© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 34/06 18. August 2006

Kontroverse
Außenpolitik: Zentralrat der Juden diskutiert über Israel-Kritik
Ivan Denes

Die Juden sind seit biblischen Zeiten als streitbares, wortgewaltiges Volk bekannt. Die lautstarke Kontroverse gehört ebenso zur Tradition wie in der klassischen deutschen Philosophie die Dialektik. Nun hat diese schillernde Tradition auch den Zentralrat der Juden in Deutschland eingeholt. Der Anlaß ist der soeben ausklingende Konflikt Israels mit der schiitischen Hisbollah, der "Partei Gottes".

Der Vorsitzende der jüdischen Gemeinde Schleswig-Holsteins, Rolf Verleger, seines Zeichens Professor der Neurophysiologie in Lübeck, hat seinen Kollegen im Vorstand des Zentralrates - mit Charlotte Knobloch an der Spitze - einen Brief geschrieben, in dem er Kritik an der uneingeschränkten Solidarität des Zentralrates mit Israels Kriegführung im Libanon übt. Es habe nichts mehr mit Judentum zu tun, wenn der jüdische Staat "andere Menschen diskriminiert, in Kollektivverantwortung bestraft, 'gezielte Tötungen' ohne Gerichtsverfahren praktiziert, für jeden getöteten Landsmann zehn Libanesen umbringen läßt und ganze Stadtviertel in Schutt und Asche legt". Darauf kamen wutentbrannte Gegenstimmen aus dem Zentralrat, allen voran von Knobloch und Generalsekretär Stephan Kramer, die die Meinung vertreten, die Juden in Deutschland sollten eine geschlossene, mit Israel solidarische Front bilden.

Offenbar herrscht bei Verlegers Widersachern die Überzeugung, den Diaspora-Juden stünden nicht die Rechte zu, die sich israelische Juden herausnehmen - und dies trotz der massiven Unterstützung der Anti-Hisbollah-Kampagne. Denn sowohl in den Medien wie auch in der Knesset ist laute Kritik an der Kriegführung der Regierung Olmert zu vernehmen.

Nur am linksextremen Flügel geht diese Kritik in die Richtung Verlegers. Die meisten kritischen Stimmen bemängeln das viel zu zaudernde, dilettantische Vorgehen des israelischen Militärs. Der namhafte Kommentator der linksliberalen Zeitung Haaretz, Arie Shavit, betitelte seinen Kommentar auf der ersten Seite: "Olmert muß gehen". In der Knesset erklärte der Abgeordnete Zvi Hendel von der Nationalreligiösen Partei, "Olmert ist ungeeignet, an der Macht zu bleiben, er wird keinen Tag länger amtieren". Der frühere Außen- und Verteidigungsminister Moshe Arens schreibt in Haaretz, die Schultern von Olmert, Amir Peretz (Verteidigungsminister) und Tsipi Livni (Außenministerin) seien zu schmal, um die Bürde zu tragen; sie seien regierungsuntauglich. Sie hätten die israelische Reaktion auf die Aggression der Hisbollah viel zu zaghaft angesetzt, die Bedrohung des Nordens durch die Hisbollah-Raketen werde auch nach dem Waffenstillstand nicht schwinden. Starker Tobak, ohne Zweifel, aber ist er nicht diskussionswürdig?

Und wenn ja, warum sollte der Professor seine kritische Meinung nicht äußern dürfen? Verleger vertrete eine "Mindermeinung", führt Generalsekretär Kramer weiter aus. Seine Beanstandung der "Gewaltpolitik" Israels sei "absurd" - und dann kommt die schärfste Kritik: Verleger bediene sich "antiisraelischer Klischees". Es fehlte nur noch, daß Kramer Verleger des Antisemitismus bezichtigt.


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