© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 25/06 16. Juni 2006

Für Deutschland
Nachruf: Am 3. Juni starb der ehemalige Weiße-Rose-Widerstandskämpfer Hans Hirzel
Moritz Schwarz

Am Samstag, den 3. Juni verstarb der ehemalige Widerstandskämpfer Hans Hirzel in Wiesbaden nach schwerem Krebsleiden. Geboren wurde Hirzel 1924 im württembergischen Untersteinheim bei Heilbronn. Der Sohn eines evangelischen Pfarrers interessierte sich ursprünglich nicht für Politik, seine Aufmerksamkeit galt philosophischen und naturwissenschaftlichen Themen, vor allem Fragen der Technik und modernen Physik.

Schon früh geriet er in Widerspruch zu den Nationalsozialisten, mit deren Jungmannen er auch körperlich aneinandergeriet. Den Pflichtdienst in der Hitlerjugend absolvierte er daher in der Spielschar, wo er von der Teilnahme an Heimabenden verschont blieb. Anders als die Geschwister Scholl, die sich zunächst als begeisterte HJ-Führer betä- tigten und deren Widerstandsgruppe Hirzel zusammen mit seiner Schwester Susanne später unerstützen sollte, herrschte bei ihm Skepsis vor. Diese steigerte sich bis 1942 zu einer klaren Widerstandsgesinnung, als Hirzel immer deutlicher der Raubkriegcharakter des Ostfeldzuges vor Augen trat und die Entrechtung und Verfolgung der Juden mehr und mehr zunahm.

In Ulm wurde Hirzel mit der Familie Scholl bekannt. Vater Robert hatte seit jeher den Nationalsozialismus abgelehnt und mußte zunächst so manche Auseinandersetzungen mit seinen NS-begeisterten Kindern austragen. Als Hirzel Hans und Sophie Scholl kennenlernte, hatte sich deren Begeisterung allerdings schon gelegt.

Hans Scholl, inzwischen Soldat der Wehrmacht, berichtete Hirzel schließlich von Greueltaten im Osten und forderte ihm zum gemeinsamen Widerstand auf. Hirzel war allerdings nicht bereit, auf Gerüchte hin eine so folgenschwere Entscheidung zu treffen, und verlangte Beweise für diese Behauptung. So dauerte es, bis er schließlich bereit war, die Gruppe um Scholl, die sich die Weiße Rose nannte, ab der zweiten Jahreshälfte 1942 zu unterstützen.

Zwar war er an den Planungen der Aktionen ebensowenig wie am Entwurf der Flugblätter beteiligt, doch verteilte Hirzel diese zusammen mit seiner Schwester. Per Post wurden sie in einzeln adressierten Umschlägen an ausgewählte Personen verschickt. Außerdem warb Hirzel weitere Unterstützer für die Gruppe, unter anderem auch in der Hitlerjugend. Zu leichtfertig, wie sich schließlich herausstellen sollte: Vermutlich haben ihn zwei Werbungskandidaten schließlich angezeigt.

Hirzel wurde für den 17. Februar 1943 durch die Gestapo zu einem Verhör geladen. Der Widerstandshistoriker Peter Steinbach und der Spiegel mutmaßten später, Hirzel habe bei dieser Gelegenheit die Geschwister Scholl verraten und sie dadurch zu ihrer leichtsinnigen Flugblatt-Verteilaktion an der Universität München am 18. Februar verleitet, bei der sie dann verhaftet wurden.

Hirzel widersprach dieser Darstellung immer. Er habe Sophie zwar erwähnt, aber keineswegs in Zusammenhang mit den Widerstandsaktivitäten. Die Erwähnung Sophies war unumgänglich, da anzunehmen war, daß die Gestapo durch die Aussage der zwei HJ-Mitglieder vermutlich schon von dem Namen Notiz genommen hatte. Hirzel vermochte jedoch den Gestapo-Vernehmungsbeamten von seiner und Sophies Harmlosigkeit zu überzeugen und wurde wieder entlassen.

Dennoch war Gefahr im Verzug, war die Familie Scholl doch bereits früher als antinationalsozialistisch aufgefallen und sogar schon einmal verhaftet worden. Hirzel bemühte sich darum, die Familie von dem Verhör zu informieren, doch vermutlich erreichte die Scholls die Nachricht nicht mehr rechtzeitig. Wohl ohne das Wissen von den Vorgängen um Hirzel - manchen Historikern gilt der Ablauf allerdings nicht als endgültig geklärt - waren sie am 18. Februar zur Universität München aufgebrochen.

