© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 33/06 11. August 2006

Das Ende der "Orangenen Revolution"
Ukraine I: Ex-Premier Janukowitsch zum Regierungschef gewählt / Große Koalition soll das Land einigen
Wolfgang Seiffert

Letzten Freitag wurde der Verlierer der Präsidentenwahlen von 2004 erneut zum Ministerpräsidenten der Ukraine gewählt. 271 der 450 Abgeordneten votierten für den Rivalen von Präsident Viktor Juschtschenko - das waren 45 Stimmen mehr als erforderlich. Wegen des Fernbleibens der Anhänger des Blocks von Julia Timoschenko (BJuT) stimmten nur neun Abgeordnete gegen Janukowitsch. Damit ging vier Monate nach der Parlamentswahl das Tauziehen um die Regierungsbildung zu Ende (JF 23/06).

Die Aktivisten der "Orangenen Revolution" vom Dezember 2004 und ihre Protagonisten im Westen sind angesichts der Niederlage enttäuscht, manche sprechen gar von "Verrat". Doch wer wollte, konnte diesen Ausgang voraussehen - zwar nicht den Tag, nicht den Anlaß, nicht die Art und Weise. Aber die Tendenz war von Anfang an klar: Eine von außen finanzierte und gelenkte Oppositionsbewegung ist keine Revolution, die dauerhaften Bestand hat (JF 15/06 und 50/04).

Ein in zwei etwa gleichgroße Lager gespaltenes Land

John Laughland schrieb schon am 28. November 2004 im britischen Spectator darüber, "wie die USA und Großbritannien sich in die Wahlen in der Ukraine einmischen". Er verwies darauf, daß die USA Juschtschenko als Präsidenten wollen, weil die Ukraine von Rußland weg und in die Nato soll. Deutsche Medien berichteten, mit wieviel Dollar der Wahlkampf Juschtschenkos von wem finanziert und wie viele Wahlhelfer aus dem Westen der Ukraine bei Ex-US-Außenministerin Madeleine Albright in den USA ausgebildet wurden.

Dennoch feiern viele bis heute Juschtschenko als den sauberen Demokraten und Janukowitsch als eine diskreditierte Figur mit krimineller Vergangenheit und verdammen dessen Partei der Regionen (PR) als "rußlandfreundlich". Zwar sind laut Volkszählung von 2001 77,8 Prozent der Bevölkerung Ukrainer und nur 17,3 Prozent Russen - aber nicht mal drei Viertel der ethnischen Ukrainer sprechen Ukrainisch als Muttersprache. Russisch dominiert im Osten und Süden, nur der Westen ist mehrheitlich rein ukrainischsprachig - hier verschreckt die Kennzeichnung "rußlandfreundlich" die Wähler.

Die Ukraine ist ein politisch in zwei etwa gleichgroße Lager gespaltenes Land. "Die Regierung darf nicht nur der einen Hälfte des Landes dienen", erklärte daher Janukowitsch angesichts seines Zusammengehens mit Juschtschenkos Block "Unsere Ukraine" (BNU). Zusammen mit den Sozialisten (SPU) und Kommunisten (KPU) bilden die vier Parteien die neue Koalition. "Wir haben die einmalige Chance, das zu verwirklichen, wovon wir auf dem Maidan (Hauptplatz in Kiew) geträumt hatten - beide Ufer des Dnjepr zusammenzuführen", entgegnete Juschtschenko Kritikern im eigenen Lager.

Die Hauptursache für die Auferstehung des "totgesagten" Janukowitsch liegt darin, daß fast ein Drittel der Wähler in seinen "Blauen" ihre Interessenvertretung sieht. Wegen der Drei-Prozent-Hürde errang die PR sogar fast 40 Prozent der Sitze. Hinzu kam der interne Streit der "Orangenen Koalition" - BJuT, BNU und SPU konnten ihre knappe Mehrheit nicht zur Koalitionsbildung zu nutzen. Janukowitsch vertrat hingegen zäh seine Positionen und engagierte sogar westliche Berater.

Die 2004 zwischen Präsident Leonid Kutschma und Juschtschenko ausgehandelte Verfassungsänderung, die aus der Präsidialdemokratie eine parlamentarische Republik machte, nutzte nun ironischerweise Janukowitsch, der zunächst eine neue Parlamentsmehrheit aus PR, SPU und KPU bilden konnte und damit SPU-Chef Alexander Moros zum Parlamentspräsidenten kürte.

