© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 24/06 09. Juni 2006

Pankraz,
J. Palm und der Verleger als Held wider Willen

Vor zweihundert Jahren ließ Napoleon in Braunau am Inn den vierzigjährigen Nürnberger Buchhändler Johann Philipp Palm erschießen, weil der in seinem Verlag die anonyme Flugschrift "Deutschland in seiner tiefen Erniedrigung" herausgegeben hatte, welche sich gegen die napoleonische Eroberungspolitik wandte. Die Hinrichtung im Hof der Braunauer Polizeikaserne verlief stümperhaft. Das Erschießungskommando traf Palm mit seinen Salven in den Bauch und schoß ihm ein Auge aus. Der Mann stürzte nieder, röchelte und schrie und wurde schließlich vom Kommandoführer durch einen Gnadenschuß aus der Pistole erledigt.

Palm soll "an sich" gar kein Held gewesen sein. Als man ihn hatte verhaften wollen, war er gerade auf Geschäftsreise in Erlangen gewesen, das preußisch war und über das die Franzosen noch keine Macht ausübten. Der Verleger hätte einfach dort bleiben können, und nichts wäre ihm passiert. Trotzdem kehrte er nach Nürnberg zurück - aus Harmlosigkeit, wie die meisten Lokalhistoriker verlauten. Während der Verhöre und bei der Urteilsverkündung soll sich Palm ganz unstolz verhalten haben, bettelte um Gnade, beteuerte seine Unschuld. Man mußte ihn regelrecht zur Hinrichtung tragen.

Trotzdem hat er nicht den oder die Autoren der Flugschrift preisgegeben, obwohl er sie genau kannte. Es waren mit hoher Wahrscheinlichkeit entweder der Graf von Soden oder der bayerische Kammerherr Julius Konrad von Yelin oder beide zusammen. Yelin stand mit Palm in engen Geschäftsverbindungen, leitete zeitweise eine seiner Verlagsfilialen in Passau. Ein einziges Wort Palms hätte genügt, und die beiden Herren wären dran gewesen und Palm womöglich aus dem Schneider. Aber der Verleger schwieg, trotz seiner Todesangst und obwohl er offenbar gar keinen rechten Begriff von der Brisanz der von ihm verlegten Schrift gehabt hatte.

Er hat damit, findet Pankraz, ein großes Beispiel gegeben, das es auch heute noch wert ist, erinnert zu werden. Unschuldig oder als kleiner Nebentäter sterben zu müssen, während der eigentliche Täter unbehelligt bleibt, ist ja ein wahrhaft bitterer Tod. Wenn es schon gilt, für andere zu sterben, dann doch wenigstens als Zentralfigur und aus vollem Eigenentschluß, indem man zum Beispiel ein Kind vor dem Ertrinken zu retten versucht, obwohl man selber nicht schwimmen kann, oder indem man als Angehöriger einer verschworenen Kampfgemeinschaft mit erhobenem Haupt "für die Sache" stirbt. Jedoch nichts von dem war bei Johann Philipp Palm der Fall.

Er war, nach allem, was man zu wissen glaubt, kein Verschwörer, der mit Soden und Yelin unter einer Decke steckte. Er war nicht einmal ein Widerständler im geläufigen politischen Sinne, kein Patriot, den die Schmach des Vaterlands so sehr bedrückte, daß er für die Befreiung von dieser Schmach alles zu geben bereit war. Er war einer jener ganz gewöhnlichen Geschäftsleute, die sich - und sei es seufzend - den Zeitläuften fügen und das Beste aus ihnen zu machen streben.

Daß er sich dennoch nicht auf Kosten seiner Autoren aus der Schlinge zu ziehen versuchte und lieber den Tod auf sich nahm, macht ihn zu einem ganz spezifischen Helden, nämlich zum Helden, zum Märtyrer der Meinungsbranche und des Pressewesens, wo die Helden üblicherweise dünn gesät sind, von Märtyrern zu schweigen. Und es macht ihn darüber hinaus zum Helden einer von langer Tradition geprägten Geschäftswelt, die ihre unverbrüchlichen Prinzipien hatte.

Zu diesen Prinzipien gehörte, daß man den Geschäftspartner nicht nur als Kunden oder Lieferanten, sondern auch und in erster Linie als hochehrenwertes und eng verbündetes Mitglied der bürgerlichen Gesellschaft betrachtete, zu dem man ein Verhältnis der Höflichkeit, der Kollegialität und der unbedingten Vertragstreue herzustellen hatte. Autor und Verleger mußten sich aufeinander verlassen können, Grundlage des Vertrags war, daß man den Geschäftspartner nicht hinterrücks in die Pfanne haute, und das bedeutete in Extremfällen eben auch: daß man ihn nicht dem Tode auslieferte, um die eigene Haut zu retten.

Dem armen Palm war das Schicksal des Vaterlands, mag sein, ziemlich gleichgültig, ganz abgesehen davon, daß der König seines engeren bayerischen Vaterlandes, Max I., mit Napoleon verbündet war und sich von diesem erst zum König hatte machen lassen. Und mit seinen Autoren, Julius von Soden und Konrad von Yelin, war er weder verwandt noch verschwägert, ja, nicht einmal befreundet. Indes, als Autoren waren sie Geschäftspartner, Vertragspartner, und es wäre nun wirklich wider jeden Komment gewesen, die mit ihnen beschlossenen und besiegelten Verabredungen wegen äußerer Ereignisse einfach preiszugeben, den Vertrag auf schnödeste Weise zu desavouieren. Der Verleger Palm hielt den Komment ein.

Aus diesem Grund also nahm dieser weiche, ängstliche und unpolitische Herr den bittersten Tod auf sich. Zum Vertrag mit Soden und/oder Yelin gehörte, daß diese in einer von Palm verlegten Schrift ihre Meinung über Deutschland in seiner Erniedrigung an die Öffentlichkeit bringen konnten, das Risiko des Todes war dabei nicht einkalkuliert worden. Wenn Herr Palm später damit Schwierigkeiten bekam, war das seine ganz und gar eigene Sache, nicht die Sache seiner Autoren.

Man sieht: Palm war tatsächlich ein Held und ein großes Vorbild und ein echter Märtyrer der Meinungs- und Pressefreiheit. Er steht turmhoch über jenen vielen heutigen Verlegern und Autoren, die zwar vollmundig von der Pressefreiheit schwafeln, sofort aber den Schwanz einziehen, wenn es brenzlig wird, und die sich dabei den Teufel um Verträge kümmern.

Völlig zu Recht wurden Palm im neunzehnten Jahrhundert Denkmäler errichtet und Bühnenstücke gewidmet. Doch die Zeiten haben sich geändert. Kommenden September gibt es in Braunau ein "Palm-Symposion" unter dem Titel "Unfreiwilliger Held".


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