© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 35/06 25. August 2006

Silberner Sonderling mit Stern
Architektur: Das Stuttgarter Mercedes-Benz Museum präsentiert Geschichte als futuristisches Abenteuer
Matthias Schultz

Die Moderne mit ihrer klaren, gradlinigen und oft schon monotonen Formensprache scheint allmählich überwunden. Einst hat die Technik das Handwerk und alle kostspieligen Verzierungen verdrängt, nun kommt dank des Rechners wieder Schwung in die Architektur. Das gerade eröffnete Mercedes-Benz Museum in Untertürkheim bei Stuttgart ist ein Beispiel par excellence.

Eingezwängt zwischen Hochhäusern und viel Verkehr auf Hochstraßen thront der silberne Sonderling auf einem künstlichen Hügel, eine Mischung aus Ufo und Schwarzwälder Kirschtorte mit Schlagseite. Die durchlaufenden, leicht geneigten Bänder aus 1.800 dreieckigen Augenglasscheiben deuten schon von außen die äußerst komplizierte Konstruktion des 150 Millionen Euro teuren Ausstellungsbaus an. Noch vor wenigen Jahren wären die Pläne des niederländischen Architektenteams UN Studio van Berkel & Bos aus Amsterdam in der Tat noch nicht realisierbar gewesen.

Doch fängt alles recht übersichtlich an, betritt der Besucher die voll verfensterte und von der Front zurückgesetzte Empfangshalle durch die beiden großen Drehtüren. Entlang dem kreisrunden Kassentresen geht es dann in das Herz des insgesamt 16.500 Quadratmeter Ausstellungsfläche bietenden Gebäudes. Ein 47,5 Meter hohes, vom Grundriß wie ein Wanckelmotorkolben angelegtes Atrium wirkt wie eine moderne Kathedrale der Technik, unter deren Decke ein riesiger, dreizackiger Stern aus Downlights herabstrahlt. Drei silbern-futuristische Fahrstühle, die mit ihren schmalen Sichtfenstern wie Raumfahrerhelme anmuten, katapultieren dann die Gäste unter die mit weißen Stoffbahnen abgespannte Decke und mit der neunten Ebene thematisch zurück ins Jahr 1886, als das erste Automobil durch die Welt zuckelte.

Alle sieben "Mythos"-Räume bleiben theatralisch dunkel

Im ersten "Mythos"-Raum wird in geheimnisvollem Dunkel die Geschichte der drei Pioniere Gottlieb Daimler, Karl Benz und Wilhelm Maybach erzählt und über eine seicht abfallende Rampe übergeleitet zum nächsten Station, der Geburt der Marke. Diese Übergänge zwischen dem "Mythos"-Raum-Parcours dienen stets der Darstellung von wichtigen Ereignissen der jeweiligen Zeit, die sanft ausgeleuchteten Schaukästen illuminieren nur sehr zurückhaltend die gesamte Inszenierung des Architekturbüros HG Merz. Denn alle sieben "Mythos"-Räume leben von einer theatralischen Stimmung, bleiben im Dunkel und von der Außenwelt abgewandt.

Die Materialien der Wände wechseln, greifen jene der Automobilindustrie auf, von Aluminium bis hin zu Wildleder. Wie überhaupt dieses Gebäude mit seiner Gestalt sich an die Dynamik und Stromlinienform der über 160 hier präsentierten Fortbewegungsmittel anlehnt. Auf dem Grundriß eines dreiblättrigen Kleeblatts winden sich die Ebenen wie eine Doppelhelix umeinander, eigentlich gibt es aber gar keine wirklich voneinander getrennten Geschosse, denn sie gehen fließend wie im berühmten Guggenheim-Museum ineinander über. Zudem gibt es hier keine klassische Trennung zwischen Fußboden, Wand und Decke, sondern stete und aufwendig doppelt gekrümmte Übergänge.

Dank dieser ausgesprochen stabilen Schraubenform, den sogenannten "Twists", war es auch möglich, ganz auf Stützen innerhalb der 33 Meter messenden Schauräume zu verzichten - trotz der Maßgabe, an jedem Punkt des insgesamt 110.000 Tonnen wiegenden Gebäudes auch einen schwergewichtigen Lastwagen präsentieren zu können. Die größeren der insgesamt 1.500 Exponate wurden übrigens über einen Kran durch das Atrium hochgezogen und nicht die durchgängige Rampe hochgefahren.

In einem zweiten, alternativen Rundgang wird dann die Sammlung präsentiert. Dabei ist es stets an den Knotenpunkten möglich, zwischen den beiden Strecken hin und her zu wechseln, so daß die Runde je nach Zeit und Lust von 1,5 bis rund 5 Kilometer variiert werden kann. Nicht chronologisch wie die "Mythos"-Räume, sondern thematisch sind hingegen die "Collections"-Räume geordnet und auch nur mit schmalen Treppen jeweils direkt miteinander verbunden. Da gibt es dann insgesamt fünf Galerien, unter anderem die der "Helfer", "Namen" und "Helden". Sie sind durch die weiten Fensterbänder panoramahaft nach außen geöffnet und lichtdurchflutet. Die Dreiecksform der Fenster resultiert dabei aus den Streben, die wiederum die Rampen tragen und die Raumhöhen hier auf die Hälfte reduzieren.

Im untersten Geschoß angekommen, treffen beide Strecken wieder aufeinander und schließen ab mit der Halle für die legendären Silberpfeile. Von einer flachen Tribüne aus können die Besucher den Blick schweifen lassen über eine Armada von Rennwagen, die wie in einer Steilkurve an der Wand kleben und sich allmählich bis ins Ausgangsfoyer auf die Senkrechte hochziehen. Von dort aus geht es via Rolltreppe wieder zurück in das zentrale Atrium und weiter in den Keller mit Souvenirläden, Restaurant und Tiefgarage, wo witzigerweise auch noch ein schrottreifer, verrosteter und mit Müll gefüllter Mercedes steht.

Info: Mercedes-Benz Museum, Mercedesstraße 100, Stuttgart, Öffnungszeiten: Dienstags bis sonntags 9 bis 18 Uhr, Eintrittspreise: Erwachsene 8 Euro, ermäßigt 4 Euro, Führungen 4 Euro plus Eintritt. Internet: www.mercedes-benz.com/museum .

Fotos: Mercedes-Benz Museum (Ausschnitt): Dem Auto zur Glorie, Treppenhaus, komplette Außenansicht: Halb Ufo, halb Torte


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