© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 30/06 21. Juli 2006

Auf den Spuren der Vergangenheit
Jenseits moralischer Kriterien: Ein Stadtführer für NS-Architektur in Berlin offenbart eine ungeahnte Vielfalt
Christian Grothaus

Als der Bauforscher und Autor Matthias Donath im Jahre 2004 sein Buch mit "Architektur in Berlin 1933-1945. Ein Stadtführer" veröffentlichte, sorgte er damit für einigen politisch korrekten Wirbel. Um so beachtlicher ist, daß der Berliner Lukas Verlag nun den "kleinen Bruder" des Erstlings verlegt hat. Mit "Bunker, Banken, Reichskanzlei. Architekturführer Berlin 1933-45" ist seit einiger Zeit ein pragmatischer und handlicher Stadtführer für NS-Architektur in Berlin auf dem Markt.

Die Bücher sind inhaltlich solide gemacht. Der Erstling von 2004 wartet mit einer detailreichen Einleitung auf und beschreibt in der Folge 80 Bau-Beispiele, die sich vom Bezirk Mitte konzentrisch in die Peripherien fortsetzen. Der jüngst erschienene Ableger kommt hingegen im schlanken und transportablen Format daher, hat eine deutlich abgespeckte Einleitung und beschreibt 30 NS-Architekturbeispiele der Berliner Innenstadtbezirke.

Die Texte der Baubeschreibungen sind präzise und verzichten auf die sonst übliche Architektenlyrik. Die ausgewählten Gebäude repräsentieren die damaligen Bauaufgaben, so sind Staats- und Verwaltungsbauten, Wohnungen, Siedlungen, Industrie, Verkehr- und Infrastruktur, militärische Einrichtungen, HJ-Heime, Bunker und Kirchen (sic!) beschrieben. Über die Adresse und zugehörige Verbindungen mit öffentlichen Verkehrsmitteln läßt sich jedes beschriebene Bauwerk im Stadtraum gut finden.

Blutrote Schrift auf schwarzem Einband läßt Düsteres ahnen. Wenn man allerdings das Vorwort des Landeskonservators hinter sich gelassen hat, der sich von NS-Raumrastern, Richtlinien, Organisationsformen und Baufibeln verfolgt fühlt und eine unreflektierte ästhetische Wertschätzung durch "Retro-Architekten" befürchtet, begegnet einem ein frischer und unbelasteter Text. Schon in den ersten drei Absätzen wird deutlich, daß eine neue Generation von Bauhistorikern herangewachsen ist. Eine Generation, die in der Architektur des Dritten Reiches nicht nur Maßstablosigkeit sieht, sondern die bauliche Vielfalt dieser Zeit erkennt und in ihre historischen Zusammenhänge zu stellen weiß.

Schlichtheit auf dem neuesten Stand der Technik

Gibt es einen nationalsozialistischen Baustil? Die Antwort lautet: jein. Es gibt einen deutschen Bau-Kontext, der bis in die Zeit des Ersten Weltkriegs reichte und mit dem Wirken berühmter Architekten wie Peter Behrens oder Hermann Muthesius verbunden ist. Mit der Losung, "Worte aus Stein" zu sein, war die Architektur des Dritten Reiches ideologisch vorgeformt. Sie stellte sich dabei aber in drei Hauptausprägungen dar. So gab es Bauaufgaben zur Repräsentation, für die Industrie und im Geiste des Heimatstils. Ganz und gar nicht als isoliertes Phänomen, sondern im kulturellen Strom der Epoche finden sich funktionalistische Modernismen, die die Form aus dem Zweck und nicht aus dem Sinn entwickeln. Durchlaufende Fensterbänder, komplette Glasfassaden und moderne Materialien verbinden sich so manches Mal mit einer klassisch-imperialen Formensprache. Der Portikus, die Säulen- oder Pfeilerreihe in Kolossalordnung und die Symmetrie tauchen auf, werden aber in einer radikalen Weise bereinigt und geklärt. So entsteht oft genug eine monumentale und ornamentlose Schlichtheit, die für die damalige Zeit auf dem neuesten Stand der Technik war.

