© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 29/06 14. Juli 2006

Die wirklichste Realität
Unbeugsamer Verfechter der Idee der Nation: Bernard Willms wäre 75 geworden
Dag Krienen

Wer 'den Frieden' mehr liebt als seine Nation und ihre Freiheit, ist nur ein blökendes Schaf. Wer 'den Menschen' mehr liebt, ist schon ein leibhaftiger Schwachkopf, und wer 'die Freiheit' oder 'den Sozialismus' mehr liebt als sein Vaterland, verurteilt sich selbst zum Raketenfutter in der Hand der geballten Nationalismen der Supermächte."

Ein deutscher Politikprofessor, der in den 1980er Jahren solches publizierte, war sich bewußt, daß er damit weder seine akademische Karriere befördern noch sich bei den herrschenden politischen Eliten empfehlen konnte. Aber das war nicht das Ziel jener "Reden aus dem deutschen Elend", die Bernard Willms damals landauf, landab vor allen hielt, die ihn nur hören wollten. Sein ständiges Ceterum censeo, Germaniam esse restituendam entsprang vielmehr einer strengen politischen Ethik. Diese legte ihm nach seinem Selbstverständnis die Pflicht auf, dem nationalen Imperativ auf die Weise zu dienen, wie es einem Philosophieprofessor zukommt: durch "strenges Denken" auf der akademischen Seite und durch "Erziehung zur Nation" auf der öffentlichen.

In dieses Doppelamt wuchs er erst allmählich hinein. Der vor 75 Jahren, am 7. Juli 1931, in Mönchengladbach geborene Bernard Willms hatte zunächst eine Buchhändlerlehre absolviert, bevor er in Köln und dann in Münster Philosophie, Soziologie und Deutsch studierte. 1964 promovierte er bei Joachim Ritter mit einer Dissertation über Fichtes politische Philosophie. Zeitweise Assistent bei dem Soziologen Helmut Schelsky, habilitierte er sich 1969 für Politische Wissenschaften an der Ruhr-Universität Bochum und wurde im Jahr darauf dortselbst Professor für Politische Theorie und Geschichte der Politischen Ideen. Trotzdem verstand sich Willms zeitlebens vor allem als Philosoph.

Auch damit war der Weg zur Idee der Nation und zum nationalen Imperativ noch nicht zwangsläufig beschritten. Als Ideenhistoriker profilierte Willms sich zunächst als ein intimer Kenner der Philosophie des Engländers Thomas Hobbes (1588-1679) und galt bald als der führende Hobbes-Spezialist in Deutschland. Aber in den siebziger Jahren war er auch auf anderen Feldern aktiv, darunter dem der Theorie der internationalen Politik. Man kann sogar vermuten, daß er zunächst über diese Schiene die zentrale Bedeutung der Idee der Nation erfaßte. Praktisch überall auf der Welt leben die Menschen seit dem Abschluß der Dekolonisierung in Staaten, die sich vor allem als unabhängige Nationen verstehen, auch wenn ihre Nationswerdung oft noch in den ersten Anfängen steckt.

Anfang der achtziger Jahre schließlich wandte Willms sich der eigenen, damals noch geteilten Nation zu. Mit seinem Buch über "Die Deutsche Nation. Theorie - Lage - Zukunft" (1982) rehabilitierte er auch für die Deutschen die Idee der Nation. Zugleich begann eine Phase, in der Willms durch Auftritte in außerakademischen Kreisen einem größeren Publikum die Pflicht zur Nation verdeutlichen wollte. Seine geistige Orientierung am Deutschen Idealismus - vor allem an Hegel - hat allerdings eine breitere Rezeption seines Denkens eher behindert. Daß "Ideen" und nicht die bloß empirische Realität im idealistisch-hegelianischen Sinne die Essenz des Wirklichen darstellen, sozusagen die wirklichste Realität bilden, die man sich überhaupt denken kann, war eine Vorstellung, die selbst für viele seiner gutwilligen Zuhörer nur schwer nachzuvollziehen war.

Da er in diesem Sinne von ihrer "Idee" als einer vernünftigen Wirklichkeit ausgeht, haben Nationen zudem für Willms entgegen dem in Deutschland weitverbreiteten Verständnis keine "dingliche" Basis, sie sind nicht anhand von Ethnizität, natürlichen Grenzen oder gar "Rassen" naturwissenschaftlich objektivierbare "Gegenstände". Nationen sind sich historisch-kontingent entwickelnde freie politische Gemeinschaften. "Die Nation ist ein Volk, daß in bezug auf einen bestimmten Raum in der Geschichte hindurch das Bewußtsein eines Wir, eines Ganzen, eines Selbst entwickelt hat, das als dieses Selbst einen gemeinsamen politischen Willen, das heißt einen Staat, ausbilden will und das in unablässiger Bemühung seine Selbstbestimmung und seine Selbstbehauptung politisch geltend macht und geschichtlich durchhält." Wo immer politische Gemeinschaften gemäß dieser Idee existieren, handelt es sich um Nationen. Wobei es nichts verschlägt, wenn die jeweilige bloße empirische Realität gegenüber den strengen Forderungen der Idee Defizite aufweist.

