© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 38/06 15. September 2006

Zeitschriftenkritik: Wegbegleiter
Wahrheit ist wichtiger als Freude
Werner Olles

In Zeiten sozialer Verwerfungen und ökonomischer Unsicherheiten haben Phänomene wie Esoterik, Okkultismus und Spiritismus seit jeher Hochkonjunktur. Ein anderer Grund ist, daß viele Menschen hier Trost für ihre diffusen, aber auch berechtigten Ängste und Sorgen suchen, weil das Christentum seine eigene großartige Spiritualität fast gänzlich aufgegeben hat. Sowohl in seinen traditionalistisch-konservativen als auch in seinen modernistisch-zeitgeistigen Ausprägungen herrscht gegenüber jeglicher Art von Spiritualismus Reserviertheit und Distanz, die sich bisweilen zur offenen Feindseligkeit steigert. Eine Ausnahme bilden lediglich charismatischen Strömungen, die allerdings mit ihren Massenveranstaltungen mit "Event"-Charakter auf ernsthafte Christen dubios wirken.

Eine recht pragmatische Haltung gegenüber diesen Phänomen nimmt hingegen die Orthodoxie ein. Da es in Rußland und anderen slawischen Ländern ohnehin eine lange spirituelle Tradition gibt, geben orthodoxe Priester ihren Gläubigen lieber Ratschläge, was diese beispielsweise beim Besuch eines geistigen Heilers beachten sollen. Hat der Heiler in seinen Räumen Kruzifixe und Ikonen und betet er während seiner Behandlung, könne man ihm vertrauen. Wo dies nicht der Fall ist, soll der Gläubige sich schleunigst aus dem Staub machen.

Der vierteljährlich im 10. Jahrgang erscheinende Wegbegleiter - Untertitel: Unabhängige Zeitschrift zur Wiederbesinnung auf das Wesentliche - setzt sich durchaus ernsthaft mit christlichem Spiritualismus bzw. spirituellem Christentum auseinander. Im DIN-A5-Format nimmt man auf jeweils ca. 80 Seiten Stellung zu Themen wie Neuoffenbarungen, Geistige Heilung, altes und neues spirituelles Wissen, Verschwörungstheorien und Charakter und Fragen des Spiritismus. Zur Sprache kommen auch grenzwissenschaftliche Themen wie Nahtod-Erfahrungen (Elisabeth Kübler-Ross) und kritische Blicke auf die kommerzielle Esoterik-Szene. Daß dabei manchmal das Kind mit dem Bad ausgeschüttet wird, ist kaum vermeidbar. So wirkt das nachgedruckte Interview mit einer "katholischen Priesterin" unfreiwillig komisch, und der Diskussionsbeitrag eines Anhängers Allan Kardecs, des Begründers einer religiösen Bewegung, die Spiritismus und Reinkarnationsglauben miteinander verband, strotzt nur so von Unwissenheit über die christliche Religion. Wer gegenüber der Entwicklung der Welt eine "positive Sichtweise" hat, während Christus von der "Überwindung der Welt" sprach, und das Christentum allein mit "Freude, Glück und Liebe" gleichsetzt, aber dabei das Wichtigste vergißt, die Wahrheit nämlich, hat wohl wenig verstanden.

Andere Autoren bemängeln die ungenügende Differenzierung bei der Betrachtung des Spiritismus von kirchlicher Seite. Erleichtert wird dies jedoch durch die unkritische Übernahme fernöstlicher Lehrmodelle wie der Reinkarnation anstelle der Erlösung durch Christus und die Ablehnung der Lehre vom Dreifaltigen Gott, des Wertes der Sakramente und der Sündenvergebung durch die Gnade. 

Anschrift: Thomas Frey. Küngenwinkel 4, CH-5412 Gebenstorf. Einzelpreis 2,50 Euro. www.wegbegleiter.ch 


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