© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 25/06 16. Juni 2006

Die Gewalt war kontraproduktiv
Der Innsbrucker Historiker Rolf Steininger bewertet die "Südtiroler Bombennächte" und den Selbstbestimmungskampf vor 45 Jahren
Rolf Steininger

Die Nacht vom 11. auf den 12. Juni 1961 ist als "Feuernacht" in die Geschichte Südtirols eingegangen. Der "Befreiungsausschuß Südtirol" (BAS) - unterstützt von einer größeren Abordnung der Innsbrucker BAS-Gruppe - führte damals seinen lange vorbereiteten großen Schlag durch: In Südtirol wurden 37 Hochspannungsmasten, acht Eisenbahnmasten und zwei Hochdruckleitungen gesprengt. Auf Flugblättern hieß es: "Wir fordern für Südtirol das Selbstbestimmungsrecht!"

Rom nahm die Sache sehr ernst und demonstrierte seine Macht. In wenigen Wochen waren die Attentäter gefaßt. Sie wurden gefoltert und 1964 zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt. In der Folgezeit vertraten sie und jene Attentäter, die in den Jahren danach aktiv waren, bewußt den Tod von Menschen in Kauf nahmen und beim Bombenlegen mit Hitler-Gruß salutierten, geradezu ritualmäßig die These, daß sie die Autonomie erreicht hätten. Ein Mythos war geboren.

Im Jahre 1999 hat der Rezensent eine dreibändige Darstellung über "Südtirol zwischen Diplomatie und Terror 1947-1969" vorgelegt; insgesamt 2.540 Seiten auf breitester Quellenbasis. Nur etwa 250 Seiten waren dem Thema "Feuernacht" und Attentate im weitesten Sinne gewidmet. Ich hatte dort gewisses Verständnis für die Motivation und auch Mitgefühl für das Leid der Südtiroler Attentäter gezeigt, die jahrelang im Gefängnis saßen und natürlich ihrem Leid einen Sinn geben wollten - aber die genannte These kritisch hinterfragt. Wie zu erwarten, stürzten sich dann Ex- und andere Täter, die mit meinen diesbezüglichen Forschungen nichts anfangen wollten oder konnten, auf diese 250 Seiten.

Wie sahen und sehen die Fakten aus? Man kann in der Tat unterscheiden zwischen den "Feuernacht"-Attentätern und jenen, die später aktiv waren. Alle wollten eines: Selbstbestimmung, keine Autonomie! Bekanntlich kam alles anders. Die Attentate waren kontraproduktiv gewesen. Sie waren es zunächst mit Blick auf die Selbstbestimmung. Ohne Bomben wäre aus der Selbstbestimmung vielleicht etwas geworden, mit den Bomben war dieses Thema definitiv erledigt.

Zur Neunzehner-Kommission, jener von Rom im Herbst 1961 zur Behandlung der Südtirolfrage eingerichteten Kommission: Sie wird direkt mit der Feuernacht in Verbindung gebracht, nach dem Motto: "Ohne Anschläge keine Neunzehner-Kommission, ohne Neunzehner-Kommission kein Paket?", wie einer der ehemaligen Attentäter großspurig verkündete ("Paket" ist die Autonomielösung aus dem Jahre 1969). Die Frage lautet: Hätte es ohne Feuernacht keine Kommission gegeben? Oder anders ausgedrückt: Hat Rom die Kommission aufgrund der Feuernacht eingesetzt? Und war das ernst gemeint oder nur ein taktischer Schachzug?

Tatsache ist, daß die Feuernacht und die anschließenden Anschläge im Juli 1961 kontraproduktiv für die Haltung etlicher Mitglieder der italienischen Regierung waren. Tatsache ist auch: Schon vor der Feuernacht hatte Innenminister Mario Scelba den Südtirolern Vorschläge für ein inneritalienisches Gespräch gemacht, die gerade wegen der Attentate beinahe nicht realisiert worden wären, weil Mitglieder des italienischen Ministerkomitees den Eindruck der Schwäche - Einrichtung der Neunzehner-Kommission aufgrund der Attentate! - in der Öffentlichkeit vermeiden wollten. Außenminister Antonio Segni hatte das auf der Außenministerkonferenz in Zürich am 26. Juni 1969 gegenüber dem österreichischen Bundeskanzler Bruno Kreisky sehr deutlich gesagt: Mit Gewalt werde gar nichts erreicht.

