© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 38/06 15. September 2006

Ein Bürgermeister hinterläßt Spuren
Niedersachsen: Dank seines konservativen Stadtoberhauptes erlebt Braunschweig einen Aufschwung / Symbolträchtige Rekonstruktion
Martin Schmidt

Klarer hätte die Entscheidung kaum ausfallen können: Mit einer satten absoluten Mehrheit gewann Amtsinhaber Gert Hoffmann (CDU) am vergangenen Sonntag die Braunschweiger Oberbürgermeisterwahl gegen seinen SPD-Herausforderer Friedhelm Possemeyer. Anders als sein Gegenkandidat ließ Hoffmann vor der Wahl keine Plakatparolen sprechen, sondern die Taten eines Kommunalpolitikers, der für weit größere Aufgaben als die eines Stadtoberhaupts bestimmt scheint.

Besonders augenfällig sind die wirtschaftspolitischen Leistungen Hoffmanns. Die innerdeutsche Grenze hatte das im "Zonenrandgebiet" gelegene Braunschweig nach 1945 von seinen wichtigsten Handelspartnern, den Städten Magdeburg und Berlin, abgeschnitten. Ähnlich wie West-Berlin blutete die traditionell auf Preußen ausgerichtete Region Braunschweig aus. Die Wirtschaftsleistung sank, desgleichen die Bevölkerungszahl, während die Schuldenlast den haushaltspolitischen Spielraum zusehends einschränkte. Die Wiedervereinigung ermöglichte der Stadt zwar, ihre einstige Mittellage wiederzugewinnen, doch die roten Zahlen und das vergleichsweise schlechte Image blieben. Jedenfalls bis zur Ära Hoffmann, die im November 2001 begann. Zunächst mußte der 1946 in Berlin geborene erste direkt gewählte Braunschweiger OB allerdings eine Rufmordkampagne durchstehen, bei der man ihm seine Jahrzehnte zurückliegende Mitgliedschaft in der NPD zum Vorwurf machte.

Der konservative Christdemokrat stand die Kampagne durch und bekannte sich ohne Bußrituale zu seinem Lebenslauf. Bei der auch für Braunschweig schon obligatorischen Schwulenparade im Juli dieses Jahres ließ sich Hoffmann mit einem "wichtigen privaten Termin" für die bewußte Nichtteilnahme entschuldigen. Daß der mediale Gegenwind der ansonsten meist übermächtigen linksliberalen Gesinnungswächter nicht zu stark wurde, dafür sorgte das traditionell CDU-nahe Regionalblatt Braunschweiger Zeitung.

2005 konnte der Haushalt der zweitgrößten Stadt Niedersachsens unter anderem dank höherer Gewerbesteuereinnahmen und niedrigerer Sozialhilfekosten erstmals nach über einer Dekade mit einem Plus abgeschlossen werden. Braunschweig lag damit im Vergleich der deutschen Großstädte ganz vorn. Das Budget mußte nicht mehr über den Vermögenshaushalt, sprich den Verkauf städtischen Tafelsilbers, ausgeglichen werden. Ja, die von den Vorgängern übernommenen Schulden und die Zinslasten konnten sogar auf 213,3 Millionen Euro halbiert werden. Die Kommune gewann ihre haushaltspolitische Handlungsfreiheit zurück. Neben verschiedensten städtebaulichen Umgestaltungen setzt man insbesondere bei der schrittweise geplanten Sanierung maroder Schulgebäude Akzente. Gegen Mitbewerber wie Aachen oder Freiburg wurde Braunschweig als Nachfolgerin der sächsischen Boomstadt Dresden zur "Stadt der Wissenschaft 2007" gekürt. Der begehrte Titel verschafft der Kommune bundesweite Aufmerksamkeit als Standort für Industrie und Forschung.

Daß die Technische Universität mit ihrer Atomuhr für ganz Deutschland die genaue Zeit vorgibt, bekommt auch symbolische Bedeutung, zumal die Stadt an der Oker mit der Biologischen Bundesanstalt für Land- und Forstwirtschaft oder dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt weitere Spitzenadressen der Hochtechnologie ihr eigen nennt. In einem diesen Sommer veröffentlichten Städtetest der Zeitschrift Wirtschaftswoche und der "Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft" kam die Stadt unter 50 Bewerbern auf Rang 14.

Was haben Hoffmann und seine CDU/FDP-Ratsmehrheit im einzelnen getan? Stellen in der Verwaltung wurden gestrichen, und das Gießkannenprinzip bei der Verteilung städtischer Gelder an die unterschiedlichsten lokalen Verbände und Vereine gehört der Vergangenheit an (betroffen waren nicht zuletzt überflüssige linksradikale "Sozial"-Initiativen).

Am stärksten wirkte sich die Privatisierung des lokalen Energieversorgers aus, wobei es der Stadt gelang, sich weitgehende Mitspracherechte zu sichern. Später kam die Privatisierung der Stadtentwässerung hinzu. Am Verkauf der kommunalen Anteile in Bereichen, die die Grundversorgung der Bürger gewährleisten, entzündete sich aber auch die nachhaltigste Kritik an der Hoffmannschen Haushaltskonsolidierung. Doch das Ergebnis überzeugte die große Mehrheit der Bevölkerung: Braunschweig erlebt derzeit eine im heutigen Deutschland seltene Aufbruchsstimmung; die Stadt wird lebendiger und schöner.

Die düsteren Prognosen zur örtlichen Bevölkerungsentwicklung mußten dahingehend berichtigt werden, daß erstmals seit fünf Jahren wieder über 240.000 Menschen in der "Stadt Heinrichs des Löwen" leben. Die Verwaltung billigte mit einer "Baulandoffensive" die Subventionierung von Grundstükken für Familien und zahlt Studenten der Technischen Universität Prämien, wenn sie sich für die Anmeldung ihres Hauptwohnsitzes in Braunschweig entscheiden.

Hoffmanns prestigeträchtigstes Bauvorhaben ist die vor knapp vier Jahren angestoßene Wiederherstellung des 1960 gesprengten Schlosses. Die von 1831 bis 1840 unter der Leitung des Hofbaumeisters Carl Theodor Ottmer fertiggestellte Residenz der Braunschweiger Welfenherzöge entsteht neu in Gestalt des 200 Millionen teuren Einkaufszentrums "Schloß-Arkaden". Träger der größten laufenden Privatinvestition in Niedersachsen ist das Hamburger Unternehmen ECE. Linksgerichtete Kräfte versuchten das Projekt im Herzen der Stadt mit fadenscheinigen Argumenten und juristischen Klagen zu verhindern. Sie knüpften damit gewissermaßen an die Zeit vor dem Abriß des von britischen Bombern beschädigten Schlosses an, als die aristokratischen Traditionen des bis November 1946 über 800 Jahre selbständig gewesenen Landes Braunschweig aus dem Stadtbild entfernt werden sollten.

Hatte man vor 1960 nur allzu gern die kurzzeitige Nutzung des Schlosses als SS-Junkerschule hervorgehoben, so war es jetzt die denkmalpflegerisch begründete Bemängelung des künstlichen Charakters der "Attrappe". Der identitätsstiftenden städtebaulichen Bedeutung des Vorhabens wird derlei
Denkmalpflege-Purismus nicht gerecht.

In der Bevölkerung konnte man mit solcher Miesmacherei ohnehin kaum landen. Die Braunschweiger Bürgerschaft hatte im April 1960 mit einer Massendemonstration ihre Ablehnung des Schloß-Abrisses deutlich gemacht und unter anderem durch die gezielte Rettung von Figurengruppen, Pfeilern und anderen wertvolleren Bauelementen auf dem Gelände eines Kleingartenvereins eine spätere Rekonstruktion vorbereitet. Heute mutet es wie eine Ironie der Geschichte an, daß der Abrißbeschluß von 1960 vom Stadtrat ebenso mit einer Stimme Mehrheit gefällt wurde wie die Entscheidung für den neuerlichen Bebauungsplan im Juli 2004.

Die einst überaus sehenswerte, durch alliiertes Bombardement jedoch schwer in Mitleidenschaft gezogene Fachwerkstadt erhält durch den seit dem ersten
Spatenstich am 13. Juli 2005 mit bewundernswerter Geschwindigkeit umgesetzten Schloßbau ihr historisches Zentrum zurück. Zwar hat die innere Raumaufteilung nichts mehr mit dem Original gemein, doch die Fassade orientiert sich in ihren Ausmaßen und ihrer Gestalt genau am historischen Vorbild und beinhaltet 550 erhalten gebliebene Fragmente.

Spätestens nach der Einweihung des zu 80 Prozent aus alten Steinen rekonstruierten Portikus am 26. August und angesichts der nun erst voll erkennbaren Schönheit der wiederhergestellten dreiflügeligen Sandsteinfassade müssen Beobachter Oberbürgermeister Hoffmann zustimmen, wenn er sagt: Die "Schloß-Rekonstruktion ist von der Symbolik für die Stadt vergleichbar mit dem Wiederaufbau der Frauenkirche in Dresden".

Das Braunschweiger Prestigevorhaben hat weitgehende städtebauliche Konsequenzen: Der bisherige bruchstückhafte Charakter der verschiedenen sogenannten "Traditionsinseln" mit ihrer erhalten gebliebenen Altbausubstanz wird aufgehoben und der innerstädtische Raum erweitert. Das Schloßgebäude selbst soll neben einzelnen Geschäften unter anderem ein Museum zur Geschichte der herzoglichen Residenz, Standesamt und Stadtarchiv, Bibliotheken, eine Abteilung der Kommunalverwaltung, ein Kulturinstitut sowie einen Veranstaltungssaal beherbergen. In einem angebauten Glastrakt findet der Hauptteil des ECE-Einkaufszentrums "Schloß-Arkaden" mit insgesamt 150 Geschäften Platz.

Die dynamische Entwicklung Braunschweigs lockt immer neue Investoren an, die sich ihren Anteil am Aufschwung sichern möchten. Die Mehrheit der Bevölkerung hat das neue Schloß und die anderen sichtbaren Zeugnisse der Politik Hoffmanns innerlich längst angenommen und sieht der kommenden achtjährigen Legislaturperiode ihres OBs mit Zuversicht entgegen.

Fotos: Das wiederaufgebaute Schloß in Braunschweig: "Vergleichbar mit der Frauenkirche in Dresden", Gert Hoffmann: Geradlinig


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