© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 28/06 07. Juli 2006

Pankraz,
das Genie und der unechte Goldhelm

Rembrandt Harmenszoon van Rijn, dessen vierhundertster Geburtstag jetzt überall so innig gefeiert wird, ist vielleicht das unglücklichste Genie gewesen, das je gelebt hat. Ihm, dem so Lebens- und Liebeslustigen, starben vor der Zeit seine geliebten Ehefrauen und Kinder weg, und er erlebte ihre Tode hautnah. Er, der Besitz- und Sammellustige, mußte in Krisenzeiten (wie dem englisch-niederländischen Seekrieg 1652 bis 1654) alle seine Schätze und Kuriositäten - weit unter Wert - wieder verkaufen und stand am Ende trotzdem vereinsamt und mittellos da. Er, der wohl wunderbarste und uneigennützigste Lehrer und Meister, der je gelebt hat, wurde von seinen Schülern - unabsichtlich - um ein Gutteil seines Nachruhms gebracht und gilt nun in einigen Quartieren vorrangig als Firmenmarke, als wäre er irgendein Vasarely oder Dali.

Das letztere empfindet Pankraz als besonders bitter. Es wirkt wie die gemeine Rache eifersüchtiger Götter, die hier einmal in Gestalt griesgrämiger Experten und pingeliger Restauratoren auftreten. Einst hütete die Nachwelt über 600 herrliche Rembrandtgemälde; seit Einsetzen der "Abschreibungswelle" am Anfang des zwanzigsten Jahrhundert sind davon noch etwa 300 übriggeblieben, und es werden immer weniger. Bei den Zeichnungen sieht die Bilanz sogar noch verheerender aus. Einzig an den Radierungen haben sich die Experten und "Experten" bisher die Zähne ausgebissen.

Was hat man eigentlich von all diesen "Abschreibungen"? Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, als sei da viel, allzu viel, postume Wichtigtuerei und Besserwisserei im Spiel, ein Gestus der "Entlarvung", der sein Genügen an sich selber findet und dem auch Häme und Schadenfreude beigemischt sind. Dabei wissen die Experten ganz genau, daß Rembrandt nichts weniger war als ein arroganter Firmenchef, der sich mit fremdem Federn schmückte und skrupellos Meisterwerke vereinnahmte und mit seinem Namen abzeichnete, die "Untergebene" angefertigt hatten. Das genaue Gegenteil war bekanntlich der Fall.

Schon der ganz junge, gerade sechzehnjährige Rembrandt war ganz ohne Autorenehrgeiz, mit Haut und Haaren einzig der Sache hingegeben. Zusammen mit einem Freund und Kumpel, Jan Lievens, machte er in Leyden ein Atelier auf, das die beiden als eine Art Turnierstätte und Scherzfabrik betrieben. Der eine fing ein Gemälde an, das der andere fertigmalen mußte und zu dem der erste parallel eine Radierung herstellte, damit man am Ende vergleichen konnte, ob der Weitermaler die Absichten des Urmalers erkannt und "richtig" umgesetzt oder ob er sie sogar übertroffen hatte. Dauernd wechselten die Plätze zwischen Maler und Radierer. Am Ende wußten die beiden selbst nicht mehr, wer nun was gemalt bzw. radiert hatte.

Später in Amsterdam entfaltete Rembrandt einen pädagogischen Eros, der schier platonische Ausmaße annahm und sein Atelier zu einer einzigartigen Werkstätte geistigen und handwerklichen Austauschs und gegenseitigen Inspirierens und Vollendens machte. Es war eine Sternstunde der Kunst wie der akademischen Lehre. Die örtliche St. Lukasgilde mußte dauernd einschreiten, weil sich Rembrandt in seiner lehrenden Begeisterung nicht an die Zunftvorschriften hielt, mehr Schüler bzw. "Gesellen" annahm, als erlaubt waren, und ihnen zu viele Freiheiten ließ, ihnen z. B. Themen gestattete, die in keinem Lehrbuch und in keiner Vorlagen-Sammlung verzeichnet waren.

Gerard Dou, Arent de Gelder, Ferdinand Bol, Govaert Flinck, Nicolaes Maes, Samuel van Hoogstraaten, Carel Fabritius sind so zu großen Mal- und Zeichenmeistern des "Goldenen Zeitalters" geworden, und in faktisch allen ihren Arbeiten steckt Rembrandt drin, wie andererseits manches von ihnen in den Werken von Rembrandt steckt. Dieser selbst blieb bis fast ganz zuletzt der von allen anerkannte Lehrer und Meister, der zudem stets für die großen Aufträge sorgte, zuerst über seinen Schwippschwager, den internationalen Kunsthändler Hendrik van Uylenburgh, später als selbständiger Unternehmer, der mit dem Haager Hof ebenso einträgliche Verträge abschloß wie mit dem berühmten italienischen Agenten Antonio Ruffo.

Bei weitem nicht alles, was aus Rembrandts Werkstatt kam oder von ihm an die Kunsthändler ausgeliefert wurde, war ordentlich signiert. Es waren aber alles "Rembrandts", an ihrer Meisterlichkeit bestand kein Zweifel, und so wurden sie auch als "Rembrandts" bezahlt, beschriftet und archiviert. Zwei, drei Signaturen sind nachweislich im 18. Jahrhundert hinzugefügt worden. Aber erst im neunzehnten Jahrhundert, im anbrechenden Zeitalter sowohl des Geniekults als auch der "Authentizität" (und der daraus sich ableitenden Preistreiberei) wurde die Frage wichtig, ob es sich um einen "echten" Rembrandt handelte oder "nur" um ein "Werkstattbild".

Prachtvolle Schöpfungen wie "Simeon und Hanna im Tempel" (1627), "Junges Mädchen in Phantasietracht" (1636) oder "Bildnis des Maurits Huygens" (datiert auf 1632) gerieten nun unter Verdacht der "Unechtheit", von dem populären "Mann mit dem Goldhelm" zu schweigen, um dessen (angeblich) verlorene Authentizität Berlin heute noch trauert. Rembrandt-Liebhaber können sich allein damit trösten, daß trotz aller Abschreiberei noch genug "original Rembrandt" übrig bleibt und die Kontur des Künstlergenies nach wie vor in aller Schärfe vor uns steht. Aber degoutant und verächtlich bleibt die Affäre dennoch.

Man bedenke doch, was heutzutage alles für Authentizitäts-Ansprüche erhoben werden! Ein Sandloch von Walter de Maria, ein vollgepinkeltes Einmachglas von Andres Serrano - sie genießen ungeniert das, was dem "Mann mit dem Goldhelm" so rabiat abgesprochen wird. Ihre Authentizität ist urheberrechtlich und patentamtlich geschützt, kein Experte darf sie anzweifeln. Aber wen kümmert schon, wer hier ein Loch gegraben oder dort ein Einmachglas gefüllt hat und womit. Einer Werkstatt bedarf es dazu nicht.


Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen