe 20 bis 25 Prozent der in Österreich lebenden Moslems umschließe, könne sie aber vorerst "keine Meinungsführerschaft beanspruchen".

Abschließend konstatiert der Islamexperte eine "Integration auf niedrigem Niveau". Der Integrationsprozeß sei "bei weitem noch nicht erfolgreich abgeschlossen". Und: "Das große Maß an Distanz in religiös-konservativen Kreisen" könne "bei ungünstigen Rahmenbedingungen durchaus in Gegnerschaft umschlagen".

"Wer sich nicht integrieren will, hat hier nichts verloren"

Wenn Österreichs Innenministerin Liese Prokop diese Aussage zum Anlaß nahm, den 45 Prozent als "distanziert" umschriebenen Moslems bereits im Vorfeld der Publikation "Integrationsunwilligkeit" zu attestieren, scheint dies legitim. Wenn die ÖVP-Politikerin weiter erklärt, "wer sich nicht integrieren will, hat hier nichts verloren", so wurzelt diese ungewohnt scharfe Wortwahl wenige Monate vor der Nationalratswahl aber unzweifelhaft in wahlkampftaktischen Überlegungen.

Gleiches gilt für Peter Westenthaler, den von Ex-FPÖ-Chef Jörg Haider zum Spitzenkandidaten seines Bündnis Zukunft Österreich (BZÖ) berufenen ehemaligen FPÖ-Klubobmann. Auch Westenthaler zeigt sich von den nunmehr enthüllten Integrationsdefiziten überrascht und fordert eine "Reduktion des Ausländeranteils um 30 Prozent". Dies wiederum überrascht aufmerksame politische Beobachter, da Westenthaler die Rekordzuwanderung der vergangenen Jahre in federführender Position mit zu verantworten hatte.

Die oppositionelle SPÖ kritisiert einen "oberflächlichen Umgang" mit dem Thema, ohne auf Details der Studie einzugehen. Die Grünen sehen in Prokops Wortwahl gar die Vorbereitung rassistischer Tendenzen. Anas Schakfeh, Präsident der islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich, sieht europäische Werte und den Islam unverändert "ohne weiteres vereinbar".

FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache ortet die größten Gefahren in der "Duldung von radikalen Islamisten und Haßpredigern, gegen die nicht das geringste unternommen wird". Aus der von unkontrollierter Massenzuwanderung verursachten "unhaltbaren Situation" gebe es "nur einen Ausweg, nämlich einen sofortigen Zuwanderungsstopp und die Rückführung Nicht-Integrationswilliger".

Innenministerin Prokop indes nahm die harsche Kritik an ihren Aussagen zum Anlaß, der drohenden "Angstdebatte" gleich wieder den Wind aus den Segeln zu nehmen. Sie widerrief das Wort "integrationsunwillig" mit dem haarspaltenden Hinweis, daß es laut Studie lediglich "klare Distanzen zur Integration gibt."

40 Prozent der Österreicher lehnen den Islam völlig ab

Somit scheint auch die Sorge unbegründet, die heutige Realität einer überwiegend subproletarischen Parallelgesellschaft sei die Vorstufe der aggressiven Gegengesellschaft, die eines nicht fernen Tages Anpassung nicht mehr - wie heute: vorgeblich - anstreben muß, sondern einfordern wird.

Eine Befürchtung, die auch in Rohes Studie zutage tritt. 40 Prozent der Österreicher lehnten den Islam ab, weil er als "gesellschaftlich rückständig" und "weitgehend, aber nicht strukturell gewalttätig" wahrgenommen werde.

Eine "geringe Zahl gefährlicher Extremisten ist zweifellos vorhanden", so Rohe. 40 Prozent der in Österreich lebenden Moslems wünschten einen stärkeren Einfluß des Islam auf Politik und Gesellschaft. Dies sei der Nährboden der großen Skepsis seitens der einheimischen Bevölkerung.

Die Parameter der Erhebungen und die daraus abgeleiteten Schlüsse scheinen plausibel. Wenn die Kritik an Rohes Studie dennoch nicht verstummen will, so mag dies in ihrer fragwürdigen Repräsentationskraft begründet sein. Telefon-Interviews unter 1.000 Österreichern, 251 Türken und 253 Bosniern sowie ausführliche Leitfaden-Befragungen mit rund 100 Muslimen erfüllen für manche Kritiker nicht die Ansprüche der "wissenschaftlichen Seriosität". Dennoch ist interessant, daß die Türken - auch wenn sie schon viele Jahre länger in Österreich leben - in der Regel wesentlich schlechter integriert sind als die ebenfalls sunnitisch-muslimischen Bosnier.

Dennoch ist der Studie - ungeachtet ihrer weiteren tagespolitischen Relevanz - bereits heute ein großes Verdienst anzurechnen: Sie hat eine lange überfällige Diskussion in Gang gesetzt.


Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen