© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 31-32/06 28. Juli / 04. August 2006

Das "bolschewistische Element"
Linkspartei: Die geplante Verschmelzung der PDS mit der WASG hilft der Partei, sich der eigenen Vergangenheit zu entledigen
Ekkehard Schultz

Spätestens seit der beabsichtigten Verschmelzung mit der WASG scheint sich die PDS endgültig im Parteienspektrum der Bundesrepublik etabliert zu haben. In Zeiten sozialer und wirtschaftlicher Neuorientierungen erscheint die Ausrichtung der Partei nicht nur an einem starken Sozialstaat, sondern auch das Streben nach einem "demokratischen Sozialismus" keineswegs als Gefährdung, sondern wird vielmehr eher als stabilisierender Faktor empfunden. Durch die Koalitionen zwischen SPD und PDS in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern ist von einer kritischen Außenperspektive ohnehin
kaum noch etwas zu spüren. Zudem profitiert die PDS von der Entwicklung, daß künftig weder die bürgerlichen Parteien noch das rot-grüne Lager allein über ausreichende Mehrheiten verfügen werden. Damit erhält die Linksaußen-Partei weitere Möglichkeiten, eine Rolle als Zünglein an der Waage spielen zu können. Es ist daher wahrscheinlich, daß das neue Produkt "Die Linke" kaum noch mit der Vergangenheit als kommunistische Staatspartei konfrontiert, sondern endgültig als "normale" Partei unter Parteien identifiziert wird.

Um so wichtiger ist es, gerade im Hinblick auf den jüngsten 60. Jahrestag der Zwangsvereinigung zwischen SPD und KPD in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) und der aktuellen Verschmelzung den Blick auf das Erbe dieser Partei zu werfen, so der Zeithistoriker Manfred Wilke vom Forschungsverbund SED-Staat an der Freien Universität Berlin. In einem Vortrag in der Berliner Gedenkbibliothek zu Ehren der Opfer des Stalinismus verwies Wilke darauf, daß sich zwar Auftreten, Erscheinungsbild und auch der Kurs der einstigen Staatspartei seit den politischen Umbrüchen von 1989/90 teilweise stark verändert hätten. Allerdings sei dabei zu beachten, daß die sichtbare Anpassung der Genossen an die neuen Umstände nur möglich war, da die PDS in ihrer Umbruchsphase innere Reformen ohne eine wirklich ernsthafte Hinterfragung von außen - weder von Seiten der Bürgerrechtler noch der westdeutschen Politik - verwirklichen konnte und sich auf diese Weise wieder stabilisieren konnte. Doch die Neuausrichtung war längst nicht umfassend: Das Führungspersonal der PDS sei weiter von zahlreichen Kadern der SED gegeprägt, von denen die langjährigen Parteivorsitzenden Lothar Bisky und Gregor Gysi nur zwei besonders prominente Beispiele darstellten. Zudem sei das "bolschewistische Element" innerhalb der Partei nach wie vor präsent: Dies zeige das Weiterwirken der "Kommunistischen Plattform" ebenso wie ein Traditionsbewußtsein, welches auch dem linksextremen, antidemokratischen Flügel einen Platz einräumt. Die Verharmlosung der DDR und ihrer Repressionsorgane sei daher kein Zufall, sondern eine nahezu zwangsläufige Konsequenz.

Für Wilke präsentiert sich in diesen Elementen immer noch ein wesentliches Stück unbewältigter Vergangenheit, deren Hintergründe häufig verschwiegen und kaum ernsthaft hinterfragt würden. So sei etwa die Personalpolitik der SED, so Wilke, nie nach auch nur annähernd demokratischen Richtlinien erfolgt: Schon 1945 wurde die Parteiführung auf Weisung Stalins besetzt. Die Moskauer Gruppe, zu der unter anderem Wilhelm Pieck und Walter Ulbricht zählten, hatten als hauptamtliche KPD-Funktionäre Ende der zwanziger Jahre die Stalinisierung der Partei durchgesetzt. Die weitere Entwicklung war ein Spiegelbild dieser Ausrichtung: Nach Kriegsende und der erfolgten Neugründung der KPD wurde sehr schnell deutlich, daß die deutschen Kommunisten ohne den Schutz und die Unterstützung durch sowjetische Truppen ohne eine realistische Chance wären, jemals Mehrheiten zu bilden.

Als Konsequenz wurde die Herstellung der "Einheit" der Arbeiterklasse vorangetrieben. Der Name der Einheitspartei wurde von Stalin persönlich an seinem Geburtstag bestimmt, um den Führungsanspruch unmißverständlich zu formulieren. Die Gründung der SED durch Verschmelzung von KPD und SPD erfolgte an Lenins Geburtstag. Die Vereinigung diente nicht nur der Erlangung der Vorherrschaft in der SBZ auf scheinbar demokratischem Wege, sondern sie diente zugleich auch der Disziplinierung und Einschüchterung nach außen. Als Pieck gefragt wurde, warum die SPD der Vereinigung zugestimmt habe, antwortete er, daß die Partei die "Lehre begriffen" habe, die sich im Schicksal der CDU niedergeschlagen habe. Die Union war in der SBZ für die Positionierung führender Parteimitglieder, gegen eine entschädigungslose Enteignung des Großgrundbesitzes einzutreten, Protest gegen die Oder-Neiße-Grenze als endgültige Ostgrenze zu erheben und vor allem für den Versuch, einen Block mit den Liberalen gegen die KPD zu bilden, schwer abgestraft worden. Der Absetzung des CDU-Vorstandes durch die sowjetische Besatzungsmacht, erfolgte die Einsetzung eines ausgewählten Personals, welches alle weiteren Schritte bereitwillig tolerierte und akzeptierte.

Diese Erkenntnis, daß die SED seit ihrer Gründung nie eine Partei unter anderen, sondern stets ein bloßes Mittel zur Durchsetzung einer Diktatur war, werde von der Partei bis heute verdrängt und geleugnet, sagte Wilke. Erst mit der Auflösung der Strukturen, welche die PDS als Erbe der Staatspartei übernahm, könne ein Neuanfang und eine Bewältigung der Vergangenheit erfolgen. Vorher stelle die "Normalisierung" der PDS ein äußerst zweischneidiges Schwert dar. Kritisch bewertete er das Verhalten vieler Medien: PDS-Funktionäre werden seit langem ohne Hinterfragung ihrer Vergangenheit als normale Gesprächspartner wahrgenommen. Nie werden sie "mit Springerstiefeln abgebildet" - das heißt mit Kontrasten, die sich aus der Vergangenheit ihrer Partei ergeben, unmittelbar konfrontiert -, kritisierte Wilke.


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