© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 35/06 25. August 2006

Meldungen

USA: Überlegene Armutsverwaltung

LEIPZIG. In Deutschland erlebe man derzeit "eine massive Vermehrung unterschiedlicher Armutssituautionen, teils durch Deindustrialisierung, teils durch Zuwanderung". Dies konstatierend, zweifelt der Soziologe Gerd Held an der überwiegend optimistischen Einschätzung, Armut bleibe eine Sondersituation ohne Auswirkungen auf die Mehrheit und die Verfassung des Landes (Blätter für deutsche Landeskunde, 1/06). Die Beteiligung der Armen an der "Übernahme der Verantwortung" werde zu einem der "Schlüsselprobelme des Westens" werden. In einem Vergleich zwischen Frankreich und den USA streicht Held die etatistische "Governance-Kultur" unseres zentralistischen Nachbarn als kaum nachahmenswert heraus. Die unter dem Eindruck der Unruhen in Paris und Lyon in den 1990er Jahren ausgebauten Sozialstationen und Stadtteilprojekte seien zu "Bastionen der öffentlichen Dienste" geworden. Von den Bewohnern der Banlieues würden sie als "fernes Nationaleigentum" wahrgenommen. Sie hätten nur "vergoldete Abhängigkeit" geschaffen. Die vielgeschmähte US-Armutspolitik sei hingegen von "sozialstaatlicher Überfrachtung" schon zu Präsident Carters "befreit" worden. Die rigide Kürzung öffentlicher Mittel habe man durch Stiftungsgelder kompensiert, und es sei gelungen, die Armen in die Selbstverwaltung ihrer Quartiere einzubeziehen. Aus Bürgerinitiativen bildete sich inzwischen ein Netz von steuerbefreiten Unternehmen aus, die für Bestandspflege, Infrastrukturergänzung sowie für Sauberkeit und Ordnung im Quartier selbst sorgen.

 

Speer: Baldiges Ende eines Rest-Mythos

STUTTGART. Trotz der jüngsten "Entmythologisierung" der Biographie des NS-Rüstungsministers Albert Speer, die vor allem dessen Legende zerstörte, von der "Endlösung" nichts gewußt zu haben, blieb sein Ruf als Organisator des "totalen Kriegs" unangetastet. Diesen letzten Mythos, das von Speer bewirkte "Rüstungswunder", ohne welches das Deutsche Reich den Krieg schon 1943 verloren hätte, wollen die Wirtschaftshistoriker Jonas Scherner und Jochen Streb nun auch noch zerstören (Vierteljahrschrift für Wirtschafts- und Sozialgeschichte, 2/06). Im ersten Anlauf dazu, gestützt auf Nachlaßmaterial von Speers Chefstatistiker Rolf Wagenführ, weisen die beiden Historiker nach, daß die Rationalisierungserfolge ab 1942 auch deshalb so signifikant ausgefallen seien, weil Speer einen günstigen Vergleichsindex gewählt habe. Tatsächlich setzte sich 1942 in der Rüstungsproduktion nur ein Trend fort, der seit Kriegsbeginn zu beobachten sei. Speers Amtszeit stand also keineswegs in "klarer Diskontinuität" mit der vergleichsweise "friedensmäßigen" Phase zwischen 1939 und 1941. Eine noch ausstehende Analyse mikroökonomischer Vorgänge in den deutschen Rüstungsunternehmen werde daher dem "Mythos vom begnadeten Wirtschaftsführer Albert Speer ein baldiges Ende" bereiten.


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