© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 35/06 25. August 2006

Früher war's so anders wie heute
"Popstars": Lange Tradition
Sven Lachhein

In Deutschland begann der private Fernsehsender RTL 2 im Herbst 2000 mit der Ausstrahlung der ersten "Popstars"-Staffel. Aus ihr ging die Band No Angels als Gewinner und erfolgreichste Mädchen-Singgruppe ihrer Art auf dem deutschen Plattenmarkt hervor.

Unter dem reißerischen, auf die erste Staffel anspielenden Untertitel "Neue Engel braucht das Land" haben "Tanz- und Life-Coach" Detlef D! Soest, der auch schon die bisherigen Staffeln betreute, der Kölner Musikproduzent Dieter Falk und Punk-Oma Nina Hagen das außerordentliche Vergnügen, in der nun fünften Staffel auf Pro Sieben aus einigen tausend von Ruhm und Ehre träumenden Maiden unter viel Schmalz, Schweiß und Tränen die passenden Hupfdohlen herauszusuchen.

Der Wille der Jury adelt oder verdammt das junge, hoffende Wesen zurück in seine glanzlose Welt, der es zu entrinnen suchte. Allenfalls der Spott bei besonders mißlungenem Vorsingen sorgt da für Heiterkeit beim gaffend schaulustigen Publikum und schafft somit dennoch kurzfristige, aber ungewollte Bekanntheit. Wenn zarte Blütenträume reifen, dann ist viel Frohsinn in der Welt, doch wie die Vorgänger solcher Castingshows bewiesen haben, hat der hartumkämpfte Plattenmarkt so manche Rose schon vor dem Sturm gebrochen, eh sie vom Zahn der Zeit (Nina Hagen) entblättert wurde.

Vor knapp achthundert Jahren war das alles noch anders, aber ähnlich. Damals, im großen Sängerkrieg auf der Wartburg, dessen Schlachten und Scharmützel Richard Wagner so begeisternd in zig Leitmotiven mächtig inszenierte, wehte ein härterer Wind.

Tannhäuser, ein angehender Heldentenor aus dem Hörselgau, nahm bei Vocalcoach Venus einige Stunden Gesangsunterricht, machte sich auf zum Casting nach Eisenach und gewann mit etwas Mogelei die erste Runde. Beim Recall flog der Schwindel auf, und er sollte, so die harten Regeln der Show, nun für diesen Frevel mit dem Leben büßen.

Doch, wie hätte es anders sein sollen, eines der Jurymitglieder, die schöne Elisabeth, verliebt sich in ihn und zieht ihren Favoritenjoker. Tannhäuser ist eine Runde weiter, stirbt aber vor Aufregung während seiner Dance-Choreo. Was für ein Schock für den Produzenten der Show, hatte der Publikumsliebling doch immer für hohe Einschaltquoten gesorgt.

Der Schlußchor am Ende der letzten Sendung verheißt ihm dennoch den verdienten Erfolg im Himmel: "Hoch über aller Welt ist Gott und sein Erbarmen ist kein Spott."


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