© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 27/06 30. Juni 2006

Suche nach Vollkommenheit
Steine des Anstoßes: Ausstellung zu den Skulpturen im Berliner Olympiagelände
Karin Erichsen

Ich fordere: Weg mit den Dingern am Olympiastadion! Sie sollten schnell und spurlos abgebaut und verschrottet werden!" mokierte sich der Schriftsteller Ralph Giordano pünktlich zu Beginn der Fußballweltmeisterschaft über die 1936 errichteten Skulpturen auf dem Berliner Olympiagelände. Zumindest ihre Verhüllung forderte auch die Initiatorin des Holocaust-Mahnmals Lea Rosh, aus deren Sicht die Plastiken ein "rassistisches Menschenbild" verherrlichten. Mit diesen Vorschlägen lösten sie in der Hauptstadt eine heftige Debatte aus, mit der sich letztlich sogar der Berliner Senat befaßte.

Anstoß dazu gab eine Ausstellung des Berliner Georg-Kolbe-Museums. Unter dem Titel "Skulpturen im Olympiagelände" präsentiert es (noch bis zum 20. August) Miniaturmodelle und Zeichnungen der Olympiaplastiken - unter anderem von Karl Albiker, Arno Breker und Georg Kolbe -, historische Fotografien des Geländes und der Statuen sowie Zeitungsausschnitte, die belegen, mit welcher öffentlichen Anteilnahme die plastischen Kunstwerke 1935/36 ausgewählt und installiert wurden. Ziel der Ausstellung ist es, die Skulpturen in ihrer "künstlerischen Eigenart" erkennbar zu machen, sie in einen historischen Rahmen und in das Gesamtkonzept des olympischen Geländes einzuordnen, so das Museum.

Die Schau beginnt mit den Entwürfen des Architekten Otto March, der bereits 1912/13 innerhalb der Grunewalder Rennbahn das Deutsche Stadion mit einer 600-Meter-Bahn, einer Radrennbahn, einem 100-Meter-Schwimmbecken sowie Tribünen und einer Kaiserloge erbauen ließ. In dem damals größten deutschen Stadion sollten die Olympischen Spiele 1916 stattfinden, die aber aufgrund des Ersten Weltkrieges ausfielen. Als Berlin 1930 den Zuschlag für die Olympischen Spiele 1936 erhielt, plante Werner March den Umbau und eine umfangreiche Erweiterung des von seinem Vater errichteten Stadions.

Die Architektur folgte in ihrer klaren, geometrischen Form und monumentalen Größe dem klassischen griechischen Vorbild. Dazu passend sollten sich auch die Bauplastiken an der strengen antiken Form orientieren. Ab 1934 konnten Vorschläge für die plastische Gestaltung des Olympiageländes eingereicht werden. Ein Kunstausschuß entschied über die Realisierung der Entwürfe.

Zahlreiche Modelle der letztlich realisierten Entwürfe sind in der Sonderschau des Kolbe-Mueums ausgestellt. So beispielsweise der wuchtige und ernste "Zehnkämpfer" und die als in der Form nicht streng genug kritisierte "Siegerin" von dem damals noch wenig bekannten Arno Breker, der durch die Olympiastatuen den Durchbruch seiner Karriere erreichte.

Die Ausstellung zeigt außerdem die kleinen Modelle zweier Bronzefiguren von Georg Kolbe aus dem Areal des Sportforums: den "Zehnkampfmann" und den "Ruhenden Athlet", der in seiner betonten Lässigkeit ganz offensichtlich aus dem Rahmenkonzept fällt. Auf einem Zeitungsfoto sieht man die Hoffnungsträgerin der argentinischen Schwimmerinnen davor posieren.

Auf Fotos ist auch der stilistische Wechsel zwischen dem Entwurf von Joseph Wackerles "Pferdeführern" und dessen Ausführung am westlichen Portal (Marathontor) deutlich erkennbar. Im Entwurf mit weichen und fließenden Bewegungen konzipiert, orientiert sich die Endfassung an der ruhigen und strengen Mensch-Tier-Verbindung der Roßführer auf dem römischen Kapitol.

Die Ausstellung vermittelt insgesamt ein sehr facettenreiches Bild von der Entstehung des Olympiageländes und dessen Skulpturen. Es wird einerseits der staatliche Einfluß, speziell der des Propagandaministeriums, bei der Auswahl der Kunstwerke dargestellt. Andererseits tritt aber auch ein eindrucksvolles künstlerisches Konzept, das durch die Architektur von Werner March vorgegeben und durch renommierte Künstler ausgefüllt wurde, sehr deutlich in den Vordergrund.

Daneben dokumentiert das Kolbe-Museum die breite internationale Anerkennung und die enthusiastische Rezeption dieses Kunst- und Bauobjekts in der Öffentlichkeit. Es zeigt die allgegenwärtige Darstellung antiker Figuren in der Berichterstattung und Werbung und spricht von einem Versuch der Stadt der Olympischen Spiele von 1936, sich seinen Gästen als neues "Hellas" zu präsentieren.

Mit dieser differenzierten Darstellung hat die Sonderausstellung des Georg-Kolbe-Museums vielleicht dazu beigetragen, daß der Berliner Senat sich gegen die Entfernung der Skulpturen entschied und selbst die kulturpolitische Sprecherin der Grünen, Alice Ströver, erklärte, der Skulpturen-Abriß sei "kein verantwortungsvoller Umgang mit der deutschen Geschichte".

Die Ausstellung läuft bis zum 20. August im Berliner Georg-Kolbe-Museum, Sensburger Allee 25. Täglich außer montags von 10 bis 17 Uhr. Tel. 030 / 3 04 21 44


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