Und im Gegensatz zu der Behauptung westlicher Medien, Juschtschenko habe Janukowitsch als Premier vorgeschlagen, weigerte sich der Präsident standhaft, dieser Nominierung zuzustimmen. Erst als Moros und Janukowitsch klarmachten, daß seine Verweigerungshaltung verfassungswidrig sei, zog Juschtschenko seine vorbereitete Erklärung, Neuwahlen anzusetzen, in der Nacht zum 3. August zurück. Sein BNU trat der Koalition bei, und er unterzeichnete die gemeinsame "Prinzipienerklärung". Dann stimmte er der Ernennung von Janukowitsch zu. Sicher spielte dabei eine Rolle, daß die Partei des Präsidenten bei Neuwahlen viele Stimmen verloren hätte.

Entscheidend war aber die verfassungsrechtliche Situation und nicht die angebliche Verpflichtung Janukowitschs, die Westintegration der Ukraine fortzusetzen. Der "Nationale Einheitspakt" ist keine eine "Kapitulation" der PR oder eine Vereinbarung mit dem Präsidenten, sondern ein Koalitionsvertrag zwischen vier Fraktionen. Inhaltlich kann Janukowitsch eher zufrieden sein als Juschtschenko. Der strittige Punkt des Verhältnisses zur Nato wurde in die Formulierung gekleidet, mit ihr werde "eine für beide Seiten vorteilhafte Zusammenarbeit" angestrebt. Ein Nato-Beitritt wird von einem Referendum abhängig gemacht - laut Umfragen gibt es dafür aber keine Mehrheit.

Die Macht liegt nun bei Parlament und Regierung

Mit der EU sollen Gespräche über eine Freihandelszone aufgenommen werden. Brüssel kündigte aber bereits an, daß dies den WTO-Beitritt voraussetze. Von einem EU-Beitritt spricht in Brüssel niemand mehr. Gleichzeitig legt das Koalitionspapier fest, daß die Ukraine alle Verpflichtungen aus dem Vertrag über die Gründung eines einheitlichen Wirtschaftsraumes mit Rußland, Kasachstan und Weißrußland einhalten soll.

Janukowitsch verzichtete allerdings auf seine Forderung, Russisch als zweite Amtssprache einzuführen. Außen- und Verteidigungsministerium bleiben in der Hand des Präsidenten, was verfassungsrechtlich außer Zweifel stand. Das wichtige Finanz- und Wirtschaftsministerium wird aber von PR-Vertretern besetzt. Die Moskauer Zeitung Kommersant spekulierte bereits, daß etwa der Stahlkonzern Kriworoschstal, der einst dem "blauen" Oligarchen Rinat Achmetow gehörte und 2005 an den indischen Stahlgiganten Mittal Steel verkauft wurde, wieder zurück in Staatsbesitz gehen könnte.

"Rußland wird auch in Zukunft der strategische Partner der Ukraine sein", erklärte Janukowitsch der russischen Zeitung Iswestija. "Wenn wir Rußland als Partner betrachten, können wir die wichtigsten Probleme lösen" - nicht nur angesichts des Gasstreits vom vergangenen Winter ist dies vordringlich. In der Frage der russischen Erdgaslieferungen werde sich Kiew an geschlossene Verträge halten, kündigte Janukowitsch an. Seine außenpolitischen Reisepläne skizzierte er ebenfalls: "Meine ersten Ziele werden Brüssel, Moskau und die USA sein", sagte der neue Premier.

Wegen der Verfassungsänderungen liegt die Macht nun bei Parlament und Regierung, der Präsident hat nur noch wenige Kompetenzen - die "Orangene Revolution" hat damit ihr Ende gefunden hat. Sicher wird der Block Julia Timoschenkos - derzeit einzige Oppositionsfraktion mit über einem Viertel der Sitze - nun zum Sammelbecken aller Regierungsgegner werden. Darin dürfte sich die Rolle der "Eisernen Lady" aber auch erschöpfen - selbst wenn weitere bitter enttäuschte Überläufer aus BNU und SPU ihren BJuT stärken.

 

Prof. Dr. Wolfgang Seiffert war Direktor des Instituts für osteuropäisches Recht in Kiel. Er lehrte auch am Zentrum für deutsches Recht der Russischen Akademie der Wissenschaften in Moskau.


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