© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 30/06 21. Juli 2006

Kluge Köpfe gefragt
Die Militärmacht Israels kann keine tragfähigen Lösungen herbeibomben
Günther Deschner

Die westlichen Medien formten ein schlichtes Bild der nahöstlichen Ereignisse der letzten Tage: Demnach haben Hisbollah-Kämpfer aus dem Libanon urplötzlich beschlossen, mit einem Stoßtrupp eine israelische Einheit anzugreifen, zwei Gefangene zu machen und sie über die Grenze zu verschleppen. Israel hat mit dem "legitimen Recht auf Selbstverteidigung" zurückgeschlagen und "die Infrastruktur des Terrors" im Libanon bombardiert - vielleicht zu hart und zu brutal. Die Krise wird aber vorbei sein, wenn die entführten Soldaten frei sind, die Hisbollah entwaffnet ist und die libanesische Armee endlich zur Grenze nach Israel aufschließt und sie sichert.

So simpel liegen die Dinge nicht. Die Gewaltspirale dreht sich seit 1948, seit es im britischen Mandatsgebiet Palästina gegen den Willen der Araber zur Gründung Israels gekommen war. Die Frage, wer "angefangen" hat, ist unpolitisch und nicht zielführend. Wenn man überhaupt ein historisches Datum in den Blick nehmen will, dann ist es der arabisch-israelische Sechstagekrieg von 1967. Israel siegte, doch der "Frieden" danach blieb vergiftet - bis heute. Denn Tel Aviv hatte Gebiete der Nachbarstaaten annektiert und jüdisch besiedelt. Jahre später war die Rückgabe des Sinai der Preis für den Ausgleich mit Ägypten. In anderen Gebieten ist Israel noch heute verhaßte Besatzungsmacht. Die Annexion der Golanhöhen etwa ist der schmerzende Pfahl im Fleische Syriens. Trotz UN-Resolutionen hat Israel nicht einmal über die Rückgabe verhandelt. Daher wird Syrien ein Druckmittel wie die Unterstützung der Hamas nicht ohne israelisches Entgegenkommen aus der Hand geben.

Eine weitere Seite sind die islamistischen "Befreiungsbewegungen": die sunnitische Hamas in den "Palästinen-sergebieten" und die schiitische Hisbollah im Libanon. Beide wollen (oder wollten) die Vernichtung oder Schwächung Israels. Doch beide sind auch mehr: Sie haben soziale Strukturen zur Wohlfahrtspflege, Infrastrukturverbesserung und Jugenderziehung geschaffen, sind volksnah und sind oder waren die Träger des Widerstands gegen die israelische Besatzung. Das machte sie populär und politisch erfolgreich. Ohne Verhandlungen mit ihnen wird es keine Lösungen geben.

Ein weiterer Aspekt ergab sich aus der US-Nahostpolitik. In der anvisierten Regionalordnung eines New Greater Middle East, eines Bausteins im hegemonialen Konzept der USA, spielte die Democracy ihre Rolle mit geradezu hegelianischer List. Denn überall dort, wo Washington in seiner Politik erzwungener "Regimewechsel" demokratische Wahlen herbeiführte, erstarkten radikal-religiöse Kräfte: die Schiiten-Parteien im Irak, die Hamas in Palästina, und 2005 die Hisbollah im Libanon. Gleichzeitig hat die Bush-Regierung nichts getan, um den "Friedensprozeß" am Leben zu halten. Ein Ergebnis dieser Politik war, daß man es Extremisten jeder Art - Palästinensern, Libanesen und Israelis - überlassen hat, den Ton vorzugeben.

Von Israel, das in einem so fundamentalen Dilemma steckt, aus dem es einen Ausweg finden muß, das so viele kluge Köpfe und eine weltweite Lobby besitzt, erhofft man eher die intelligente Wahrnehmung politischer Optionen als immer wieder das einfallslose "Wir bomben sie um zwanzig Jahre zurück", das auch jetzt wieder das sogar öffentlich verkündete "Konzept" der israelischen Regierung ist. Mit Bomben auf E-Werke, Zivilflughäfen, Wasserreservoirs, auf Brücken und Flüchtlinge befreit man keinen einzigen Gefangenen. Es ist verständlich, daß Israel über die Entführung seiner Soldaten wütend ist. Aber ein Freibrief für eine blindwütige Reaktion ist das nicht.

Der Bombenterror hat schon 1982 nichts gebracht, als Israels Armee den Libanon besetzte (um Arafats Fatah zu vertreiben), in einem verheerenden Luftangriff Beirut in Schutt und Asche legte und die phönizisch-arabisch-osmanische Altstadt auslöschte. Die Hisbollah wurde bald darauf gegründet und ist seither der "erfolgreichste" Feind Israels. Der Iran - als Schutzmacht der Schiiten - unterstützt sie und konnte so zum Mitspieler auch in diesem Teil des Nahen Ostens werden. Die Aktion der Hisbollah war eine Provokation mit der Absicht, die israelische Armee erneut aufs eigene Territorium zu locken und sie dort wieder in einen zähen und verlustreichen Kleinkrieg zu verwickeln, wie es von 1990 bis 2004 schon einmal der Fall war. Aus dieser blutigen Erfahrung im Libanon wissen die Israelis, wie fatal sich Besatzungen in diesen Gegenden entwickeln können. Ein Zurück wird es für Israels Armee ohne vorzeigbare Erfolge schwerlich geben können.

Vielleicht setzt die Regierung Olmert deswegen vorerst auf die Zerstörung der libanesischen Infrastruktur und die Demonstration ihrer Luftmacht. Aber wen will sie abschrecken? Die Hisbollah-Kämpfer, deren Mantra der Märtyrertod ist? Israel erweckt mit dieser Kriegführung den Eindruck, daß es die militärische Potenz zum Kern seiner Politik gemacht hat, daß es davon überzeugt ist, allein damit die Verhältnisse in Nahost gestalten zu können und daß Verhandlungen mit den Feinden Israels nicht nötig sind. So schlittert das Land nun schon seit Jahrzehnten von Krise zu Krise, ohne daß sich eine Lösung abzeichnet.


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