© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 33/06 11. August 2006

Alptraum in Schwarzweiß
DVD: "Der Ritus"
Martin Lichtmesz

Ingmar Bergman, der unlängst 88 Jahre alt wurde, ist der titanische Übervater des skandinavischen Films, dessen Image er geprägt hat wie kein anderer. Erst 2003 hat er sich mit der Fernsehproduktion "Sarabande" vom Filmemachen (vorerst?) verabschiedet. Sein Gesamtwerk umfaßt beinahe 50 Spielfilme, von denen ein gutes Dutzend einen unbestrittenen Klassikerstatus beanspruchen kann.

Bisher 20 davon hat der Verlag Arthaus in Deutschland auf DVD veröffentlicht. Die Auswahl bietet einen guten Querschnitt durch den faszinierenden Bergman-Kosmos und hat das Verdienst, auch weniger bekannte Filme wieder zugänglich gemacht zu haben. Jedermann kennt "Das siebente Siegel" (1956), "Wilde Erdbeeren" (1957) und den einstigen Straßenfeger "Szenen einer Ehe" (1973/74). Aber wer hat etwas von reizvollen Früh- und Nebenwerken wie "Durst" (1949), "Der Sommer mit Monika" (1953) oder der farbigen Komödie "Ach, diese Frauen" (1964) gehört?

Natürlich wird Bergman zu Recht vor allem mit nordischer Schwere, protestantischer Vergrübeltheit und düsterem Existentialismus in Verbindung gebracht. Er ist der Munch, der Kafka, vor allem aber der Strindberg des Kinos. Wie in den Dramen seines großen Landsmannes wimmelt es in seinem Werk von Beziehungshöllen, zerquälten Gottsuchern, surreal-paranoischen Szenen. Mitte bis Ende der sechziger Jahre drehte Bergman eine Reihe von Filmen, die zwar beim Publikum floppten, aber radikales ästhetisches Neuland betraten und in ihrer alptraumhaften Intensität fast schon Horrorfilmen gleichkamen.

Aus dieser wohl finstersten Phase des Regisseurs stammt die jüngste Veröffentlichung der Arthaus-Retrospektive: Auch "Der Ritus" (1969) zählt zu den entlegeneren, wiederzuentdeckenden Bergman-Filmen.

Ein Schauspieler-Trio, bestehend aus zwei Männern und einer Frau, wird wegen einer angeblich obszönen Pantomime vor einen Untersuchungsrichter geladen. In neun dialoglastigen Szenen enthüllen sich nach und nach die derangierten Charaktere der Protagonisten und ihre kraß neurotischen Beziehungen zueinander, in denen der Sex keine geringe Rolle spielt. Schließlich läßt sich der Richter die beanstandete Szene vorführen - eine Art heidnisches Ritual, bei dem die Mimen Masken und Holz-Phalli im Beardsley-Stil tragen. Der Richter erleidet einen Herzinfarkt und stirbt.

Der Film ist in puritanischem Schwarzweiß und fast gänzlich in Großaufnahmen gedreht. Er fokussiert sich streng auf die vier Hauptdarsteller, allesamt Mitglieder der Bergman-"Familie", wie Ingrid Thulin und der geniale Gunnar Björnstrand. Der Meister selbst hat einen Kurzauftritt als Priester. "Der Ritus" bietet brillantes Schauspiel, eine konzentrierte Kamera und eine dichte Atmosphäre, die in der Schlußszene geradezu Gänsehaut erzeugt.

Für Bergman-Fans ein Muß, die anderen sollten sich lieber an die leichter zugänglichen Filme des Regisseurs halten. Dieser warnte vor der ersten Ausstrahlung des Films im schwedischen Fernsehen in einem Vorspann vor dem starken Tobak und empfahl den Zuschauern, doch lieber den Abend mit Lesen oder Kino zu verbringen.


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