© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 28/06 07. Juli 2006

"Angriff auf die Familie"
Der Psychotherapeut und Publizist Holger B. Flöttmann über Feminismus, Familiensplitting und unsere Furcht vor Kindern
Moritz Schwarz

Herr Dr. Flöttmann, eine neue Studie der Robert-Bosch-Stiftung (siehe auch Seite 5) präsentiert alarmierende Zahlen zum Thema Kinderwunsch: Danach will jeder vierte deutsche Mann und jede siebte deutsche Frau kinderlos bleiben. Damit ist unser Kinderwunsch so gering wie in keinem anderen europäischen Land.

Flöttmann: Der Wunsch nach dem Kind ist in der Seele des Menschen tief verwurzelt. Zugleich beeinflussen persönliche, kulturelle und politisch-ideologisch geprägte Einstellungen die Fruchtbarkeit. Der virulente Feminismus, der übertriebene Konsum und der narzißtische Individualismus bewirken kinderfeindliche Lebensformen bei Mann und Frau.

In einem Aufsatz in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" sprechen Sie davon, daß auch "die massive, kollektive und depressive Selbstabwertung des deutschen Nationalgefühls die Fruchtbarkeit der Deutschen beeinträchtigt".

Flöttmann: Laut Studie ist der Kinderwunsch der Deutschen geringer ausgeprägt als der unserer Nachbarn mit ihren ebenfalls feministisch, konsumistisch und hedonistisch orientierten Gesellschaften. Es muß also zusätzliche Gründe geben, die zu dieser negativen Spitzenstellung führen. Die Nazi-Vergangenheit ist eine schwere Hypothek für unser Volk. Zum einen wegen des damaligen Mißbrauchs der Mutterrolle, zum anderen wegen der schuldbedingten Zerstörung unseres Nationalgefühls. Die sich derzeit durch die WM manifestierende Patriotismus-Welle ist jedoch ein positives Zeichen für die Überwindung dieses Komplexes.

Wenn der Kinderwunsch in der menschlichen Seele wurzelt und Deutschland den niedrigsten Kinderwunsch in Europa hat, dann sind die Deutschen offenbar das am stärksten sich selbst entfremdete Volk.

Flöttmann: Es widerstrebt mir, eine besondere Entfremdung der Deutschen festzustellen. Es gibt in vielen Völkern Anzeichen für eine Entfremdung der Menschen von ihrem Selbst: Denken Sie zum Beispiel an die steigende Anzahl von Kaiserschnitten aus Rücksicht auf die Figur oder wegen Terminwünschen. Auch werden Kinder immer früher abgestillt.

"Ablösung der Ehe durch unverbindliche Lebensformen"

Nun soll das Familiensplitting dem deutschen Kindersegen auf die Beine helfen.

Flöttmann: Dahinter verbirgt sich ein unverhohlener Angriff auf die Familie. Es geht den Erfindern dieses Modells vor allem darum, die Ehe und die daraus entstehende Familie durch unverbindliche Lebensformen abzulösen.

In der "FAZ" haben Sie geschrieben: "Die Grünen-Politikerin Katrin Göring-Eckkardt sagt: 'Wir wollen weg von der Subvention der Ehe - zu einer Subvention der Kinder.' In diesen Menschen besteht eine Ablehnungs- und Haßpotential gegen die Familie mit verdienendem Vater, hegender Mutter und Kindern."

Flöttmann: Eine der ersten Entscheidungen im Leben der modernen Frau lautet: "Ich entscheide mich gegen ein Kind." Ein Mädchen, welches nach feministischen Vorbild erzogen wird, das in der Schule nichts über Partnerschaft, Mutterglück, Aufgaben der Ehe, Erziehung, Liebe und Treue erfährt, diesem Mädchen schwebt auch später wenig anderes vor, als sich durch Leistung zu bewähren und wert zu fühlen. Denn aushäusige Arbeit bestimmt das Leben der heutigen Frau. Sie erkennt sich an, wenn sie beruflich aufsteigt. Sie verbietet dabei das typisch Weibliche in sich, die Fruchtbarkeit: "Kinder ja, aber nicht jetzt!" So geht es auch vielen Männern. Diese Geisteshaltung ist sich ihrer eigenen Beziehungsstörungen und Eisigkeit nicht bewußt. Wer sich wie ich mit dem Feminismus auseinandergesetzt hat, der merkt bald, daß den selbst zumeist kinderlosen Feministen das Wohl des Kindes zu keiner Zeit am Herzen gelegen hat.