Scelba setzte sich im Ministerrat durch. Er wollte trotz der Attentate die Kommission - als Zeichen der Stärke! Mit einem Satz: Neunzehner-Kommission nicht wegen, sondern trotz der Feuernacht. Im Ministerrat war Scelba zuvor mit seinem Vorschlag auf "harten Widerstand" gestoßen. "Ein anderer", so Scelba Monate später zum österreichischen Botschafter in Rom, Max Löwenthal, "hätte sich nicht durchgesetzt." Dabei ist festzuhalten: Die Attentäter wollten alles, nur keine Neunzehner-Kommission!

Keine Gespräche zwischen Österreich und Italien

Dabei war etwas anderes auch mitentscheidend: der Beschluß der österreichischen Bundesregierung, die Südtirolfrage erneut vor die Uno zu bringen. Eine ähnliche Debatte wie ein Jahr zuvor vor der Uno wäre für Italien besonders unangenehm gewesen. Würde eine Debatte kommen, so wollte man jetzt auf eigene Großzügigkeit gegenüber der Minderheit im Land verweisen können - und das war diese Kommission. Italiens UN-Botschafter Enrico Martino hatte genau das am 19. Juli seinem Minister empfohlen, einen Tag nach dem österreichischen Uno-Antrag. Er sprach von "unserer entschlossenen Absicht, direkt mit den Südtirolern zu verhandeln", um damit die Diskussion in der Uno "zu unseren Gunsten zu beeinflussen". So kam es dann auch.

War unter diesen Umständen diese Kommission ein Erfolg - gar ein Erfolg der Feuernacht? Die scharfsinnige Leiterin des Referates "Südtirol" der Tiroler Landesregierung in Innsbruck, Viktoria Stadlmayer, die es wohl wissen mußte, beantwortete diese Frage Anfang 1962 in einem streng vertraulichen Memorandum folgendermaßen: "Die Neunzehner-Kommission und ihre positive Aufnahme in Südtirol ist kein Erfolg der Bombenpolitik, sondern ist ein Sieg Italiens."

Haben die Attentate die Qualität der Gespräche zwischen Österreich und Italien verbessert, wie einige meinen? Auch hier ein klares Nein! Das Gegenteil war der Fall. Es gab überhaupt keine Gespräche mehr! Die Italiener verwiesen stets auf das inneritalienische Gespräch, sprich: die Neunzehner-Kommission, die sich Monat für Monat dahinschleppte, immer am Rande der Auflösung. Wirkliche Erfolge gab es auch da erst mit der Mitte-Links-Regierung unter Aldo Moro und Giuseppe Saragat. Ende 1964 waren sich Außenminister Saragat und sein österreichischer Amtskollege Bruno Kreisky einig. Saragat stand den Anliegen der Südtiroler positiv gegenüber - und das schon vor den Attentaten!

Ein weiteres Argument lautet: Mit der Feuernacht sei die italienische Zuwanderung nach Südtirol gestoppt worden. Was nun wirklich zu beweisen wäre, da es auch ganz andere Thesen gibt. Und daß die SVP durch die Attentate intern in die größte Krise ihrer Geschichte geriet, bis hin zur Spaltung, sei hier auch noch einmal ausdrücklich erwähnt.

