© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 29/06 14. Juli 2006

Ringen um Identität
Warum die Deutschen erst zu sich selbst fi nden müssen, bevor sie andere integrieren können
Kurt Zach

Wenn einer nicht mehr weiterweiß, dann gründet er 'nen Arbeitskreis" - längst gehört diese goldene Regel unfähigen Managements zum Standardrepertoire des deutschen Politikbetriebs. Der Gipfel sind die diversen Gipfel, die das Land periodisch heimsuchen und eine Häckselspur von Phrasendrusch und Wichtigtuerei ziehen, die vom rauhen Alltagswind alsbald wieder verweht wird und außer der fahlen Erinnerung an allerlei Spesen nichts hinterläßt.

Der "Integrationsgipfel", der an diesem Freitag im Kanzleramt stattfindet, wird in dieser Hinsicht keine Ausnahme bilden: viele fromme Appelle und Binsenweisheiten, von denen am Ende dann die gegenseitige Versicherung übrigbleibt, baldmöglichst noch mehr Mittel für zusätzliche Integrationsprogramme lockerzumachen. Das freut die von Arbeitslosigkeit bedrohten Sozialpädagogen; den Haßprediger in seinem Moscheezentrum, den halbstarken arabischen "Gangsta" ohne Hauptschulabschluß in Neukölln erreicht man damit kaum.

Der Grund dafür liegt auf der Hand: Noch immer beschäftigen sich mit der Integration von Einwanderern vornehmlich Bürokraten, Soziologen und Multikulturalismus-Ideologen; Menschen also, die gesellschaftliche Aufgaben wie Ingenieursprobleme betrachten und glauben, man könnte Ausländer zu Deutschen machen, wie man Zigaretten am Automaten kauft: oben in die Maschinerie ein paar Milliarden einwerfen, unten kommt dann ein Päckchen Integration heraus.

Nur so konnte sich über Jahrzehnte der Fundamentalirrtum halten, Integration sei eine Leistung, die der alles bevormundende Wohlfahrtsstaat möglichst komfortabel bereitzustellen habe und nicht etwa der Einwanderer selbst erbringen müsse, um seine Chance zu nutzen. Das ist der wesentliche Unterschied zwischen Deutschland, das von seinen politischen Eliten inzwischen unisono zum "Einwanderungsland" erklärt wird, und tatsächlichen Einwanderungsländern. Diese suchen sich nämlich sehr genau aus, wen sie ins Land lassen, und machen die Entscheidung nicht an humanitären und menschenrechtlichen Universalismen fest, sondern an nüchternen und konkreten Nützlichkeitserwägungen.

Das macht diese Länder für Hochqualifizierte aus aller Welt - in steigendem Maße auch aus Deutschland - so attraktiv. Die besten Köpfe aus Schwellen- und Entwicklungsländern rackern und sparen jahrelang, um endlich die Voraussetzungen zu erfüllen, nach Kanada oder Australien zu dürfen. Nach Deutschland wollen derlei Hochmotivierte selten, und wenn man sie noch so sehr mit aufgesetzter Rhetorik umwirbt.

Integrationsprobleme bereiten solche Einwanderer kaum: Wer schon vor dem Grenzübertritt nachweisen muß, daß er über eine erstklassige Berufsausbildung, gute Sprachkenntnisse, ein ausreichendes Vermögen und die Fähigkeit verfügt, sich und seine Familie selbst zu ernähren, hat damit seine Integrationsbereitschaft zur Genüge unter Beweis gestellt und braucht hinterher keine Nachhilfe mehr. Der Eid auf Fahne und Verfassung ist dann nur noch Formsache.

Die beste Integrationspolitik ist also eine Einwanderungspolitik, die Integrationswillige und -fähige bereits im Vorfeld identifiziert und andere gar nicht erst über die Grenzen läßt. Deutschland ist den umgekehrten Weg gegangen und hat sich dadurch erst ein massives Integra- tionsproblem eingehandelt.

Mit der zunehmenden Einwanderung vor allem in die Sozialsysteme und in die Arbeitslosigkeit sind Ghettos und Parallelgesellschaften entstanden, haben sich gewaltbereite und extremistische Subkulturen der Frustrierten gebildet. Um diese Probleme zu begrenzen oder wenigstens nicht weiter anwachsen zu lassen, bräuchte Deutschland daher zuerst eine Einwanderungspolitik, die Wohltaten kappt, die Hürden hochlegt und notorisch Unwilligen die Türe weist. Selbst eine altgediente Multikulturalistin wie die frühere Berliner Ausländerbeauftragte Barbara John (CDU) hat inzwischen erkannt, daß die großzügige materielle Versorgung von Einwanderern mit Sozialleistungen und deren mangelnde Integrations- und Leistungsbereitschaft einander bedingen.

Gleichwohl steht zu erwarten, daß auch der "Integrationsgipfel" diesen elementaren Zusammenhang von Integrations- und Einwanderungspolitik wie gehabt ignorieren und das Feld weiterhin den Bürokraten und Sozialingenieuren überlassen wird. Was immer man an Reparaturmaßnahmen beraten oder beschließen mag - schärfere Fragebögen und Einbürgerungstest, Verfassungseide und feierliche Paßverleihungszeremonien, noch mehr Kurse und Programme zur Alimentierung der wachsenden Klientel der Multikulturalismus-Profiteure -, es wird gut gemeint sein, aber ohne ein Umsteuern in der Einwanderungspolitik nutz- und wirkungslos verpuffen.

Dies schon deshalb, weil nebulös ist, wohin ein Neubürger sich überhaupt integrieren soll. Eine Nation, die andere integrieren will, muß sich zunächst einmal ihrer selbst gewiß sein. Ein perfektionistischer Wohlfahrtsstaat, überwölbt von universalistischen Hilfskonstrukten wie dem "Verfassungspatriotismus", ist kein Ersatz für nationale Identität.

Integrierte Einwanderer wie die aus der Türkei stammende Publizistin Necla Kelek müssen die Deutschen erst darauf aufmerksam machen, daß es an ihrem Land eine Menge gibt, worauf sie stolz sein können. Negativdefinitionen wie der Hinweis, wer durch den Erwerb des Passes "Deutscher" werde, müsse sich auch zu besonderen historischen Schuldgefühlen bekennen, sind für potentielle Neubürger alles andere als verlockend. Was aber heißt "Deutschsein" positiv?

Das kann man nicht von oben dekretieren. "Leitkultur" kann man nicht definieren und in Ausschüssen beraten, so wie NRW-"Integrationsminister" Armin Laschet sich das vorstellt: Deutsche und Ausländer setzen sich an einen Tisch, jeder bringt ein paar Werte ein, und am Ende kommt ein leitkultureller Großer Koalitionsvertrag heraus, den alle unterschreiben können. Leitkultur kann nur gelebt werden - von einem Gemeinwesen, das seine Werte und Tradition so selbstverständlich verinnerlicht hat und aus ihnen heraus existiert, daß es für Außenstehende attraktiv ist, dazuzugehören. Bevor die Deutschen erfolgreich Einwanderer integrieren können, müssen sie sich also erst einmal selbst integrieren.

Deutschlands größtes Integrationsproblem auf diesem Weg sind freilich die übellaunigen Nationalneurotiker, die ihre publizistische und institutionelle Macht vor allem dazu benutzen, um vom Katheder herab den Deutschen das Recht auf Patriotismus ausreden wollen. Ein Überwinden der geistigen Vormundschaft dieser Ewiggestrigen wäre für die Integration der Integrierbaren wertvoller als jedes Gipfel-Palaver im Kanzleramt.


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