© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 40/06 29. September 2006

Pankraz,
Duns Scotus und der Wille zum Glauben

Wenn der Knüppel regiert, interessiert sich niemand mehr für Degenkämpfe. Bei Lektüre der historischen Vorlesung, die der Papst während seines Deutschlandbesuchs an der Universität Regensburg gehalten hat, sehen alle (wegen der muslimischen Empörung) nur noch die Stelle mit dem Zitat des byzantinischen Kaisers Manuel, der sich einst uncharmant über den Propheten Mohammed äußerte. Daß sich Benedikt XVI. gleich anschließend einer berühmten innerchristlichen Auseinandersetzung zuwendet und dabei - im Gegensatz zu seiner Kommentierung des Manuel-Zitats - überraschend einseitig Stellung bezieht, wird glatt überlesen.

Dabei handelt es sich um keine Kleinigkeit. Es geht um die Frage, ob Gott "vernünftig" ist nach Maßgabe dessen, was wir Menschen normalerweise für vernünftig, nämlich für logisch und mathematisch vorausberechenbar, halten. Thomas von Aquin, der führende Scholastiker des Hochmittelalters, hatte dergleichen postuliert, und Benedikt XVI. schließt sich dem vorbehaltlos an, indem er im selben Atemzug den großen Widersacher des Thomas in dieser Frage, Duns Scotus, kritisch beim Namen nennt und ihn in den intellektuellen Orkus verweist.

Duns Scotus (1270-1308) war aber nicht irgendwer. Er wurde an allen europäischen Universitäten als "doctor subtilis", der scharfsinnige Doktor, hoch verehrt (während man für Thomas von Aquin nur den etwas nichtssagenden Titel "doctor angelicus", der engelgleiche Doktor, bereithielt). Und als "doctor subtilis" fragte Duns also, woher denn Thomas und andere Scholastiker so genau wüßten, daß Gott ein Logiker sei und nicht anders als logisch denken könne. Das sei doch pure Einbildung, womöglich sogar schlimme Ketzerei, von Aristoteles und seinem arabischen Übersetzer Averroes blindlings übernommen.

Das einzig Sichere, sagt Duns, sei, daß Gott einen gewaltigen Willen habe. Gott sei ein Täter und kein Nachdenker. Die Welt sei das Produkt seines Willens, Sein Wille sei an keinerlei vorgegebene Regeln oder gar Vorschriften gebunden, er sei das "movens per se", der absolute Beweger, und entsprechend dieser fundamentalen Einsicht habe sich der gläubige Christ zu verhalten.

Er habe sich klarzumachen, daß nicht der Verstand ein gutes und gottgefälliges Leben ermögliche, sondern einzig der Wille. Die Wahrnehmungen umgeben uns in unserem Leben wie ein diffuses Gemurmel, wie eine verworrene Schattenwelt, in die erst dann Klarheit kommt, wenn sich der Wille ganz präzis einem bestimmten Schatten zuwendet. Ernst Bloch hat dafür das schöne moderne Bild gefunden: Der Wille bläst in die Wahrnehmungen hinein wie ein Sauerstoffgebläse, und die Wahrnehmungen, auf die dieses Gebläse, dieser Luftstrom, sich wirft, glühen auf, werden hell, treten plastisch hervor.

Je stärker sich der Wille den Vorstellungen zuwendet, um so heller glühen sie. Und erst wenn die Dinge vom Willen so recht zum Glühen gebracht worden sind, kann der Verstand an die Arbeit des Logifizierens und Moralisierens, des Sezierens, Analysierens und Einordnens gehen. Schiebt der Wille sein Gebläse aber von dem glühenden Gegenstand wieder weg und einem anderen zu, so nützt dem Verstand alles Einordnen nicht mehr. Die kalt gewordene Vorstellung wird wieder zum Schatten in der großen Nebelsuppe der natürlichen Wahrnehmungswelt. Allein der Wille, das Interesse, wie Duns auch einmal sagt, macht eine Vorstellung für uns "interessant".

Erst das Interesse bringt uns dazu, eine Sache, und sei sie die höchste und wichtigste, mit Ernst und Leidenschaft zu betreiben. Wer kein wirkliches Interesse an Gott hat, der kann mit seinem Verstand noch so prunken, kann mit ihm noch so viele Räder anwerfen - kein Aas kümmert sich um ihn, eben weil er versäumt hat, Interesse zu wecken. Wenn beim einzelnen oder in der Gesellschaft das Interesse für eine Sache fehlt, dann bleibt sie eben liegen, mag der Verstand noch so oft nachweisen, daß sie "eigentlich" gelöst werden müßte, daß es zum Beispiel gelte, moralische Werte einzuhalten und durchzusetzen.

Auch moralische Werte, sagt Duns Scotus (und sagt fast noch lauter sein nicht weniger berühmter Schüler William von Occam, der "doctor invincibilis", der unbesiegbare Doktor der Scholastik), gehorchen dem Interesse. Auch sie sind reine Willensakte. Sie haben einen Gesetz-"Geber", und der oberste, in seinem Willen völlig freie Gesetzgeber ist wiederum Gott. Die Gesetze des moralischen Minimums, die Gebote des Dekalogs, Du sollst nicht töten, Du sollst nicht stehlen usw. hätten nach Gottes Willen durchaus anders ausfallen können. Sie sind, sagen Duns und William, nur dadurch sittlich, daß sie von Gott bestimmt wurden.

Was folgt daraus? Nicht das Zitieren irgendeines Kaisers Manuel war der entscheidende Lapsus in der Regensburger Vorlesung des Papstes, sondern die explizite Verteufelung von Duns Scotus und William von Occam. Mit ihr bewies das römische Oberhaupt eine merkwürdige Weltferne, gerade auch im Zusammenhang mit der Auseinandersetzung mit dem Islam. Denn das Schicksal der großen Weltreligionen entscheidet sich primär nicht daran, wie jede von ihnen die Frage nach der "Vernunft" Gottes beantwortet, sondern daran, ob sie in der Schar der Glauben Suchenden spontanes Interesse weckt, ob sie den Glühstab der Leidenschaft und des Lebensernstes dauerhaft auf sich zu richten vermag.

Der vorige Papst, Johannes Paul II., wurde manchmal wegen seiner "Naivität" und wegen seiner populären Gesten belächelt. Den jetzigen umweht, trotz mancher gegenteiliger Bemühungen in jüngster Zeit, eine Aura abgeklärter Intellektualität und diskursiver Silbenstecherei. Das ist in der gegenwärtigen geistespolitischen Situa-tion nicht ohne Gefahren. In erster Linie müssen im Westen der Wille zum Glauben und das Interesse für ihn (wieder-)erweckt werden. Sonst tanzt man nur unter kalten Schatten.


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