© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 39/06 22. September 2006

Meldungen

Die Produktion des spanischen Wesens

MARBURG. Der Zusammenbruch Spaniens im Krieg mit den USA, bei dem 1898 die Reste eines Weltreiches abhanden kamen, in dem einst die Sonne nicht unterging, stieß auf der iberischen Halbinsel Reformen an, die wieder einmal, wie José Maria López Sánchez meint (Berichte zur Wissenschaftsgeschichte, 29/06), die unauflösbare Verklammerung der Wissenschaft mit der Politik beweisen und ihr eigenes Selbstverständnis von "Voraussetzungslosigkeit" und "Objektivität" Lügen strafen. Damit Spanien innenpolitisch wettmachen konnte, was es außenpolitisch verloren hatte, wurden um 1900 die Anstrengungen um eine alternative, "moderne" Bildung mit dem Ziel erhöht, breitere soziale Grundlagen für das Gemeinwesen zu gewinnen, damit es künftigen Herausforderungen besser begegnen könne. Eine zentrale Funktion war dabei dem 1910 in der Hauptstadt Madrid gegründeten Centro de estudios históricos zugedacht worden. López Sánchez stellt es als Denkfabrik vor, die das neue "liberale Nationalbewußtsein" Spaniens regelrecht "produziert" habe. Das Centro sei ein "Meilenstein im Aufbau eines modernen wissenschaftlichen Systems" gewesen, es habe die wichtigsten wissenschaftlichen Denkströmungen Europas nach Spanien geleitet und damit die klerikal induzierte Rückständigkeit gebrochen. Es habe allerdings auch ein Geschichtsbild "konstruiert", das ein ins Mittelalter implantiertes "spanisches Wesen" konstruierte mit anti-kirchlicher wie anti-regionalistischer Stoßrichtung, für die Kastilien das Zentrum einer "einheitlichen Nation" geworden sei.

 

Geistige Ursprünge der Menschenkette

FREIBURG. Als sechs Studenten im September 1772 einen Eichenbaum umtanzten und einen Freundschaftsbund gründeten, der in unsere Literaturgeschichte als "Göttinger Hain" einging, da seien bereits wesentliche Motive präsent gewesen, die die deutsche Kulturgeschichte bis in die Gegenwart hinein geprägt haben: Nachtszene, Studentenbund, Menschenkette, germanische Eiche, Ehrfurcht vor dem Erhabenen und neuheidnischer Zauber. Bei all dem fehlte eigentlich nur eine gehörige Portion Patriotismus, den aber habe einer der Tänzer, Johann Heinrich Voss, 1795 mit seinem Idyll "Luise" reichlich nachgeliefert, wie Justin Stagl meint (Saeculum, 1/06). Denn diese Dichtung des Homer-Übersetzers lasse sich nur als "patriotische Tugendlehre" angemessen verstehen. Der Patriot des 18. Jahrhunderts sei in dieser Konzeption eine Verkörperung des "gnadenlos Guten" gewesen, der andere als die eigenen Moralvorstellungen überhaupt nicht erst in Betracht zu ziehen bereit gewesen sei. In einer Schlüsselszene, in der Luise von ihrem Vater, einem Landpfarrer, "unprogrammgemäß" getraut wird, sei bereits alles enthalten, was den neuprotestantisch infiltrierten Diskurs der Berliner Republik kennzeichne. Dieser Pastor aus der Voss'schen "Luise" könne somit als der "Ururgroßvater all der heutigen Pfarrer" bezeichnet werden, "die die Revolution, den Atheismus, die Esoterik oder ein allgemeines Gutmenschentum predigen". Folglich führe "von hainbündlerischer Empfindsamkeit" eine "gerade Straße zur neueren deutschen Befindlichkeit".

 

Erste Sätze

Wo ihr uraltes Lied murmelnd die Memel singt, wo an ihren Bruchwaldufern hoch der Götterberg Robinus sich erhebt, da pulst das Herz vom Gau Schalauen.

Erna Obgartel-Alisch: Und über allem ist Laima. Zwei ostpreußische Erzählungen, Radolfszell, 1930


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