Heute heißt es: "Die Zeit des Feminismus ist doch längst vorbei!"

Flöttmann: Ja, aber die Auswirkungen im privaten und öffentlichen Leben sind enorm. Die Feministen haben viele ihrer Vorstellungen etwa in den Lehrplänen der Schule tief verankert. Sogar die Mädchenbücher von Enid Blyton werden im Sinne der Feministen und der Gutmenschen umgeschrieben. Wenn man Frauen auf den Feminismus anspricht, dann winken sie in der Tat nach dem Motto ab: "Das ist doch Vergangenheit!" Die Frau von heute stellt die geistige Urheberschaft familienfeindlicher Gedanken gar nicht mehr in Frage, sondern empfindet sie als gegeben und normal. Diese Frauen sind selbst Kinder einer feministisch geprägten Zeit. Wie selbstverständlich - und also ohne den umstürzlerischen Haß der Altfeministen - denken und handeln sie nach feministischen Grundsätzen. Sie halten es für normal, ihre Kinder zur Erziehung abzugeben oder erst gar keine zu bekommen. Hier ein Beispiel für diese ihnen unbewußte, feministisch geprägte Haltung: Ein Steuerfachangestellter berichtet mir von seiner Kollegin, die er fragt: "Warum tippst du hier den ganzen Tag vom Band, was der Rechtsanwalt dir diktiert? Warum heiratest du nicht? Warum ziehst du keine Kinder groß und hast darin dein Glück?" Daraufhin nimmt sie ihren Ohrstöpsel heraus und sagt: "Da kann ich mich nicht selbst verwirklichen." Und tippt weiter.

Wir müssen also umlernen: Der Feminismus ist gegenwärtig.

Flöttmann: Der Feminismus wollte die Familie, das Bild der Mutter und des Mannes auflösen. Das Opfer des Feminismus ist die Beziehung zwischen Mann und Frau. Gelebter Feminismus zerstört weibliche und männliche Werte. Alice Schwarzer etwa wertet die Rolle der Mutter und die Heirat massiv ab. Sie spricht in ihren Emma-Büchern von der "Mutterideologie" und der Selbstverwirklichung der Frau: "Heiraten? Nein danke! Das sagen immer mehr Frauen. Sie leben lieber unverheiratet mit einem Mann (oder einer Frau) zusammen oder wohnen ganz alleine. Da mag die Männerpresse noch so viel von Heiratswut und Babyboom palavern, die Statistik beweist: Die Ehe ist out. Mit gutem Grund. Unverheirateten Frauen geht es einfach besser. Sie sind unabhängiger, beruflich erfolgreicher und haben weniger Hausarbeit am Hals." So Schwarzer. Es ist jedoch keine Leistung, nicht verheiratet zu sein, sondern dieses geschieht aus tiefer, innerer Not.

"Der Feminismus arbeitet sehr effektiv über die 'Schuldschiene'"

Hätte man nicht von Institutionen wie bürgerlichen Parteien und Kirchen die Abwehr des Feminismus erwarten können?

