© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 29/06 14. Juli 2006

Subventionierte Verwüstung
Spanien: Geringe Regenmengen, Intensiv-Landwirtschaft und eine verfehlte Förderpolitik der EU fördern die Wüstenbildung
Michael Howanietz

Vertrocknete Flußbetten, ausgedorrte Stauseen und bereits aufgebrauchte Wasserreserven. Nach dem Dürrejahr 2005 steht der Süden Spaniens und mit ihm dem ganzen Mittelmeerraum vor einer weiteren Dürrekatastrophe. Vor allem für die Iberer stehen seit Jahren die Zeichen auf Rot. Denn Berichten der Vereinten Nationen zufolge sind über 30 Prozent der Landesgebietes von der Wüstenbildung bedroht - einer menschlich forcierten.

Brüsseler Subventionen
versickern im Wüstensand

Die meisten Wüsten auf unserem Planeten sind sogenannte Wendekreiswüsten, die um den 23. Breitengrad nördlich und südlich des Äquators liegen (Beispiel Sahara/Afrika). Ihre Entfaltung ist auf Windströmungen zurückzuführen, die durch die Erddrehung in der Atmosphäre entstehen. Im Windschatten von Bergen kommt es zur Bildung von Reliefwüsten (Mojave/USA). Kalte Meeresströmungen und die aus ihnen resultierende Trockenheit sind für die Entstehung von Inlandwüsten (Gobi/China; Mongolei) und Küstenwüsten (Atacama/Chile) verantwortlich.

All diese geographischen und klimatischen Voraussetzungen bewirken die Entstehung von Wüsten, nicht aber für deren Ausbreitung. Diese ist auf menschliche Einflußnahmen zurückzuführen. Die Ursachen der rapide zunehmenden Wüstenbildung (Desertifikation, Desertifizierung) sind Holzschlag, Ackerbau in Trockengebieten, Überweidung durch intensive Viehzucht und Wasservergeudung. Mit anderen Worten: Erderwärmung, Bevölkerungswachstum und der Globalisierungsprozeß lassen grüßen.

Anläßlich des Weltwüstentages am 17. Juni 2005 warnten Klimaexperten vor der fortschreitenden Wüstenbildung. Die Daten einer 22 Millionen US-Dollar teuren Studie, an der 1.300 Forscher aus 95 Ländern beteiligt waren, zeigen, daß von der Desertifikation mehr Menschen (zwei Milliarden) betroffen sind als von jedem anderen Umweltproblem.

Wassermangel ist die erste, schwerwiegendste Folge der Bodenaustrocknung. Immer öfter führt aber auch die Zunahme von Staubstürmen zu Krankheiten (Fieber, Husten, Augenleiden ...), die mitunter tödlich enden. Schließlich zieht am unheilgeröteten Horizont versandender Landstriche eine weitere Entwicklung herauf: Die Zahl der Klima- bzw. Umweltflüchtlinge wächst direkt proportional zur Ausbreitung der Wüsten. Nicht nur diese letztgenannte wird zunehmend auch zu einer europäischen Herausforderung. Ort des medial minderbeachteten Geschehens ist der Süden Spaniens.

Schauplatz Castril: Dem südspanischen Dorf wurden bereits zu Kolumbus' Zeiten die Wasserrechte zuerkannt. Die Bewohner bezahlten wenig für das kostbare Naß und verbrauchten es maßlos. Das 3.000-Seelen-Dorf wies einen Wasserverbrauch auf, der dem einer Kleinstadt mit zehnfacher Einwohnerzahl entspricht. Die Zeiten, da haltlose Verschwendungssucht buchstäblich aus dem vollen schöpfen konnte, endeten mit dem Hitzejahr 2005, konkret mit der Installation von Wasseruhren.

Schauplatz Mancha: Die weiten Feuchtgebiete der Mancha sind nahezu völlig ausgetrocknet. Primärursache, so Manuel Carrasco, Direktor des Nationalparks Tablas de Daimiel, gegenüber dem Online-Magazin Der Bund, ist die exzessive Landwirtschaft. Standen vor wenigen Jahren noch zwanzig Quadratkilometer der Region unter Wasser, ist es heute weniger als ein Quadratkilometer. Wo, so weit der Blick, einst auch das Wasser reichte, begegnet man heute vertrockneten Schilfgürteln und rissigen Lehmböden. Die Wasservögel sind verschwunden, in den Flußbetten wachsen Sträucher und Bäume.