Als Beispiel hierfür mag der Flughafen Tempelhof dienen, der zur Stadt steinern und zum Flugfeld transparent daherkommt. Einheitlichkeit sucht man also oft genug vergebens und trifft vielmehr auf ein Sammelsurium, das von Traditionalisten mit Handwerksethos im Heimatstil bis hin zu ehemaligen Bauhäuslern reicht, für die Stahl, Glas, Aluminium und die industrielle Fertigung zum täglichen Einmaleins gehörten.

1936 wurde Berlins Aufbau zur Hauptstadt des Deutschen Reiches verkündet. Ein Jahr später folgte das "Gesetz über die Neugestaltung deutscher Städte", das die Umsetzung der dazugehörenden Maßnahmen ermöglichen sollte. 1950 schließlich war die Fertigstellung der Reichshauptstadt Germania geplant. Im Dritten Reich standen aber die meisten Bauvorhaben wegen des kriegsbedingten Neubauverbots ab 1940 still.

Um Albert Speers große Nord-Süd-Achse kommt kein NS-Architekturbuch herum. So markiert das Mega-Ensemble mit Großer Halle nebst Wasserbecken, Triumphbogen, Führerpalais, Soldatenhalle, verschiedenen Ministerien und Geschäftshäusern sowie etlichen Verwaltungsbauten auch den Anfang der vorliegenden Bücher.

Daß allerdings die Anfänge der Nord-Süd-Achse ins Jahr 1917 datieren und mit einer Planungsstudie von Martin Mächler verbunden sind, gehört selbst für den Interessierten nicht zum Allgemeingut. Übrigens auch nicht, daß mit dem "Haus des Fremdenverkehrs" nur ein einziges Gebäude des Ensembles im Rohbau am heutigen Kulturforum errichtet wurde. Eine Ironie der Geschichte ist dabei noch, daß 1963 das Gebäude der neuen Nationalgalerie, aber vor allem Hans Scharouns Bauten weichen mußte. Stand doch der Baumeister der Philharmonie und der Staatsbibliothek mit seinen Nachkriegs-Stadtbauvisionen im Zerstörungswillen Albert Speer um nichts nach.

Zu den Besonderheiten der vorliegenden Bücher gehören etliche Aha-Effekte. Zu lesen, daß zwischen 1933 und 1940 35 Kirchen in Berlin erbaut wurden, will so gar nicht ins Bild des atheistischen Nationalsozialismus passen. Daß es bis 1943 gerade einmal 413 Bunker in der Stadt gab, in denen fünf Prozent der Bevölkerung Schutz fanden, erstaunt vor dem Hintergrund des 1940 initiierten Sofortprogramms zum Bau von Luftschutzbunkern ebenfalls. Durchaus empfehlenswert für die heutige Zeit scheint ein - freilich ideologiefreies -modernes Pendant zum 1934 erlassenen "Gesetz über die Kunst am Bau", in dem die Aufwendung eines angemessenen Prozentsatzes der Bausumme für bildende Künstler und Kunsthandwerker vorschrieben wurde.

Geschichtsdeutungen wechseln im Laufe der Zeit. Vielleicht sind die besprochenen Bücher Vorboten. Vorboten einer Deutung, die in der Lage ist, die immaterielle Verknüpfung der Nord-Süd-Achse beispielsweise zur Stalinallee (heute Karl-Marx-Allee) zu sehen und einzuordnen. Matthias Donath jedenfalls will "informieren statt tabuisieren oder dämonisieren" und ist der Ansicht, daß "Baukunst (sich, C.G.) nicht mit moralischen Kriterien bewerten" läßt. Diese Worte sind für so manche harter Tobak. Den übrigen sei gesagt, daß die vorliegenden Bücher zum Stadtspaziergang ermuntern und das Prädikat "lesens- und laufenswert" verdienen.

Foto: Flughafen Berlin-Tempelhof, erbaut 1923, erweitert 1934: Für den englischen Architekten Sir Norman Foster die "Mutter aller Flughäfen"

Matthias Donath: Architektur in Berlin 1933-1945. Ein Stadtführer. Lukas Verlag und Landesdenkmalamt Berlin, Berlin 2004, gebunden, 255 Seiten, 350 s/w Abbildungen, 29,80 Euro

Matthias Donath: Bunker, Banken, Reichskanzlei. Architekturführer Berlin 1933-1945, Lukas Verlag Berlin, Berlin 2005, broschiert , 81 Seiten, 91 s/w Abbildungen, 9,80 Euro


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