Flöttmann: Widerstand hat es nur von seiten der katholischen Kirche gegeben. Der Feminismus hat sehr effektiv über die Schuldschiene gearbeitet: Die Männer, die Familie, das Kinderkriegen, alles war für vermeintliche Mißstände verantwortlich und galt als rückständig. Diesem mit Macht vorgetragenen Angriff waren die Institutionen nicht gewachsen. Es wurde allgemein zugelassen, daß heute auf Frauen, die sich für Mutterschaft statt für die Arbeit entscheiden, ein starker Meinungsdruck liegt: "Die ruht sich aus! Die will sich der beruflichen Herausforderung nicht stellen!" So werden in ihnen Gefühle der Minderwertigkeit geschürt. Frauen, die sich unter diesem Druck für Mutterschaft und Beruf entscheiden, überfordern sich oft durch die Mehrfachbelastung.

Kritiker wie Philip Longman in dieser Zeitung oder die Journalistin Eva Herman unlängst in "Cicero" beklagen, der Feminismus hätte die Frauen erst recht in eine Ausbeutungs- bzw. Selbstausbeutungssituation manövriert.

Flöttmann: Ja, die feministische Unterstellung, daß Frauen wie Männer seien und deswegen Männerarbeit zu verrichten hätten, hat viele Frauen in einen unlösbaren Konflikt geführt: Geldverdienen gegen Mutterschaft. Sie überfordern sich, um die allgemein geforderten Ansprüche zu erfüllen.

"Kinderarmut entspringt nicht dem Mangel an Kindergartenplätzen"

Sie stellen einen grundsätzlich falschen gesellschaftlichen Kurs in puncto Elternschaft und Familie fest. Nun bemüht sich die Politik allerdings, das Problem "innerhalb" dieses Kurses in den Griff zu bekommen: Die etablierten Parteien unterscheiden sich nur graduell. Keine ist wirklich bereit, auf die "Errungenschaften" des Feminismus und auf einen ungebremsten Materialismus zugunsten eines wirklich kinderfreundlichen Umschwungs für Eltern- und Familienschaft zu verzichten.

Flöttmann: Politiker sind keine Eltern. Bei den Eltern aber sollte die Erziehung zu einem später verantwortungsbewußten Vater oder einer sorgenden Mutter ansetzen. Es stimmt, daß Medien und Politik den Menschen vorgaukeln, die Kinderarmut entspringe dem Mangel an Ersatzmüttern und Kindergartenplätzen. Eine Politik, die das Leistungsstreben verherrlicht, es zuläßt, daß Kind und Familie seit Jahrzehnten in Verruf gebracht werden, zerstört die Grundlagen unseres Staats. Als benachteiligt gilt bei uns immer noch eine kinderreiche Familie. Benachteiligt ist tatsächlich aber die kinderlose Karrierefrau - nämlich in ihrem Lebensglück. Oft wird sie sich ihrer Einsamkeit erst im Alter bewußt.

Die Bosch-Studie enthält noch ein weiteres niederschmetterndes Ergebnis: 75 Prozent der Befragten verbinden mit Kindern keinen Gewinn an Lebensfreude!

Flöttmann: Hinter dieser Zahl verbirgt sich vor allem Depressivität. Statistiker befragen die Deutschen nach den Gründen für die Kinderlosigkeit. Was sie zu hören bekommen, sind häufig vorgeschobene Motive. Der Einzelne sucht ebenso wie die Öffentlichkeit nach Erklärungen, ohne sich der Verdrängungsmechanismen bewußt zu sein, die in die Lebens- und Kinderarmut führen. Über die tiefenpsychologischen Hintergründe wird in der Öffentlichkeit überhaupt noch nicht diskutiert oder nachgedacht.

Was hindert so viele Deutsche also tatsächlich daran, sich auf Kinder zu freuen?

Flöttmann: Die eigene Infantilität, die unbewußte Weigerung, sich zu einem erwachsenen Menschen, sich zu Vater oder Mutter zu entwickeln, treibt die Menschen in die Kinderlosigkeit. Wer wie ich täglich mit den seelischen Problemen unseres Volkes zu tun hat, der stellt fest, wie viele Menschen einer gänzlich unbewußten Infantilität unterliegen. Sie haben Angst und keine innere Erlaubnis, Vater und Mutter zu werden, Kinder in Verantwortung und lebenslanger Treue großzuziehen. Unterstützt werden
diese Ängste in verhängnisvoller Weise durch die feministische Ideologie, die gegen die Familie, die Mutterschaft und gegen die Männer ein enormes Feindbild aufgebaut und im öffentlichen Leben durchgesetzt hat. Der Wunsch nach einem Kind ist jedoch in den Seelen aller tief verwurzelt.

