© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 27/06 30. Juni 2006

Kolumne
Politische Wegweiser
Klaus Motschmann

Ein Urlaub auf Rügen vermittelt eine Fülle eindrucksvoller Impressionen, darunter allerdings auch einige besonderer Art. Sie resultieren aus der Beobachtung, daß es in vielen Orten noch immer zahlreiche Straßenschilder gibt, deren Namen an Kommunisten erinnern: an Karl Marx und Friedrich Engels, an Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg sowieso, aber auch an Clara Zetkin, Ernst Thälmann, Hans Beimler, Kurt Barthel oder Max Reimann, den Vorsitzenden der KPD Westdeutschlands, nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes eine verbotene, verfassungsfeindliche Partei. Damit ist kein spezifisch Rügener Problem angesprochen, sondern eines aller neuen Länder. In den kleinen Orten mit nur wenige Straßen fällt einem diese Hinterlassenschaft der DDR allerdings sehr viel stärker auf als in den Großstädten. Vor allem aber hat man mehr Muße, darüber nachzudenken - insbesondere auch unter dem Eindruck einiger Gespräche mit Einheimischen und Feriengästen zu diesem Thema. Ein Pfarrer hat die zwar nicht vorherrschende, aber doch verbreitete Meinung zu diesem Phänomen kurz und bündig damit begründet, daß "Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg nun einmal zur deutschen Geschichte gehören, ob es einem paßt oder nicht", daß sie "wegen ihrer Überzeugung 1919 ermordet wurden und deshalb nicht für die späteren 'Entartungen' des Sozialismus verantwortlich gemacht werden dürfen". Na, na!

Aber akzeptieren wir einmal diese wissenschaftlich unhaltbar Argumentation für einen Augenblick, dann stellen sich einige sehr naheliegende Fragen: Zunächst, ob sie nicht auch auf den 1930 ermordeten SA-Führer Horst Wessel zutrifft? Sodann, wie man mit dieser Interpretation die Namensschilder für Clara Zetkin, Ernst Thälmann und die anderen Kommunisten rechtfertigt. Sie haben bekanntlich für ein Sowjetdeutschland gekämpft und nicht für eine parlamentarische Demokratie. Selbstverständlich kann man die erwähnten und alle anderen Kommunisten zu einem bestimmten Zweck - in diesem Fall zur Verwirrung der Geister - unter dem Rubrum "Vorkämpfer für Demokratie und Sozialismus" einordnen. Doch Vorsicht! Nach einem trefflichen Bild Friedrich Engels' kann man auch eine Schuhbürste und eine Kuh wissenschaftlich exakt unter einem gemeinsamen Rubrum zusammenfassen, zum Beispiel "organische Materie". Man sollte eben nur nicht den Eindruck vermitteln, daß die Schuhbürste daraufhin Euter ausbilden und Milch geben könnte. Straßenschilder sind Wegweiser nicht nur im geographischen, sondern auch im politischen Sinn. Deshalb: Achtung!

 

Prof. Dr. Klaus Motschmann lehrte Politikwissenschaften an der Hochschule der Künste in Berlin.


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