Die Aufmerksamkeit der Welt im Visier

Bleibt ein letztes, immer wieder vorgetragenes Argument: Die Feuernacht habe die Welt auf das Südtirolproblem aufmerksam gemacht. Dies ist das schwächste aller Argumente. Seit der mehrwöchigen Debatte in der Uno im Herbst 1960 kannte die Welt das Südtirolproblem. Es gab denn auch nur ein paar Artikel in einigen Zeitungen, nicht mehr. Im Sommer 1961 war die Öffentlichkeit weltweit dann aber auf die Berlinkrise und den Mauerbau gelenkt. Der einflußreiche US-Botschafter bei der Uno, Adlai Stevenson, meinte damals, die Anschläge hätten in den USA wie bei der Uno "keinerlei Eindruck" gemacht. "Die sind stärkeren Tobak gewohnt." Der aber war damals weder in Nord- noch in Südtirol zu haben. Ein ehemaliger Südtiroler Attentäter, Siegfried Carli, dem 1961 die Flucht nach Nordtirol gelang und der in Mailand dann zu 18 Jahren Haft verurteilt wurde, bekannte Jahre später: "Wir haben es verhackt." Seither gilt er bei den ehemaligen "Freiheitskämpfern" auch als Verräter.

Es blieb nicht aus, daß Ex-Attentäter zur Feder griffen, um nach meinen Büchern den Heldenmythos wieder aufleben zu lassen. Für die einen "blieb kein anderer Weg", Töchter schrieben über ihre Väter (Klotz über Klotz), Attentäter über Mitstreiter (Fontana über Kerschbaumer). Vorläufiger Höhepunkt war Anfang 2006 eine vollkommen unkritische Fernsehserie über die "Bombenjahre", in der die "Freiheitskämpfer" von damals in gutmütigem Altherrenstil ihre Geschichten vor der Kamera ausbreiten konnten. Die in Südtirol ausgestrahlte Serie war dort denn auch sehr populär, aber sie ist nicht das, wofür sie sich im Untertitel ausgab: "Die Geschichte der Südtirol-Attentate".

Ergänzend dazu jetzt das Buch von Hans Karl Peterlini. Der Autor, Jahrgang 1961, ist Journalist, kein Historiker, was nicht per se abwertend gemeint sein muß. Was kann man da erwarten? Peterlini war und ist auch kein Freund von meiner Arbeit. 1999, damals noch Chefredakteur der Südtiroler Wochenzeitschrift FF, hatte er meine dreibändige Darstellung als Attacke auf den "Mythos" Feuernacht dargestellt, später ging das dann untergriffig weiter. Bringt Peterlinis neues Buch etwas Neues? Nein! Er hat zahlreiche Interviews mit den Ex-Attentätern geführt, die er völlig unkritisch weitererzählt.

Wo es um aktengestützte Fakten geht, greift er notgedrungen auf meine Bände zurück und schlachtet sie aus. Dabei kann er sich untergriffiger Bemerkungen nicht enthalten; er unterstellt mir, daß meine Bewertung der Anschläge "ideologisch scheint": "Es kann nicht sein, was nicht sein darf." Wenn er da nicht von sich auf andere schließt! Und als letzte Meldung seines Buches stellt er bedauernd fest: "Bei Redaktionsschluß ist Steininger immer noch Institutsvorstand, jedoch ist das Institut von Sparplänen bedroht." Information ist alles: Dem Mann kann geholfen werden. Das Institut für Zeitgeschichte der Universität Innsbruck war und ist nicht von Sparplänen bedroht, und ich bin in der Tat immer noch Vorstand des Institutes - im Zuge einer fulminanten Reform hieß das aber schon bei dem oben genannten Redaktionsschluß "Leiter" - und bleibe das auch bis zu meiner Emeritierung. Und das dauert noch. Da schau her!

 

Prof. Dr. Rolf Steininger ist Leiter des Instituts für Zeitgeschichte der Universität Innsbruck. Er veröffentlichte die "Akten zur Südtirol-Politik 1959-1969", deren erster Band zu 1960 jüngst im Studien Verlag Innsbruck erschien (JF 8/06).

 

Hans Karl Peterlini: Südtiroler Bombenjahre. Von Blut und Tränen zum Happy End? Edition Raetia, Bozen 2006, gebunden, 304 Seiten, Abbildungen, 38 Euro

Foto: Gesprengter Mast nach "Südtiroler Bombennacht" (1961): Ein Mythos war geboren


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