Die Idee der Nation ist einer politischen Philosophie der Freiheit geschuldet. Für Willms war jedoch klar, daß "Freiheit" nicht "erbaulich" zu fordern, sondern in all ihren problematischen Konsequenzen beim Wort zu nehmen ist. Mit der Folge, daß Freiheit nur in einer konkreten Rechtsordnung in einem "starken", souveränen Staat überhaupt als lebbar gedacht werden kann. Wo aber die Notwendigkeit staatlicher Existenz von den Staatsangehörigen akzeptiert wird und sie den jeweiligen Staat als den ihrigen begreifen und erfahren können - bzw. einen Staat fordern, der von ihnen als der ihre begriffen werden kann -, ist die Idee der Nation präsent.

Sie läßt sich somit nicht von rechtsstaatlich geregelter Freiheit und Demokratie im Sinne einer passiven und aktiven Teilhabe aller Bürger an den Geschicken ihrer politischen Gemeinschaft trennen. Freiheit und Demokratie allerdings nicht in jenem emphatischen Sinne einer liberalistischen Ideologie, in der "mehr Freiheit" und "mehr Demokratie" als Schlüssel zur Lösung aller politischen Probleme ausgegeben werden. Für Willms konnte es in einer Welt unzähliger Staaten keine abstrakte, für alle Nationen richtige Lösung des Problems geben, wie jeweils Freiheit, politische Teilhabe sowie die ja immer notwendige äußere Selbstbehauptung konkret zu realisieren sind.

Willms, von seinem persönlichen Habitus her ein außergewöhnlich liberaler Mensch, war deshalb ein entschiedener Gegner des politischen Liberalismus. Das Politische - die Regulation der allzeit gefährlichen Konsequenzen der conditio humana - konstituierte für ihn ein Reich strenger Notwendigkeiten, an das die Maßstäbe privater Moral nicht angelegt werden können. Auch die Einsicht in diesen Sachverhalt gehörte für ihn zum nationalen Imperativ, ohne daß damit eine Option für ein bestimmtes Staatsmodell verbunden war. Eine Nation kann durchaus freiheitliche, demokratische und auch sozialistische Institutionen als Errungenschaften anstreben oder daran festhalten wollen. Aber sie müssen als nationale Errungenschaften der politischen Selbstbehauptung und Wohlfahrt der je eigenen Nation begriffen werden und objektiv damit vereinbar sein. Sonst sind sie nur Kennzeichen und Instrumente einer politischen Unterwerfung. Wo "Freiheit", "Demokratie", "Sozialismus" oder dergleichen als höchste Ziele ausgegeben werden, die es um jeden Preis zu realisieren gilt, handelt es sich um nichts anderes als die Ideologie von objektiven inneren oder äußeren Feinden einer Nation.

Recht auf Leben in einem konkreten Staat

Für Willms ist, wie er zu formulieren liebte, jede Nation unmittelbar zu Gott und hat sich nur vor sich selbst, aber vor keinem anderen irdischen Richter zu rechtfertigen. Für ihn stellt die Idee der Nation die gegenwärtige und in absehbarer Zukunft einzige Wirklichkeit der politischen Vernunft der Menschheit dar. Mehr Vernunft als eine Welt von souveränen Nationalstaaten in einem dynamischen System von wechselseitiger Selbstbehauptung und Anerkennung gibt die historische Lage nach seiner Überzeugung nicht her. Anderes und mehr zu verlangen, bedroht nur diese existierende Vernunft und vergibt die einzige wirkliche Chance zu einem vernünftigen, menschenwürdigen politischen Dasein auf diesem Planeten.

Deshalb haben die Menschen, wie Willms wiederholt unterstrich, ein Recht auf Nation, d.h. auf ein Leben in einem konkreten Staat, den sie als den ihren ansehen können. Alles andere wäre ein Rückschritt in die menschenunwürdigen und freiheitsfeindlichen Verhältnisse einer Unterwerfung unter eine anonyme Fremdherrschaft. Kurzum: finsterste Reaktion, auch wenn sich diese noch so fortschrittlich drapiert.

Bernard Willms schied vor gut 15 Jahren, am 27. Februar 1991 aus dem Leben. Sein geistiges Vermächtnis, das Bewußtsein unseres Rechtes auf unsere Nation, wird uns hoffentlich noch lange erhalten bleiben. Dag Krienen


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