"Und dabei stehen wir erst am Anfang eines Trockenzyklus", gibt Carrasco zu bedenken. Daran aber sei nicht nur der fehlende Regen schuld. Die Verwüstung ganzer Landesteile gehe überwiegend auf das Konto der Intensiv-Landwirtschaft. Aus der Grundwasserschicht werde seit Ende der 1970er Jahre mehr Wasser entnommen, als durch Niederschläge nachfließt. Der Grundwasserspiegel liege heute 23 Meter tiefer als ehedem. Im Umland seien über 60.000 illegale Brunnen gebohrt worden, durch die dreimal mehr Wasser entnommen werde, als legal gefördert werden dürfe.

Der spanische Staat ist an dieser Entwicklung keineswegs schuldlos. Wurde das Wasser noch vor wenigen Jahrzehnten mit von Eseln angetriebenen Schaufelrädern und alsbald Elektropumpen gefördert, kam es danach zum Bau von Tiefbrunnen. Diesen Modernisierungsprozeß subventionierte die spanische Regierung, ohne die absehbaren Folgen maßloser Entnahmen zu berücksichtigen. "Heute werden die Landwirte für diesen Raubbau von der EU subventioniert", klagt José Manuel Hernandez von der Umweltschutzorganisation Ecologistas en Acción dem Bund. "Sie erhalten Subventionen für die angebauten Produkte, und wenn es durch die Trockenheit zu Ernteausfällen kommt, erhalten sie nochmals öffentliche Gelder."

Tatsächlich versickert ein nicht unwesentlicher Teil der 45 Milliarden Euro, mit denen Brüssel die gemeinsame Agrarpolitik fördert, wie Regen in der Wüste. Rund 80 Prozent des Wassers im Mittelmeerraum verbraucht die Landwirtschaft, und ebendiese wird äußerst großzügig subventioniert.

Ein Kilo spanische Erdbeeren verschlingt 120 Liter

Dies geschieht auf eine Art und Weise, die von Ahnungslosigkeit oder übler Absicht geprägt ist, wie Untersuchungen des WWF belegen. So werden neuerdings auch Olivenhaine geflutet, obgleich die Bäume solcher Tränkung nicht bedürfen und mehr als drei Viertel des eingesetzten Wassers verdunsten und somit wirkungslos bleiben. Einziger für die Landwirte positiver Effekt: Die hohen Erträge lassen sich mit dieser Methode weiter steigern.

Nach offizieller Statistik schlägt das flüssige Fundament jener Überproduktion, auf welcher das ökologische Kartenhaus der europäischen Wegwerfgesellschaft errichtet wurde, wie folgt zu Buche: In Spanien werden 3,6 Millionen Hektar künstlich bewässert. Dieser mit Brüsseler Fördergeldern belohnte Raubbau an beschränkten Ressourcen umschließt auch Pflanzen, die besonders viel Wasser benötigen, wie zum. Deren Kultivierung in trockenen Regionen grenzt an Hybris.

Ein Kilo spanischer Erdbeeren verschlingt 120 Liter. Ein Kilo Tomaten oder die Tonnen von Wassermelonen, die allein Deutschland aus dem Obst- und Gemüseanbaugebiet Almeria im Süden Spaniens bezieht, verschlingen nicht minder vom begehrten Naß.

Solche Verschwendung wird belohnt, den Bauern in anderen EU-Ländern der Geldhahn zugedreht. Umweltbelastend hergestellte und oft hochgiftige, weil extrem pestizidbelastete Obst- und Gemüseimporte aus Spanien überschwemmen somit den mitteleuropäischen Markt.

Heimische Erzeugnisse können in dem von geförderter Billig- und Massenproduktion entfachten Preiswettkampf nicht mithalten. Leidtragende sind die mitteleuropäischen Bauern, die in das existenzbedrohende Niemandsland zwischen Armut und wirtschaftlichem Ruin verbannt werden, aber auch die mitteleuropäischen Konsumenten, die immer häufiger mit minderwertiger, teilweise gesundheitsgefährdender Massenware vorliebnehmen müssen.

Leidtragende sind aber auch Zehntausende Afrikaner, die unter menschenunwürdigen Arbeitsbedingungen in den Obstplantagen der südostspanischen Region El Poniente schuften. Als rechtlose Tagelöhner vegetieren sie in Karton-Baracken. Ihr Arbeitsplatz im spanischen Obst- und Gemüseland der Provinz Almeria, das ihnen kein Schlaraffenland sein will, liegt unter einem Meer von weißen Plastikplanen. Die Atemluft ist mit einem lebensbedrohlichen Spritzmittel-Cocktail angereichert.

