© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 35/06 25. August 2006

Der korrekte Terrorist
Anti-Terrormaßnahmen bieten keine Sicherheit, es bedarf einer anderen Politik
Georg Pfeif

Die Szene könnte skurriler kaum sein: Der mutmaßliche Terrorrist läßt den Bombenkoffer für einen Moment aus den Augen, um eine Plastikflasche in vorbildlicher Weise genau in den dafür vorgesehenen Wertstofftrennbehälter korrekt zu entsorgen. Offenbar teilt er auch die Wertschätzung für die Idole dieses Landes, denn er trägt ein Fußball-Hemd mit dem Kennzeichen eines unserer Fußballhelden. Gleichwohl besteigt er in Dortmund den Regionalzug nach Koblenz mit der Absicht, dort einen Sprengsatz zu deponieren und explodieren zu lassen.

Dabei ist die Bombe nach allem, was bislang bekannt wurde, dilettantisch gebaut. Der Zünder funktioniert nicht. Und ob die Ladung explodiert wäre, wenn der Zünder funktioniert hätte, ist ungewiß. Die Bombe enthält jede Menge Hinweise auf die Identität der Täter. Sogar ein Zettel mit einer Telefonnummer soll sich darin befunden haben. Aufgeschreckt von der einsetzenden Berichterstattung, ruft der Terrorist - den Kommilitonen als freundlich, unauffällig und fromm beschreiben - daheim an, er wisse nicht, was er tun solle, und versucht überstürzt das Land zu verlassen.

Wenn es uns nicht so grauenhaft betreffen würde, könnte man fast über das widersprüchliche Verhalten und den Dilettantismus lachen. Das in den Medien kolportierte Bild des "islamistischen Terrorismus" als eines Netzwerkes haßverzerrter, skrupelloser und professioneller Mörder könnte nicht krasser karikiert werden.

Sofort setzt in der Öffentlichkeit ein Wettlauf um die originellsten Anti-Terror-Maßnahmen ein, so daß selbst die Gewerkschaft der Polizei die "täglich neuen Ideen" als "wenig zielführend" bezeichnet. Keine Rasterfahndung und keine Anti-Terror-Datei hätte diesen Anschlagsversuch verhindern können - wenn man nicht arabisches Herkommen und Religiosität selbst als Verdachtsmomente registrierte und von jedermann ein Psychogramm erstellte, ob er oder sie sich in einer bestimmten Konstellation zu einem Terroranschlag hinreißen lassen könnte. Außerdem müßte man darüber informiert sein, wer sich gerade in einer emotionalen Ausnahmesituation befindet. Auch eine solche Super-Überwachung würde den Kreis potentieller Täter möglicherweise kaum einschränken - sondern eher erweitern.

An der Videoüberwachung hat es in diesem Fall nicht gefehlt. Sie hilft bei der Aufklärung, nicht aber bei der Verhinderung von Anschlägen. Wollte man sie dafür nutzen, müßten permanent Tausende "Video-Watcher" Ausschau halten nach auffällig unauffälligen Reisenden mit großen Koffern. Das klingt nach einem hoffnungslosen Unterfangen. Auch bei dem Vorschlag, bewaffnete "Rail-Marshalls" einzusetzen, sagt der Name schon alles über den Inhalt: befremdlich.

Ein anderer Gesichtspunkt wird kaum diskutiert: Der 22jährige mutmaßliche Täter Youssef Mohamad E. kommt aus dem Libanon, der gerade wochenlang massiver Bombardierung ausgesetzt war. Dabei soll der Bruder des Terroristen - der damals vielleicht noch gar kein Terrorist war - ums Leben gekommen sein. Die Umstände, soweit sie bislang bekannt sind, weisen eher auf eine Verzweiflungstat denn auf einen kaltblütig geplanten Anschlag hin. Möglicherweise handelt es sich also um eine indirekte Folge der israelischen Libanon-Politik. Deutschland unterstützt Israel beinahe vorbehaltlos auch mit Waffentechnik. Diese Konstellation könnte die Motivation für den Anschlag gewesen sein. Es stellt sich also die Frage, welche Auswirkung die israelische Militärpolitik auf die innere Sicherheit Deutschlands hat. Gibt es solche Auswirkungen, stellen sich weitere Fragen: nach Art und Umfang dieser Auswirkungen und ob Aktionen wie die Bombardierung des Libanon unsere Unterstützung verdienen und unsere Parteinahme für Israel rechtfertigen.

Kommt man zum Verhältnis zwischen Deutschland und Israel, ist man sehr schnell bei der "besonderen historischen Verantwortung" Deutschlands, die eine Kritik an israelischen Positionen erschwert oder unterbindet. Aber genau diese Frage wirft der jüngste Attentatversuch auf: Findet diese Verantwortung irgendwo eine Grenze, oder verpflichtet sie Deutschland, die israelische Politik in toto zu unterstützen? Wenn Deutschland Israel einschließlich dessen militärischen Gebarens unterstützt, müssen wir die Rückwirkungen auf unsere eigene Sicherheit in Kauf nehmen. Wenn wir militärische Aktionen wie die Bombardierung des Libanon dagegen mißbilligen, müssen wir dies klar artikulieren und daraus Konsequenzen ziehen.

Dies ist eine politische Frage, die in das Forum der öffentlichen Diskussion gehört. Doch Fehlanzeige! Statt dessen führen wir eine Debatte über Sicherheitsmaßnahmen, an deren präventiven Wirksamkeit sogar die Fachleute zweifeln und die unsere bürgerlichen Freiheitsrechte immer weiter einschränken.

So ist der nächste Anschlagsversuch programmiert, der womöglich nicht so glimpflich ausgehen wird, ebenso wie die nächste Runde in der Beschränkung der Bürgerrechte. Die außenpolitische Debatte muß deshalb jetzt beginnen!


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