© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 30/06 21. Juli 2006

LOCKERUNGSÜBUNGEN
Hilflosigkeit
Karl Heinzen

In ihrem jüngsten Positionspapier zur Integrationspolitik gibt die Berliner Große Koalition zu erkennen, daß sie die Verantwortung für ein Gelingen des Zusammenlebens und Zusammenfindens von Alt- und Neubürgern nicht allein auf der Seite des deutschen Staates und seiner Ureinwohner sieht. Auch die Einwanderer sind gefordert. Sie sollen sich "auf ein Leben in unserer Gesellschaft einlassen, unser Grundgesetz und unsere gesamte Rechtsordnung vorbehaltlos akzeptieren", die deutsche Sprache gründlich erlernen und dabei möglichst auch noch "Eigeninitiative, Fleiß und Eigenverantwortung" an den Tag legen.

An Immigranten werden somit Anforderungen gestellt, an denen die Einwohner mit deutscher Staatsbürgerschaft mehrheitlich scheitern dürften. Was daher auf den ersten Blick anspruchsvoll, ja borniert klingen könnte, ist allerdings letztlich bloß Ausdruck einer verzweifelten Hilflosigkeit. Die Bundesrepublik kann an die Einwanderer alle möglichen Appelle richten, sie verfügt aber nicht über die Macht, ihre Wünsche auch durchzusetzen. Dies gilt insbesondere für die ultima ratio einer Trennung von jenen, die vermeintlich "nicht zu uns passen". Es ist unvorstellbar, daß über Menschen, die seit langen Jahren in Deutschland leben, die Ausweisung verfügt wird, bloß weil sie einige juristisch sowieso kaum handhabbare Integrationskriterien nicht erfüllen. Die für die Rechtsprechung maßgeblichen Menschenrechte gelten im übrigen auch für Einwohner ohne deutschen Paß, die nicht so gut Deutsch sprechen, keinen Schulabschluß vorzuweisen haben, arbeitslos sind und vielleicht sogar ein bißchen in Bagatellkriminalität verstrickt wurden.

Auch zur Steuerung der tagtäglichen Zuwanderung ist der Wunschkatalog der Regierung keine Hilfe. Man kann von jemandem, der gerade erst einreist, ja schlecht verlangen, daß er bereits integriert ist. Den guten Willen mag man überprüfen, er alleine ist aber gar nicht ausschlaggebend dafür, ob die Eingliederung acht oder zehn Jahre später als gelungen betrachtet werden darf.

Bei aller Kritik sollte jedoch nicht übersehen werden, daß das Berliner Positionspapier auch ein positives Signal darstellt: Niemand, nicht einmal die Union bezweifelt mehr, daß die Bundesrepublik ein Einwanderungsland ist. Nun sollte man endlich auch noch vom hohen Roß herabsteigen und sich von der Illusion verabschieden, eine Auswahl der Besten unter den Immigranten vornehmen zu können. Dies nämlich hieße die Attraktivität unseres Landes maßlos zu überschätzen.


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