Schauplatz Portugal: In Teilen des Landes hat es seit über acht Monaten nicht mehr geregnet. Die heftigste Dürre seit sechzig Jahren und sich schon zu Sommerbeginn ausbreitende Waldbrände sind die Folge. Da zahlreiche spanische Seen, etwa in den Tälern des Segura, nur noch 15 Prozent der möglichen Füllmenge aufweisen, floß die üblicherweise über die Grenze gelangende Wassermenge nur noch spärlich. Portugal verklagte den iberischen Nachbarn daraufhin wegen der Nichteinhaltung vertraglich zugesicherter Wassermengen auf Schadenersatzzahlungen in Höhe von sechs Millionen Euro. Allerdings vergeblich. Spanien zeigte sich uneinsichtig und verwies auf Ausnahmeklauseln. Die beiden Länder verbinden allerdings nicht nur wasserrechtliche Querelen und agrarwirtschaftliche Sündenregister. Da wie dort werden über 60 Prozent der Waldbrände gelegt, von Brandstiftern, die in einem unmittelbaren Soldverhältnis zu Grundstücksspekulanten stehen.

Das Wasser tropft aus löchrigen Leitungen

In Spanien waren von 26 Millionen Hektar Wald und Buschland im vergangenen Jahrzehnt zwei Millionen Hektar von Bränden betroffen. Das ob fehlender Bewirtschaftung angesammelte Unterholz und die ebenfalls subventionierte Aufforstung mit Nadelholz-Monokulturen sorgen zuverlässig für die rasche Ausbreitung des Feuers. Das von der spanischen Regierung erwogene "Berggesetz", das die Umwidmung abgebrannter Flächen in Bauland künftig verhindern soll, ist noch nicht in Kraft getreten. Ebensowenig wurden angekün-digte Maßnahmen zur Sanierung ungenügender Bewässerungsanlagen und lecker Wasserleitungen umgesetzt. Weiterhin verdunsten zwischen zehn und zwanzig Prozent des zu Bewässerungszwecken dort transportierten Wassers in offenen Kanälen. Weiterhin versickert in Andalusien, Portugal und Süditalien die Hälfte des Trinkwassers aus löchrigen Leitungen.

Auch die Tourismuswirtschaft verantwortet einen wachsenden Anteil an der galoppierenden Wasserverknappung und -vergeudung. Bis 2025 sollen 655 Millionen Reisende den Mittelmeerraum beurlauben. Das entspricht einer Verdoppelung der aktuellen Urlauber-Zahlen. Alleine die für den Betrieb von Swimmingpools und Golfplätzen benötigte Wassermenge wird zur Verödung weiterer Landstriche, der Austrocknung der verbliebenen Feuchtgebiete und der Ausrottung zahlreicher Tier- und Pflanzenarten führen.

Sollten, wie prognostiziert, die Durchschnittstemperaturen bis zur Mitte des Jahrhunderts um zwei Grad Celsius ansteigen, würden alle hausgemachten Probleme durch das gleichfalls menschenverursachte Dilemma des Klimawandels potenziert. Anhaltende Hitzewellen, Ernteausfälle und, ob akuten Wassermangels, Verbrauchsbeschränkungen machten den gesamten Mittelmeerraum binnen kürzester Zeit zu einem höchst ungemütlichen Wohnort und einem gewesenen Urlaubsparadies.

Foto: Provinz Almeria im Süden Spaniens, 1974 und 2004: Umweltzerstörung durch Agrarindustrie

 

Stichwort: Desertifikation

Desertifikation kennzeichnet die Ausbreitung wüstenähnlicher Verhältnisse in Gebieten, die aufgrund ihrer Klimabedingungen nicht bestehen dürften. Sie bezeichnet den Prozeß einer durch den Menschen verursachten Landschaftsveränderung. Allzu intensive Bewirtschaftung führt vor allem in Gebieten mit einem trockenen Klima zur Verödung der Böden. Nach Angaben des Projektes zur Desertifikationsbekämpfung in Bonn sind inzwischen in 70 Prozent aller Trockengebiete diese Entwicklungen festzustellen. Eine Fläche etwa dreieinhalb Mal größer als Europa.


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