© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 30/06 21. Juli 2006

Zweierlei Maß
von Anni Mursula

Vergangene Woche fand der schwarz-rot-goldene Traum sein jähes Ende auf einem lodernden Scheiterhaufen in Nürnberg. Doch kein Aufstand der Anständigen folgte. Keine Entrüstung, keine mediale Aufmerksamkeit - wie noch vor drei Wochen, als in Pretzien das Tagebuch der Anne Frank zusammen mit einer amerikanischen Fahne verbrannt wurde. Nein, was da in Brand gesetzt wurde, waren "lediglich" 1021 Deutschlandfahnen. Antideutsche feierten so das Ende der WM-Beflaggung.

Vom Gesetz her droht demjenigen Strafe, der eine öffentlich gezeigte Flagge der Bundesrepublik "entfernt, zerstört, beschädigt, unbrauchbar oder unkenntlich macht". Dennoch, selbst wenn die Schuldigen dafür bestraft würden, fiele das Urteil wohl vergleichsweise milde aus. Gewiß wird hier mit zweierlei Maß gemessen. Es fehlt dafür letztlich das öffentliche Interesse. Deutschland und seine Symbole in den Dreck zu ziehen ist bestenfalls ein Kavaliersdelikt. Deshalb überwindet eine solche Meldung auch nicht die Nachrichtenhürde und wird schließlich als Lappalie abgehakt. Wer sich aber trotzdem darüber aufregt, gilt als Spießer, Pedant oder Fanatiker.

Aber wen wundert das in einer so wertelosen Gesellschaft, der nichts mehr heilig ist? Sie kennt keinen Stolz, keine Ehre und somit auch keine nationale Schande. Von einem Land, das sich nach über sechzig Jahren immer noch voll Demut täglich Asche aufs Haupt streut, kann auch kein mündiges Selbstbewußtsein erwartet werden.


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