© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 34/06 18. August 2006

Vom Duce zum Messias
Wahrheit, Freiheit: Das Deutsche Filmmuseum zeigt bis September eine Retrospektive Roberto Rossellinis
Werner Olles

Die überraschende Renaissance des italienischen Films gleich nach dem Zweiten Weltkrieg war auf eine neue Richtung zurückzuführen - die ungeschminkte Wahrheit. Aus innerer und äußerer Not wurde der Neorealismus zu einer Kampfansage gegen die Romantik des Faschismus, ja zum Aufruhr gegen die konventionelle italienische Kultur. Als einer der ersten Bannerträger des Neorealismus erschien Roberto Rossellini auf dem Plan. Noch tobten Partisanenkämpfe in seiner Heimat, aber schon begann er einen Film über die Widerstandsbewegung. Das war nicht ohne Pikanterie, denn Anfang der vierziger Jahre hatte der mit Vittorio Mussolini, dem Sohn des "Duce" und damaligen Chef der italienischen Filmindustrie, befreundete Rossellini drei von der Marine und der Luftwaffe finanzierte Filme gedreht, die sogenannte "Faschistische Trilogie".

Das Deutsche Filmmuseum in Frankfurt/Main würdigt nun den italienischen Starregisseur, der am 8. Mai hundert Jahre alt geworden wäre (JF 19/06), noch bis September mit einer großen Retrospektive. Welche Filme von ihm bis dahin noch gezeigt werden, stand aufgrund von Umbauarbeiten im Filmmuseum bei Redaktionsschluß am Dienstag dieser Woche allerdings noch nicht fest.

Aufgewachsen im bürgerlichen Milieu, kommt Roberto Rossellini durch seinen Vater, der die beiden ersten römischen Kinos "Corso" und "Barberini" baute, schon relativ früh mit dem Filmgeschäft in Berührung. Später erbt er das Vermögen seines Großvaters, doch sein aufwendiger Lebensstil, Reisen ins Ausland und teure Autos brauchen das Erbe schnell auf. Erst der frühe Tod des Vaters bringt ihn wieder zur Besinnung. Er versucht sein Glück als Bildhauer, Maler und Bühnentechniker und findet schließlich eine Anstellung als Geräuschemacher beim Stummfilm. Rossellini lernt nun von der Pike auf alle wichtigen Tätigkeiten, auf die es bei der Filmtechnik ankommt, vom Tontechniker und Cutter bis zum Synchronsprecher.

Nicht zu genießen, zu dienen sind wir da

1936 entsteht ein erster kleiner Dokumentarfilm. Der Film wird zwar von der Zensur verboten, doch Rossellini wird dem bekannten Regisseur Goffredo Alessandrini als Assistent zugewiesen und schreibt das Drehbuch für den Propagandafilm "Luciano Serra pilota" (1938). Drei Jahre später kann er endlich er seinen ersten abendfüllenden Spielfilm inszenieren. "Glückliche Heimkehr", der erste Film der "Faschistischen Trilogie" thematisiert die Eingeschlossenheit einer U-Boot-Besatzung und erregt in Italien große Aufmerksamkeit.

Noch während des Zweiten Weltkrieges drehte Rossellini mit zusammengekauften Filmresten und ohne ausgearbeitetes Skript "Rom, offene Stadt" (1945), das Werk des Neorealismus schlechthin. Bis auf Anna Magnani und seinen alten Freund Aldo Fabrizi holte er die Darsteller direkt von der Straße. Was er im Stil einer dokumentarischen Reportage zeigen will, ist die Angst des von deutschen Truppen besetzten Rom, das zur "offenen Stadt" erklärt worden war, also nicht in Kriegshandlungen verwickelt werden durfte. Aber die Gestapo hatte ihre Netze gesponnen und nutzte jede Gelegenheit, den Widerstandswillen der Römer zu brechen. Die Wirkung des Films war um so unmittelbarer, als die unverfälschten Gesichter der anonymen Darsteller den Gedanken an einen Starfilm erst gar nicht aufkommen ließen.

"Rom, offene Stadt" begründet Rossellinis Weltruf und läßt die Italiener seine "Faschistische Trilogie" schnell vergessen. Ein Jahr später erweitert er mit dem Episodenfilm "Paisà" seine Perspektive auf ganz Italien. In lose aneinandergereihten Abschnitten folgt der Film dem Siegeszug der alliierten Heere von Sizilien bis nach Norditalien und schreibt damit zugleich eine Chronik über den Leidensweg seines Landes.

