© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 29/06 14. Juli 2006

Außenpolitisch unbedarft
Polen I: Präsidentenbruder Jarosław Kaczynski wird Regierungschef / Erschreckender Mangel an diplomatischem Geschick
Andrzej Madela

Nach dem politischen Leichtgewicht Kazimierz Marcinkiewicz wirft nun der einige Klassen höher einzustufende Jarosław Kaczyński, Chef der Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS), seinen Hut in den Ring. Der am Montag erfolgte Wechsel an der Regierungsspitze erfolgt in der gereizten Atmosphäre eines politischen Skandals um die taz-Satire "Polens neue Kartoffel", der die politische Führung in Warschau völlig unangemessen begegnet ist.

Die überzogenen Reaktionen von Außenministerium und PiS-Führung offenbarten vor allem eines: einen eklatanten Mangel an außenpolitischer Gelassenheit und diplomatischem Feingefühl sowie einen Mangel an erfahrenen Diplomaten mit (fremd)sprachlicher Kompetenz, die einen Staatschef erst in die Lage versetzen, Ernst, Ironie und tiefere Bedeutung auseinanderzuhalten. Daß diesem Skandal ein nächster in Form einer "gesundheitsbedingten" Absage des Gipfeltreffens des "Weimarer Dreiecks" folgte, isolierte Präsident Lech Kaczyński von seinen Amtskollegen aus Berlin und Paris. Die Umstände seiner scheinheiligen Indisponiertheit rückten die Unprofessionalität seiner glücklos agierenden Außenministerin Anna Fotyga jäh ins Rampenlicht.

Das alles muß der neuernannte Ministerpräsident Jarosław Kaczyński richten. In mehrfacher Hinsicht ist sein Antritt mit einem spürbaren Wechsel der Amtsgeschäfte gleichzusetzen. Zum einen macht er endlich Schluß mit der künstlichen und schwer vermittelbaren Teilung in ein formelles und ein tatsächliches Machtzentrum, bei der ein einflußarmer und entscheidungsschwacher Premier Marcinkiewicz nicht Herr seiner Entschlüsse war (JF 21/06). Die zeitraubende und oft aufwendige Vermittlung zwischen dem PiS-Parteipolitiker Jarosław Kaczyński (der bislang kein Regierungsamt innehatte) und seinen Koalitionären von linkspopulistischen Samoobrona und der nationalkatholischen Liga Polnischer Familien (LPR), die jeweils im Range eines Premierstellvertreters die Regierungsarbeit vorantrieben, ist Geschichte - der eigentliche Initiator der Regierungskoalition nun auch ihr formeller Führer.

Zum zweiten verkürzt Jarosław Kaczyński den politischen Weg zwischen Kabinett und Präsident auf ein Minimum. Im Gegensatz zu seinem Vorgänger hat er freien Zugang zum einflußreichen Staatsoberhaupt und ist diesem eine wirkliche Stütze. Viel mehr als Marcinkiewicz ist er ein Vollstrecker präsidentiellen Willens, so daß schwerwiegende Konflikte zwischen Kabinett und Präsident eher unwahrscheinlich sind.

Vizepremier Lepper der zweite starke Mann

Zum dritten ist damit die Überlebensfähigkeit des Kabinetts gewachsen, soweit es nicht an überzogenen Forderungen der kleinen Koalitionspartner LPR und Samoobrona in Schwierigkeiten geraten soll. Besonders die LPR unter dem erst 35jährigen Roman Giertych, der dem Kabinett als Vizepremier und Bildungsminister angehört, verliert aber zur Zeit rapide an Zustimmung. Sie wird sich also hüten, Krisen zu veranlassen, die in Neuwahlen münden könnten. Anders die Samoobrona des Vizepremier und Agrarministers Andrzej Lepper: Die Zustimmung zu seiner Politik steigt, so daß er neben Jarosław Kaczyński der zweite starke Mann dieser Regierung ist. Seine Rolle ist gewachsen, der künftige Premier wird mit ihm Kompromisse suchen müssen.

Exekutive und (halbe) Legislative sind künftig in den Händen einer Familie. Steckt Polen nun damit endgültig im Würgegriff der machtbewußten Zwillingsbrüder, wie viele westliche Kommentatoren schreiben? Diese Behauptung ist meilenweit von der eigentlichen Gefahr entfernt. Diese besteht viel eher darin, daß die - bisweilen unvermeidbare - Forcierung der Regierungsposition gegen das Staatsoberhaupt hier aus Achtung vor dem Amt unterbleiben könnte, daß also eine Mischung aus brüderlicher Rücksicht und staatsrechtlichem Respekt den nötigen Reformwillen niederdrückt.

Die zweite Gefahr ist nicht minder bedeutend. Polens Staatsoberhaupt hat gegenüber der Regierung eine Richtlinienkompetenz vor allem in punkto Außenpolitik, Verteidigung und Sicherheit. Durch die Ämtertrennung zwischen Präsident und Premier bleibt der erstere dem alltäglichen Parteigezerre fern. Diese Barriere könnte nun allerdings erheblich verringert werden, da der Ministerpräsident sich vor allem als Diener des Staatsoberhaupts, viel weniger hingegen als selbständiges politisches Subjekt begreift. Der Präsident könnte sich veranlaßt sehen, wirklich zu regieren und das Kabinett nicht als einen Partner, sondern als seinen verlängerten Arm zu betrachten.

Schließlich ist da noch die Gefahr der Selbstisolation. Sowohl Präsident Lech wie Premier Jarosław Kaczyński sind - als einstige Solidarność-Juristen - geborene Innen- und Rechts- aber keine Außenpolitiker. In der taz-Affäre war es letzterer, der, von jeglicher Einsicht in außenpolitische Belange unbeleckt, den völlig überbewerteten Artikel zum Politikum erhob, seinen mäßigenden Einfluß auf den Parteivorstand vermissen ließ und diesen gar zu Überlegungen veranlaßte, ob der taz-Autor gerichtlich belangt werden könne.

Der Fall offenbart einen erschrekkenden Mangel an diplomatischem Geschick und einen Überschuß an Emotion gegenüber kühler Rationalität - beides Dinge, die er mit seinem Bruder offensichtlich gemeinsam hat und die auf politischem Parkett - speziell auch innerhalb der EU - schnell einsam machen können.

Foto: Präsident Lech Kaczynski (r.) mit Zwillingsbruder Jarosław: Initiator der Regierungskoalition


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