© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 28/06 07. Juli 2006

Richard Wagner
Der Träumer
von Andrzej Madela

Endlich wieder den Mut zu haben, einen "Traum von Deutschland" zu träumen, fordert der Berliner Schriftsteller Richard Wagner. Wie Matthias Matussek und Florian Langenscheidt hat Wagner ein "Patriotismus-Buch" vorgelegt - freilich von ganz anderem Kaliber. "Der deutsche Horizont. Vom Schicksal eines guten Landes" (Aufbau, 2006) ergeht sich nicht in politisch korrektem Patriotismus-Biedermeier, sondern legt den Finger in die Wunde. Wo Matussek und Langenscheidt in einer schwarz-rot-gold gewendeten 68er-Republik schwelgen, stößt Wagner zum deutschen Kern vor: fordert nationales Eigeninteresse statt Political Correctness und den Primat der Existenzfrage vor der ewigen Schuldfrage. Kein Wunder, daß das Anfeindungen provoziert.

Dabei ist Wagner eigentlich aus anderem Zusammenhang bekannt: 1952 im rumänischen Banat geboren, widmete er sich vor allem Südosteuropa. Er studierte Germanistik und Romanistik und verließ das Land nach langem Arbeits- und Veröffentlichungsverbot zwei Jahre vor dem Sturz Ceausescus.

Im "Sturz des Tyrannen" (1990), "Völker ohne Signale" (1992) und "Mythendämmerung" (1993) erhielt der Leser die kompakteste Geschichte der ausgebliebenen Modernität Südosteuropas. Das Wesentliche: "Der Balkan" erweist sich als Zuschreibung westlicher Imagination, die mit der verwirrenden Vermengung von Religionen, Ethnien und Nationalmythen nicht zurechtkommt und eine Gemeinsamkeit schafft, zu der kein dort ansässiges Volk wirklich gehören will.

Im Gegensatz zu Peter Handkes Reisen in die weinerliche Serbenverklärung hinein bewegt sich Wagner viel nüchterner: "Der leere Himmel. Reise in das Innere des Balkan" (2003) ist ein Streifzug ausschließlich in die Mentalitätsgeschichte. Und der Streifzügler fördert Erstaunliches zutage: Geradezu ungebundene Völker mit nur geringer Erfahrung eigener Staatsform, religiös vielfach überlagert, sieht er von den Großmächten zu immer neuen Staatsgebilden zusammengeschoben. Da sozialer und nationaler Zusammenhalt fehlen und ökonomische Leistung ausbleibt, wackelt das Gebilde, sobald das Kräfteverhältnis der Großmächte aus dem Gleichgewicht gerät. Eine echte Modernisierung greift hier nicht, deren "drittklassigen Ersatz" leistet die nationalistische Überhöhung: Amselfeld statt Autobahn, Sarajevo statt Straßenbau, Belgrad statt Bodenschätze.

Unübersehbar beim Autor auch die historischen Folgen dieser Konstellation: Nach 1945 gibt der siegreiche Westen, um Deutschland und Österreich endgültig zu schwächen, Südosteuropa preis, nimmt dessen Isolierung in Kauf und koppelt ihn von jeglicher Modernisierung ab. Nach dem Sturz des Kommunismus bekommt er aber erneut genau dasselbe Problem auf den Tisch, das er sechzig Jahre zuvor von ebenjenem gewischt zu haben glaubte. Es gibt in Deutschland nicht sehr viele, die dies so deutlich benennen können.


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