Doch in der selbstverständlichen Erkenntnis, daß auch der Gegner ein Opfer des Krieges sein mußte, geht Rossellini über die Grenzen Italiens hinaus und dreht 1947 eine Berliner Reportage unter dem Titel "Deutschland im Jahre Null". Hatte er zuvor die Bedeutung des einzelnen Menschen durch die Darstellung des Elends der Vielen geschildert, so ist es hier umgekehrt. Die Tragödie Berlins offenbart sich in den dramatischen Erlebnissen eines seelisch beschädigten Jungen. Wiederum mit Laiendarstellern an Originalschauplätzen im zerbombten Berlin gedreht, fehlt es der Geschichte von dem melancholischen Jungen, dem allzu früh schwerste Verpflichtungen auferlegt werden, und der schließlich keinen anderen Ausweg als den Selbstmord sieht, jedoch an psychologischer Gestaltungskraft.

Rossellini spürte bald, daß der übermäßig reportagehafte Stil der ersten neorealistischen Filme zu einer künstlerischen Stagnation geführt hatte, und gab daher seinem nächsten Film eine stärker zusammenhängende Handlung. "Stromboli" (1949) wurde besonders in Italien und Frankreich zu einem großen Erfolg, nicht zuletzt aufgrund der katholisch gedeuteten "göttlichen Gnade".

Tatsächlich wurde der Regisseur maßgeblich durch den katholischen Glauben geprägt, nur in ihm sah er Wahrheit und Freiheit verwirklicht. So ist die vulkanische Insel Stromboli dann auch ein Symbol für Gottes Erde, auf der die Menschen nicht leben um des Genusses willen, sondern um ihrem Schöpfer zu dienen. Dies muß auch die aus einem Lager für "Displaced Persons" kommende junge Karin lernen, die durch Heirat mit einem Fischer auf die Insel kommt. Erst allmählich beginnt sie zu begreifen, daß Gott ihr eine Aufgabe zuerteilt hat und daß sie ihre Selbstsucht überwinden und ihr Dasein gutheißen muß, um endlich frei zu werden.

Während der Dreharbeiten zu "Stromboli" verliebte er sich in Ingrid Bergman, die Darstellerin der Karin. Die entstehende Beziehung wird jedoch zu einem Skandal, da Bergman, die bereits ein Weltstar war, zu dieser Zeit noch verheiratet ist. Nach ihrer Scheidung heiratet sie den von ihr so bewunderten Regisseur. Die Ehe scheitert nach sieben Jahren und sechs gemeinsamen Filmen, darunter Meisterwerke wie "Reise in Italien" (1953), "Angst" und "Liebe ist stärker" (beide 1954), weil Ingrid Bergman sich künstlerisch von Rossellini eingeengt fühlt.

Nach der Trennung drehte der Regisseur für das italienische und französische Fernsehen eine zehnteilige Serie über den indischen Subkontinent. Ende der fünfziger Jahre entstand dann der Film "Indien, Mutter Erde". Damit stieß Rossellini in ein völlig neues Genre vor. Zwischen Dokumentation und Spielfilm variierend, entwickelte er ein anderes modernisiertes neorealistisches Konzept, das durch seine realistische Darstellung und zurückhaltende musikalische Kommentare - die Musik zu den meisten seiner Filme stammte von seinem Bruder Renzo, einem bekannten Komponisten und Dirigenten -, schon bald zum Manifest eines neuen filmischen Zeitalters avancierte.

Ingrid Bergman fühlte sich künstlerisch eingeengt

In den sechziger und siebziger Jahren drehte Rossellini zumeist Fernsehfilme mit historischen und religiösen Themen. "Viva Italia" (1961) behandelt den schwierigen Kampf um die Einigung Italiens; "Benito Mussolini" (1962) thematisiert Aufstieg und Untergang des Duce; "Socrates" erzählt das Leben des griechischen Philosophen, während "Blaise Pascal" (1971) und "Der Messias" (1976) Bruchstücke einer Apologie des Christentums vorwegnehmen und den Menschen in seinem Zwiespalt zeigen, der nach Christus als Erlöser ruft. Vernunft sei "durch die Logik des Herzens zu ergänzen, die allein das Absolute und die Werte erreicht", schreibt der überzeugte Katholik kurz vor seinem Tod. Am 3. Juni 1977 stirbt Roberto Rossellini in Rom an den Folgen eines Herzanfalls.

Foto: Rossellini mit seiner Frau Ingrid Bergman, auf deren Schoß das gemeinsame Kind Roberto jun. sitzt; Links daneben Renzo, Rossellinis Sohn aus einer früheren Verbindung: Die Ehe galt als Skandal

Die Rossellini-Retrospektive wird noch bis September im Deutschen Filmmuseum, Schaumainkai 41, Frankfurt/Main, gezeigt. Tel: 069 / 2 12-3 88 30 Internet: www. deutschesfilmmuseum.de


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