© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 40/06 29. September 2006

UMWELT
Tödlicher Verkehr
Volker Kempf

Fast alle beklagen einen Geburtenschwund der Deutschen. Kein Buch über Familie und Weiblichkeit, in dem nicht entsprechende Klagen angestimmt werden. Seltsam ruhig ist es dagegen mit Blick auf die vielen tausend Verkehrstote jedes Jahr. Dabei kommen noch Verletzte in der Größenordnung der Einwohner einer Großstadt hinzu. Schlimmer noch, die Überlebenden, das heißt beteiligte Verkehrsteilnehmer und Angehörige, haben unter psychischen Folgen zu leiden. Hat eigentlich einmal jemand den Gesamtschaden ausgerechnet, den der Straßenverkehr für die Menschen verursacht? Zahlen sind leicht überflogen, Kreuze an Straßengräben schnell passiert. Ungewöhnlich ist es da schon, wenn die Badische Zeitung am 20. September ausführlich über ein Zusammentreffen zweier Menschen im Straßenverkehr mit einer Todesfolge berichtet - genauer gesagt ein Jahr später über die Hinterbliebenen und denjenigen, der einen Fahrradfahrer auf dem Gewissen hat.

Ansonsten werden die Folgen des Straßenverkehrs hingenommen wie Ernteausfälle, die in früheren Zeiten Krankheit und Tod bedeuteten. Haben wir uns in unserer selbstgemachten Welt psychisch so eingerichtet wie frühere Völker in der Natur? Oder weshalb sind Verkehrsopfer öffentlich kaum mehr als eine "Zahl des Tages" wert, während in anderen Zusammenhängen jeder einzelne Verlust etwa von Soldaten aufgegriffen wird? Im ersten Fall herrscht die Einstellung "Da kann man nichts ändern", im anderen Fall geht es um abstellbare Risiken. Man könnte das die Zwei-Klassen-Gesellschaft der Toten nennen. Jedes Opfer verdient es, bedacht und gewürdigt zu werden. Das geht bei 5.000 Toten schlecht, aber ein Fall kann für viele stehen.


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