© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 34/06 18. August 2006

Gespür für die Ehrfurcht
Liturgie: Vatikan ist besorgt
Georg Alois Oblinger

Die Beschwerden in Rom häufen sich: Ein Pfarrer feiert als Clown verkleidet eine sogenannte Faschingsmesse, ein anderer hat zur Jugendmesse die Kirche mit Dessous dekoriert, wieder ein anderer benutzt generell kein Meßbuch und formuliert eigenmächtig die Gebete der heiligen Messe. Laien predigen oder teilen die heilige Kommunion aus, während der Priester sich hinsetzt. Die zuständigen Bischöfe schauen tatenlos zu. Täglich gehen Beschwerden über solche und ähnliche liturgische Mißstände bei der vatikanischen Gottesdienstkongregation ein.

In der Aufbruchsstimmung nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil (1962-1965) setzte eine Bewegung ein, die die "rubrizistische Starrheit" durch liturgische Kreativität überwinden wollte. Bald schon konnte der Gläubige in der Kirchenbank nicht mehr sicher sein, welchen Einfällen des Zelebranten er diesmal ausgesetzt ist. Dabei heißt es in dem vielbeschworenen Konzil, daß die Gläubigen durch die Mitfeier der irdischen Liturgie vorauskostend schon an der "himmlischen Liturgie" teilnehmen. Unmißverständlich steht dort: "Das Recht, die heilige Liturgie zu ordnen, steht einzig der Autorität der Kirche zu (...) Deshalb darf niemand sonst, auch wenn er Priester wäre, nach eigenem Gutdünken in der Liturgie etwas hinzufügen, wegnehmen oder ändern." (Sacrosanctum Concilium, Art. 22)

Als der heutige Papst noch Präfekt der Glaubenskongregation war, hat er mehrfach den liturgischen Wildwuchs getadelt, der nach dem Konzil einsetzte. "Die Liturgie ist keine Show, kein Schauspiel, für das geniale Regisseure und talentierte Schauspieler nötig sind. Die Liturgie lebt nicht von 'angenehmen' Überraschungen, von gewinnenden 'Einfällen', sondern von feierlichen Wiederholungen" (Josef Kardinal Ratzinger in seinem Interview-Buch "Zur Lage des Glaubens"). Er sprach von einer "Reform der Reform" und von der Notwendigkeit eines neuen liturgischen Bewußtseins.

Säkularismus ist in die Kirche eingefallen

Jetzt plant Papst Benedikt XVI. offenbar Maßnahmen, welche die Mißstände bei der Zelebration der heiligen Messe beenden sollen. Das gab Erzbischof Albert Malcom Ranjith Patabendige Don, der Sekretär der Kongregation für den Gottesdienst und die Sakramentenordnung, kürzlich bekannt. In einem Interview mit der französischen Nachrichtenagentur I-Media erklärte der aus Indien stammende Erzbischof, es sei wichtig, daß liturgische Richtlinien eingehalten werden. "Die Reformen des Zweiten Vatikanums haben wegen der Art und Weise, wie sie interpretiert und in die Praxis umgesetzt worden sind, nicht die erhofften Früchte gebracht." Der Papst wolle das Gespür für die Ehrfurcht wiederherstellen. Leider sei vielerorts die Wertschätzung für die kirchlichen Traditionen verlorengegangen.

Bereits zuvor hatte Ranjith in einem Gespräch mit der in Würzburg erscheinenden katholischen Tagespost deutlich gemacht, daß für Papst Benedikt XVI. die Liturgie das Herzstück des Aufbruchs der Kirche nach dem Zweiten Vatikanum hätte sein müssen. Statt dessen sei der Säkularismus in die Kirche eingefallen. Deswegen habe der Kirche die Glaubenskraft für einen solchen Aufbruch gefehlt.

Dabei sind die Richtlinien in den liturgischen Büchern klar festgelegt. Nur wenn diese eingehalten werden, wird deutlich, daß es sich nicht um eine private Feier, sondern um ein kirchliches Geschehen handelt.

Literaturempfehlung: Martin Mosebach, Häresie der Formlosigkeit. Die römische Liturgie und ihr Feind, Karolinger Verlag, Wien 2002, broschiert, 15 Euro (JF 50/02; 13/03)


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