© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 37/06 08. September 2006

Wahlkampf
Zweierlei Maß
Dieter Stein

Am 17. September werden in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern neue Landesparlamente gewählt. In beiden Ländern regiert eine rot-rote Koalition aus SPD und Linkspartei/PDS. Es sind zwei spannende Wahlen, denn es ist ein erster großer Test auf Landesebene nach fast einem Jahr Großer Koalition in Berlin. Da die CDU im Bund, die SPD in Bund und Land und die PDS in beiden Ländern politische Mitverantwortung tragen, verbleiben in den Augen der Bürger als Oppositionsparteien nur Grüne, FDP - und Rechtsparteien. In Mecklenburg-Vorpommern sehen Meinungsumfragen der letzten Woche die NPD erstmals bei sechs Prozent und damit im Landtag. In der Vergangenheit wurden rechte Protestparteien in der Regel zu niedrig eingeschätzt, weil es politisch inopportun war, solche Parteien in den Medien "hochzureden".

Man muß nicht mit der NPD sympathisieren, um sich über die Unfairneß zu empören, mit der dieser Partei begegnet wird. Seit Veröffentlichung der Nachricht über den nun wahrscheinlich gewordenen Einzug der NPD in Schwerin häufen sich Negativmeldungen über diese Partei, die den Charakter von verzerrender Berichterstattung erfüllen. Da wird gemeldet, eine SPD-Kandidatin sei an einem NPD-Stand "umstellt und bedroht" worden. Diese Tatsache muß für den örtlichen Verfassungsschutz als Indiz für einen "braunen Vormarsch" herhalten.

Kaum Verbreitung fand indes die Nachricht über den Überfall von linksradikalen Gewalttätern auf einen Republikaner-Infostand in Berlin (siehe Meldung Seite 4), bei dem zwei Rentner krankenhausreif geschlagen wurden. Keine Erschütterung löst die Tatsache aus, daß der NPD als zur Wahl zugelassenen Partei in Berlin fast alle öffentlichen Räume verweigert werden. Da alle privaten Vermieter massivem öffentlichen Druck ausgesetzt sind, kann diese Partei damit praktisch keine Wahlkundgebungen mehr durchführen.

Alle diese Maßnahmen der Ungleichbehandlung - beim von der Bundeszentrale für Politische Bildung betriebenen "Wahlomat" ( www.wahlomat.de ) wird beispielsweise selbstverständlich die linksradikale Kleinpartei WASG berücksichtigt, die NPD und die Republikaner aber nicht - werden die Politikverdrossenheit bei vielen Bürgern noch steigern. Schon jetzt beabsichtigen nur 40 Prozent in Mecklenburg-Vorpommern überhaupt zur Wahl zu gehen.

Die Diskriminierung im Wahlkampf adelt die Betroffenen geradezu zu wahren Oppositionsparteien. Insbesondere die NPD wird von dieser Politikverdrossenheit enorm profitieren können. Und auch davon, daß die großen Parteien zu einigen zentralen Fragen, die den Wählern auf den Nägeln brennen, kaum noch zu unterscheidende Positionen beziehen: der Masseneinwanderung, dem Verlust deutscher Identität, der von steigender Arbeitslosigkeit begleiteten Globalisierung.

Spricht eigentlich noch jemand über die Dominanz der postkommunistischen PDS in Berlin und Schwerin? Honeckers Erben sind in der Mitte der Bundesrepublik angekommen und werden von allen etablierten Parteien als Bündnispartner untertänigst hofiert. Seit neuestem sogar von der Union: In Cottbus arbeitet die örtliche CDU mit der PDS zusammen, um ihren Kandidaten gegen die SPD durchzusetzen. 


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