Persönlicher Mitarbeiter von Adorno und Horkheimer

Ihre Verhaftung brachte das Ende der Gruppe, weitere Verhaftungen folgten, auch Hirzel und seine Schwester konnten sich nicht mehr entziehen. Warum sie dem Schafott entgingen, ist unklar. Vermutlich trug zu ihrer Rettung bei, daß der Präsident des Volksgerichtshofes, Roland Freisler, selbst den Prozeß führte. Möglicherweise hätte es ein anderer Richter nicht gewagt, auf die Hinrichtung der Hirzels zu verzichten. Fünf Jahre Gefängnis erhielt Hans Hirzel, ein halbes Jahr seine Schwester, die sich anders als die - zu diesem Zeitpunkt schon exekutierte - bekennende Sophie Scholl als naive Jugendliche darstellten.

Nach dem Krieg arbeitete Hirzel unter anderem als persönlicher Mitarbeiter bei Theodor W. Adorno und Max Horkheimer am Frankfurter Institut für Sozialwissenschaft und übernahm für Eugen Kogon eine Zeit lang die Redaktion der Frankfurter Hefte. Hirzel war auf eigene Faust nach Frankfurt gereist und hatte sich vorgestellt. Der ehemalige SPD-Regierungssprecher Uwe-Karsten Heye schrieb in seinen 2004 erschienenen Lebenserinnerungen "Vom Glück nur ein Schatten" über diese Zeit: "Er (Hirzel) hat mich durch die ersten Jahre meines Erwachsenenlebens begleitet ... Bei ihm lernte ich viel über Literatur und erfuhr manches ... über deutsche Geschichte. Ich lernte zu fragen, wie es zum Ende von Weimar und zum Anfang des Nationalsozialismus kommen konnte, kurz ich wachte auf. Er war mein Mentor und mein Lehrer. Er schürte meine intellektuelle Neugier, machte mich geschichtsversessen und brachte mir systematisches Lernen bei. Hans war für meine Entwicklung wichtig, und seinen mutigen Widerstand im Nazireich bewunderte ich ... Sein intellektueller Sprachduktus ließ den Assistenten von Theodor W. Adorno erkennen und den Publizisten, der für die von Eugen Kogon herausgegebenen Frankfurter Hefte schrieb ... Nach 1963 verloren wir uns aus den Augen."

Erst 1994 wurde Heye wieder auf Hirzel aufmerksam, als dieser für die Partei der Republikaner für das Amt des Bundespräsidenten kandidierte. 1993 war Hirzel nach 16jähriger CDU-Mitgliedschaft in die Partei übergetreten, weil er die Verfemung und Ausgrenzung der Rechtspartei mit dieser Demonstration durchbrechen wollte. Immer wieder zitierte Hirzel den Brief des befreundeten ehemaligen Oberlandesgerichtspräsident Hans Weil, ein geflohener Jude, der 1945 als alliierter Soldat nach Deutschland zurückgekehrt war, es treffe zu, daß mit den Mitgliedern der Republikaner heute umgegangen werde wie 1936 mit den Juden. Bis 2001 war er Abgeordneter der Republikaner im Wiesbadener Stadtrat, dann trat er aus internen Gründen aus, behielt jedoch als Parteiloser sein Mandat bis zum Rückzug aus der Politik krankheitshalber im Jahr 2005.

Zeitzeuge für den Patriotismus der Weißen Rose

Über den Einsatz Hirzels gegen die Ausgrenzung der Republikaner zeigte sich der ehemalige Freund Heye entsetzt: "Ich konnte es nicht fassen. Die Nachricht versetzte mir einen Tiefschlag, machte mich ratlos und wütend. Mehrfach hatte ich den Telefonhörer in der Hand, und legte wieder auf. Nein, ich wollte diesem von mir als Verrat empfunden Frontenwechsel nicht auf den Grund gehen."

Durch dieses Engagement hatte sich Hirzel um jeden Kredit in etablierten Kreisen gebracht. Er wurde beschimpft, bedroht und ausgegrenzt, als ehemals gefragter Zeitzeuge für die Geschichte der Weißen Rose konsequent ignoriert. Nicht zuletzt deshalb, weil er "Unbequemes" zu berichten hatte und immer wieder auch auf die patriotischen Motive mancher in der Gruppe hinwies. So zitierte er Willi Grafs Brief, in dem er von seiner "Liebe zu Deutschland" sprach, erinnerte an Professor Kurt Huber, der vor der Hinrichtung ausdrücklich auf das "Wohl seines geliebten Vaterlandes" trank und seiner Frau schrieb, "freue Dich, daß ich für unser Vaterland sterben darf", und verwies auf Sophie Scholl, die vor Gericht davon sprach, sie habe das Beste "für ihr Volk" getan.

Foto: Hans Hirzel: Jeglichen Kredit in etablierten Kreisen verloren


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