Warum wünscht sich der Mensch an sich Kinder so sehr?

Flöttmann: Kinder sind Ausdruck von Lebensbejahung. Kinder erfreuen unser Gemüt. Sie spenden Glück und Freude. Geld aber macht nicht glücklich. Kinder schaffen tiefe, innere Zufriedenheit. Sie fördern das Erwachsensein, die innere Reife, die Ablösung vom Elternhaus. Sie zu erziehen heißt, Verantwortung zu tragen und Konfliktfähigkeit zu erlernen. Kinder sorgen später als Erwachsene für das Auskommen ihrer Eltern. Ob der Kinderwunsch in einem lebendig ist oder verblaßt, sich erfüllt oder verhungert, darüber bestimmen mehrere Faktoren: der Glaube und der Zeitgeist, vor allem aber das innere und unbewußte Verbot, Kinder haben zu dürfen. Der Kinderlose ist zumeist in bezug auf seine Fortpflanzung infantil, das heißt unreif geblieben. Kindergroßziehen zum Wohl der Kinder heißt nicht allein Freude, Glück und Zufriedenheit zu empfinden, sondern es bedeutet auch lebenslange Treue, es fordert Fürsorge, Verzicht und Verantwortung. Diese Werte sind heute oft nicht sehr angesehen. So beschließen Frauen und Männer, keine Kinder in die Welt zu setzen oder sie gleich nach der Geburt an den Staat zu übergeben, ganz so wie er es vorschreiben möchte. Zudem bestimmt Leistung das Leben der modernen Frau. Der Leistungswille der Frau läßt die Freude an Kindern in ihrer Seele vertrocknen. Ihre Fruchtbarkeit verkümmert. Die Pflanze der Liebe, das Kind, darbt und welkt in der Seele der Eltern. Kinderarmut ist Armut des Lebens.

"Bewußtwerdung des verborgenen Kinderwunsches"

Wir bekommen keine Kinder, weil wir selbst Kinder geblieben sind?

Flöttmann: Nach meiner langjährigen beruflichen Erfahrung ist diese Frage zu bejahen. Vor der Entwicklung der Anti-Baby-Pille wurden Kinder einfach geboren. Mit dieser Pille sind Mann und Frau plötzlich einer großen Freiheit ausgesetzt, der sie bisher zumeist nicht gewachsen sind. Sie wissen nicht, warum sie sich keine Kinder gönnen. Mittels der Kinder wird der Mensch erwachsen.

Die Infantilität erscheint noch weit mehr als der Feminismus unserer historischen gesellschaftlichen Entwicklung zu entspringen. Was kann also überhaupt gegen dieses Problem unternommen werden?

Flöttmann: Es gilt, sich zu entwickeln, seine Persönlichkeit zur Reife zu bringen. In der Bewußtwerdung über die verborgenen Kinderwünsche liegt eine bedeutende kulturelle Herausforderung.

 

Dr. Holger Bertrand Flöttmann. Der Facharzt für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapeutische Medizin provoziert mit seinen Thesen zum Kindermangel der Deutschen und zum Feminismus. Flöttmann ist Leiter des privaten Wilhelm-Griesinger-Instituts in Kiel ( www.wilhelm-griesinger-institut.de ).

Jüngst erschien sein neues Buch "Steuerrecht des Lebens" (Novum, 2006). Darin beschäftigt er sich unter anderem mit den psychologischen Ursachen des Geburtenschwundes wie mangelnder Persönlichkeitsreifung als Problem unserer Gesellschaft oder dem Angriff auf die Familie. Geboren wurde Flöttmann 1946 in Gütersloh.

 

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