© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 40/06 29. September 2006

Staatseingriff in den Wettbewerb
Handel: Nicht der Verkauf unter Einstandspreis verdrängt Kleine, sondern die geänderten Kundenwünsche
Klaus Peter Krause

Erneut Gammelfleisch gefunden!" hieß es letzte Woche aus Thüringen, der Ende August in Bayern aufgedeckte Lebensmittelskandal scheint kein Ende zu nehmen. Die Politik hat deshalb wieder einmal hektisch reagiert und schon am 15. September ein Gesetz gegen "Preisdumping" in der Fleischindustrie auf den Weg gebracht - um damit den Verkauf von Waren unter ihrem Einstandspreis zu unterbinden.

Doch das Thema ist nicht neu. Nur diesmal hat verdorbenes Döner-Fleisch die deutschen Verbraucherschutzminister dazu veranlaßt, mit einem 13-Punkte-Plan auf diesen Skandal zu reagieren. Darin fordern sie unter anderem auch, "Dumping-Preise zu verbieten, die dem Wert der Produkte nicht gerecht werden". Aber der Betrug mit dem Fleischverkauf weit nach dem Haltbarkeitsverfalldatum verstößt nicht gegen etwaige Preis-, sondern gegen zwingende Qualitätsvorschriften. Es geht also nicht um mangelnde (und ohnehin ungerechtfertigte) staatliche Preiskontrolle, sondern um (wahrscheinlich) mangelhafte Qualitätskontrolle.

Doch ob Anlaß oder nicht - Tatsache ist, daß Union und SPD in ihrem Vertrag zur Großen Koalition vor einem Jahr vereinbart haben, die Vorschrift über Angebote unter dem Einstandspreis zu konkretisieren und auf diese Weise strenger zu fassen. Geadelt ist das Vorhaben damit gleichwohl nicht. Umstritten nämlich war die Vorschrift schon immer und ist es noch. Zu finden ist sie im Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB, Paragraph 20, Absatz 4).

Danach dürfen Unternehmen mit "überlegener Marktmacht" diese Macht gegenüber kleinen und mittleren Wettbewerbern nicht dazu ausnutzen, sie unmittelbar oder mittelbar "unbillig zu behindern". Eine solche Behinderung liegt nach Gesetzgeberansicht besonders dann vor, wenn marktmächtige Unternehmen ihre Waren öfter als nur gelegentlich unter dem Einstandspreis anbieten, es sei denn, dies sei sachlich gerechtfertigt. Und im Absatz 5 wird solchen Unternehmen (als Beweislastumkehr) auferlegt, daß sie den Anschein, sie könnten im konkreten Fall ihre Marktmacht ausgenutzt haben, widerlegen müssen.

Wann aber ergibt sich der "Anschein"? Er ergibt sich "aufgrund bestimmter Tatsachen nach allgemeiner Erfahrung". Das ist vage, bietet aber auch einen (seinerzeit durchaus beabsichtigten) Interpretationsspielraum. Der nämlich ist nötig, um nicht ungewollt ein Preisverhalten zu untersagen, das nur vermeintlich den Wettbewerb behindert, tatsächlich aber das Gegenteil von wettbewerbswidrig ist.

Ebendiesen Spielraum will die staatsgläubige Große Koalition nun einengen, wenn nicht sogar ganz abschaffen. Dabei geht es vor allem (und eigentlich nur) um den Lebensmitteleinzelhandel, wo der Wettbewerb um die Verbraucher und Marktanteile besonders heftig ausfällt. Zwar ist es hier großen Supermarkt-ketten durchaus möglich, mit ständigen Lockvogelangeboten durch systematischen Verkauf unter Einstandspreis ihren Marktanteil zu vergrößern und kleinere Konkurrenten mit der Zeit aus dem Markt zu drängen. Aber selbst wenn eine solche Entwicklung bis heute stattfindet, hat dies nur sehr begrenzt mit billigen Sonderangeboten zu tun.

Der eigentliche Grund für das Verdrängen von Kleineren durch Große ist, daß die Großen meistens einfach mehr bieten: eine beeindruckende Fülle von Angebot und Qualität, die Möglichkeit, den Bedarf an Lebensmitteln in einem einzigen Geschäft zu decken, die dadurch mögliche Zeit- und Fahrkostenersparnis, die Gestaltung des Großraums und des Einkaufs als Erlebnis sowie den Komfort, mit dem Auto vorzufahren und es dort zu parken zu können. Mit den gleichen Anreizen haben sich auch Großmärkte für Möbel, Baumaterial oder Elektroartikel durchgesetzt. Daß der Weg meist weiter - und teurer - ist, daß man dort oft nur mit dem Auto hinkommt statt zu Fuß oder mit dem Rad, daß der Einkauf vielleicht als unpersönlicher empfunden wird, dies alles nehmen die Verbraucher in freier Entscheidung dafür in Kauf.

Da also die Großen und Super-Gro-ßen auf die Verbraucher eine so starke Anziehungskraft haben, sehen diese in ihnen doch ganz offensichtlich die besseren Anbieter. Man mag es zu Recht bedauern, daß damit weiterhin kleinere Märkte und liebenswerte Innenstadtgeschäfte verschwinden, wie auch so viele schöne Tante-Emma-Läden schon verschwunden sind. Aber die meisten Verbraucher bedauern es augenscheinlich nicht, sonst hätten sie den Kleineren doch die Treue gehalten.

In vielen Fällen gelten Verkäufe unter Einstandspreis wettbewerbspolitisch und wettbewerbsrechtlich ohnehin als legitim: bei Neueröffnungen, Neueinführungen, bei Ausverkäufen, Räumungsverkäufen, bei Modewechsel, drohendem Verderb, technisch veralteten oder beschädigten Waren, bei Liquiditätsschwierigkeiten, für soziale Zwecke oder bei Saisonartikeln wie den gern zitierten Osterhasen und Weihnachtsmännern aus Schokolade.

Bundesverbraucherminister Horst Seehofer (CSU) will solche Ausnahmefälle in der Neufassung begrenzt und dann konkret benannt sehen, unter welchen Umständen sie als sachlich gerechtfertigt gelten. Sein für die GWB-Novellierung zuständiger Parteifreund, Bundeswirtschaftsminister Michael Glos, möchte für eine sachliche Rechtfertigung auch wieder eine allgemeine Auffangklausel durchsetzen.

Ein Kompromißentwurf zwischen beiden sieht - aber nur für Lebensmittel - vor, daß solche Verkäufe dann sachlich gerechtfertigt sind, wenn sich Verderb oder drohende sonstige Unverkäuflichkeit durch rechtzeitigen Verkauf verhindern lassen oder wenn die Lebensmittel an gemeinnützige Einrichtungen abgegeben werden. Ferner sollen solche Lebensmittel - das ist neu - auch noch "entsprechend ausgezeichnet" sein. Das wirkt wie eine Brandmarkung, ist daher verfehlt und ohnehin überflüssig.

Der Unterschied zwischen geltender und geplanter Regelung läßt sich kurz so kennzeichnen: Künftig soll der Verkauf unter Einstandspreis nur ausnahmsweise zulässig sein, während er nach bisheriger Bestimmung und Rechtsprechung nur ausnahmsweise unzulässig ist. Der marktwirtschaftliche Grundsatz muß sein: Dem Staat steht Preiskontrolle nicht zu; höhere Preise zu erzwingen, ist nicht seine Aufgabe. Besser also man läßt von einer Neufassung überhaupt die Finger.

Foto: Supermarktregal mit abgepacktem Billigfleisch: Liebenswerte Innenstadtgeschäfte verschwinden


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