© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 36/06 01. September 2006

LOCKERUNGSÜBUNGEN
Einnahmequelle
Karl Heinzen

Steigende Lebenshaltungskosten haben zwar die unpopuläre Konsequenz, daß sich immer mehr Menschen immer weniger leisten können. Erfreulicherweise stärken sie aber zugleich auch die Sensibilität der Bürger dafür, daß wir uns in einer Art Krisenzeit befinden und der Reformwille der Politik daher nicht nachlassen darf.

Nachdem monatelang vor allem das Lamentieren über ausufernde Energiekosten zu vernehmen war, richtet sich der Blick nun auf die Lebensmittelpreise. Für ihren markanten Anstieg scheint ausnahmsweise aber keine Maßnahme der schwarz-roten Bundesregierung verantwortlich zu sein. Vielmehr hat sich offenbar die Hitzeperiode im Juni und Juli schädlich auf die Ernte ausgewirkt, und die WM-Euphorie mit ihren massenhaften Grillfesten führte zu einer Verknappung des Fleischangebotes.

Die Politik hingegen wird sich auf dem Lebensmittelmarkt erst zur Jahreswende bemerkbar machen. Zwar bleiben viele Produkte des täglichen Bedarfs auch weiterhin mit einem ermäßigten Mehrwertsteuersatz von unverändert sieben Prozent belastet. Für manche, wie etwa Mineralwasser oder Säfte, galt diese Ausnahme aber bereits in der Vergangenheit nicht, und dementsprechend wirkt sich die Mehrwertsteuererhöhung von 16 auf 19 Prozent auf ihre Preise aus. Die Faustregel, daß das, was bei Aldi im Sortiment zu finden ist, vom Gesetzgeber auch steuerlich begünstigt sein dürfte, führt somit in die Irre.

Die Definitionshoheit des Staates, was als Grundnahrungsmittel zu gelten hat und was als Delikatesse, stand bislang kaum in der öffentlichen Kritik. Insofern ist es verwunderlich, daß die öffentliche Hand hier die Grenzen nicht viel enger zieht, um dringend benötigte Mehreinkünfte zu erzielen. Da selbst eine fortschreitende Verarmung breiterer Schichten kaum zu Hungersnöten führen dürfte, ist zudem zu fragen, ob die Privilegierung von Lebensmitteln in einer Gesellschaft, in der Übergewicht ein Massenphänomen ist, noch zeitgemäß sein kann.

Nicht weniger unverständlich ist die fortgesetzte Anwendung des ermäßigten Mehrwertsteuersatzes auf Druckerzeugnisse. Das meiste, was hier auf den Markt kommt, ist bestenfalls unterhaltend, trägt aber nichts zum wissenschaftlichen oder zivilisatorischen Fortschritt bei und verdient auch keine sentimentale Zurechnung zum "Kulturerbe". Manches, was veröffentlicht wird, ist vielmehr sogar darauf ausgerichtet, die Grundfesten unseres Zusammenlebens zu unterminieren. Wenigstens in solchen Fällen sollte der Staat Position beziehen und den vollen Mehrwertsteuersatz einfordern.


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