© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 25/06 16. Juni 2006

Hauch des Scheiterns
Große Koalition: Der Streit um das Antidiskriminierungsgesetz bedroht Merkels Kanzlerschaft / Widerstand in der Union wächst
Paul Rosen

Die Flitterwochen der Großen Koalition, ahnte CSU-Landesgruppenchef Peter Ramsauer bereits vor Wochen, sind vorbei. Ein grauer und zänkischer Ehe-Alltag ist zwischen Union und SPD eingekehrt. Die Sozialdemokraten, im vergangenen Jahr von der Not eines schlechten Wahlergebnisses in das Bündnis getrieben, führen sich seit Wochen stärker auf, als es ihrer Rolle als Juniorpartner entspricht. Parallel dazu bahnt sich in der Union eine Zerreißprobe mit ungewissem Ausgang an.

Die bisherige Bilanz der Großen Koalition ist alles andere als eindrucksvoll. Das Bündnis konnte sich bisher nur auf Steuererhöhungen verständigen. Die Mehrwertsteuer wird zum 1. Januar um drei Punkte steigen, während gleichzeitig eine Reihe von Steuerermäßigungen für Arbeitnehmer und Sparer unter dem irreführenden Stichwort "Subventionsabbau" zusammengestrichen werden. Der nächste Schachzug wird im Schatten der Fußball-Weltmeisterschaft vorbereitet. Während fast ganz Deutschland auf Fan-Meilen feiert oder ganze Tage vor dem Fernseher verbringt, um König Fußball zu huldigen, nimmt die Koalition eine Aktion in Angriff, die Gesundheitsreform heißt, aber in Wirklichkeit den öffentlichen Kassen weitere Milliarden zuführen soll - aus den Taschen der Bürger versteht sich.

Sozialdemokraten schauen auf die nächste Wahl

Widerstand im Bundestag ist nicht zu erwarten. Geld, vor allem Geld anderer Leute, machte Politiker noch stets sinnlich. Der bisherige Leistungskatalog läßt auf alles mögliche schließen, aber nicht darauf, daß dieses Bündnis vom Wähler noch einmal bestätigt werden könnte. Das ist auch nicht Sinn und Zweck der Übung. Die Sozialdemokraten wollen sich für die nächste Wahl positionieren. Sie soll gegen, nicht mit der Union gewonnen werden. Mit dem neuen Vorsitzenden Kurt Beck haben sie sich wieder hinter einer Führungsfigur zusammengefunden. Nun geht es nur noch darum, die öffentlichen Kassen zu füllen, um eine gute Ausgangslage für die Bundestagswahl in gut drei Jahren zu haben. Die Argumentation gegenüber den Wählern wird lauten: Man habe die Steuer- und Abgabenerhöhungen nicht verhindern könnten, weil alles auf Druck der Union geschehen mußte. Aber jetzt könne man Wohltaten verteilen.

Aus keinem anderen Grund wehren sich die Sozialdemokraten zum Beispiel bei der Föderalismusreform gegen das geplante Kooperationsverbot, das milliardenteure Bundesprogramme für Bildungseinrichtungen der Länder verbietet. Beck und Co wollen es sich nicht nehmen lassen, wieder Förderungsprogramme für Kindergärten, Schulen und Universitäten ins Programm zu schreiben. Damit gewinnt man Wahlen, und nicht mit der Einhaltung der Maastricht-Kriterien beim Staatshaushalt.

Die Union unter Führung ihrer technokratischen Kanzlerin Angela Merkel und eines unbedarft wirkenden Fraktionsvorsitzenden Volker Kauder wähnt sich immer noch auf dem Sonnendeck, um ein Bild aus den Anfangstagen der Koalition aufzugreifen. Derweil haben die Sozialdemokraten an den Stellschrauben im Maschinendeck ganze Arbeit geleistet. Am deutlichsten wird dies beim Antidiskriminierungsgesetz (ADG), das jetzt mit dem harmlos klingenden Titel Allgemeines Gleichstellungsgesetz daherkommt, im Kern gegenüber dem rot-grünen Entwurf jedoch kaum verändert ist. Merkel ließ den Entwurf von Justizministerin Brigitte Zypries (SPD) in der Koalitionsrunde passieren. Sinnfragen interessieren sie nicht. Kauder überblickte die Tragweite des Beschlusses nicht, und CSU-Chef Edmund Stoiber ist immer noch zu schwach, um mehr als formalen Protest anmelden zu können.

Mit dem Gesetz trat die Unionsführung ihren eigenen Abgeordneten und großen Teilen der Basis auf den Füßen herum. Auf CDU-Regionalkonferenzen, bei denen Merkel sich für ihre Ideen zum neuen Grundsatzprogramm feiern lassen wollte, wurde sie wegen des ADG attackiert. Waren die Unions-Matadore, so die Fragen, nicht in den Wahlkampf gezogen, um das bürokratische Monster, das in Deutschland eine Klage- und Entschädigungsindustrie nach amerikanischem Muster schaffen könnte, zu verhindern? Jetzt sitzt man in der Regierung, und das ADG kommt trotzdem, so die Klagen.

Pofalla kann die Kanzlerin nicht stützen

Auch unter den Abgeordneten der Union wächst die Wut. In der CSU-Landesgruppe soll bereits die Hälfte der Mitglieder erklärt haben, sie wollten dem Gesetz nicht zustimmen. Ähnliche Tendenzen werden aus anderen südlichen Landesverbänden der CDU wie Baden-Württemberg und Hessen gemeldet. Die Stimmung in der Partei ist so schlecht wie lange nicht mehr. Schnell rächt sich Merkels Fehler, im Konrad-Adenauer-Haus mit Ronald Pofalla eine schwache Figur als Generalsekretär installiert zu haben. Die Partei sollte, so die Absicht, dem Kanzleramt nicht gefährlich werden. Doch umgekehrt wird ein Schuh draus: Pofalla ist zu schwach, als daß er die Kanzlerin unterstützen könnte.

Noch ist unklar, ob die Koalition oder vielleicht sogar die Union am ADG zerbricht oder ob es bei Rissen bleibt. Die Stimmung ist jedenfalls so schlecht wie zu Zeiten der Kohlschen Spendenaffäre. Und die Risse, das steht fest, sind nicht mehr zu kitten. Zu Kohls Zeiten hätte man von Kanzlerdämmerung gesprochen. Bei Merkel verbietet sich der Begriff noch. Sie ist zu kurz im Amt. Aber der erste Hauch ihres Scheiterns, des Scheiterns der Regierung und vielleicht des Untergangs der Unionsparteien ist in diesen Tagen in Berlin zu spüren - trotz der WM.


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