© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 29/06 14. Juli 2006

Der große Unbekannte
Harry Dean Stanton wird 80
Michael Hofer

Er hat es nie in die erste Reihe geschafft und kann dennoch eine der eindrucksvollsten Filmographien überhaupt aufweisen: der amerikanische Schauspieler und Musiker Harry Dean Stanton, der am 14. Juli 80 Jahre alt wird. Es gibt kaum einen Regisseur von Rang und Namen, mit dem Stanton nicht zusammengearbeitet hätte: David Lynch, Martin Scorsese, John Huston, Francis Ford Coppola, John Carpenter, Terry Gilliam, Bertrand Tavernier, Agnès Varda - eine imposante Liste, von der andere nur träumen können. Der New Yorker Filmkritiker Roger Ebert stellte gar die "Stanton-Regel" auf, die besagt, daß kein Film gänzlich mißlungen sein könne, in dem der markante Charakterkopf in einer Haupt- oder Nebenrolle zu sehen ist.

Stanton spielte in Blockbustern wie "Der Pate" (1972/74) oder Ridley Scotts "Alien" (1979) ebenso wie in cineastischen Geheimtips wie Monte Hellmans "Two-Lane Blacktop" (1971). Sein hageres, wettergegerbtes Gesicht prädestinierte den in Ken-tucky geborenen Schauspieler für rauhe Kerle, Steinbecksche Figuren und zahllose Westernrollen, darunter Sam Peckinpahs "Pat Garrett und Billy the Kid" (1973) an der Seite von Kris Kristofferson und Bob Dylan. In John Milius' antikommunistischem Streifen "Die rote Flut" (1984) verkörperte er symbolhaft den archetypischen amerikanischen Farmer, einen strengen, aber aufrechten "Dad", der von einfallenden Kubanern in ein Gulag gesteckt wird.

Cowboys, Eigenbrötler, Steinbecksche Figuren

In den Filmen von David Lynch ist Stanton Dauergast, so in "Wild At Heart" (1989), der Kinoversion von "Twin Peaks" (1992) und in "Eine wahre Geschichte" (1999). In letzterem hatte er gerade mal einen Satz und eine Szene, aber die war die bewegendste des ganzen Films.

Pointierte Kurzauftritte wie dieser sind typisch für Stanton, der selten eine Hauptrolle spielte wie in Wim Wenders preisgekröntem "Paris, Texas" (1984). Die Figur des melancholischen Eigenbrötlers Travis, der zu den Blues-Klängen von Ry Cooder durch die texanische Wüste irrt, war ihm wie auf den Leib geschrieben. Die erschütternde Szene, in der er nach langer Suche seine verlorene Liebe Nastassja Kinski in einer Peepshow wiederfindet, ist eine schauspielerische tour de force, die zu Recht Filmgeschichte geschrieben hat.

Im selben Jahr hatte Stanton eine größere Rolle in dem New-Wave-Kultfilm "Repo Man" von Alex Cox, der ihn endgültig bekannt machte - zu einem Zeitpunkt, als er bereits fast 60 Jahre alt war. Internationalen Erfolg hatte auch die Harry Dean Stan-ton Band, die eine Mischung aus Jazz, Pop und mexikanischen Einflüssen spielt. Ans Aufhören denkt der Junggeselle, der bisher in über 150 Film- und Fernsehproduktionen zu sehen war, noch lange nicht: der große Unbekannte des amerikanischen Kinos ist nach wie vor einer der meistbeschäftigsten Nebendarsteller Hollywoods. 


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