© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 40/06 29. September 2006

Der Ärger mit dem vierten K
Mogelpackungen und Scheindebatten: Frauen und Familien als Opfer des Staatsversagens
Mina Buts

Mit ihrem Buch "Das Eva-Prinzip" hat die ehemalige Tagesschau-Sprecherin Eva Herman in ein Wespennest gestochen: Sie, die für ihre Karriere auf Kinder verzichtet habe, würde rückblickend alles ganz anders machen, würde mit nur einem Ehemann gemeinsam fünf Kinder haben wollen und ganz in der Rolle der Hausfrau und Mutter aufgehen. Die Einsicht kommt spät, und es bleibt die Frage nach der Motivation für ein solches Werk. Ist es die Verzweiflung, die übrigens auch viele Ältere verspüren, die selbst noch Kinder hatten, über die ausbleibenden Enkel, die Frage, was von einem selbst übrigbleibt, oder ist es wirklich eine späte Reue, unter den gangbaren Lebenswegen vielleicht doch den falschen ausgewählt zu haben?

Die Gleichberechtigung der Frau wird in keinem europäischen Land noch immer so heftig diskutiert wie in Deutschland, gleichzeitig ist die Vereinbarkeit von Kindern und Berufstätigkeit hier immer noch so wenig zufriedenstellend gelöst.

Bis zum Beginn der Ära Adenauer konnten deutsche Frauen glauben, ihre Gleichberechtigung mit den Männern sei auf einem guten Weg. Schulbildung war eine Selbstverständlichkeit geworden, ebenso Berufsausbildung und sogar das Universitätsstudium. Trotz einiger Einschränkungen war die Berufstätigkeit der Frauen möglich, in den Jahren der Kriege und des Wiederaufbaus sogar eine zwingende Notwendigkeit. Dann setzte sich die Auffassung durch, Frauen hätten nichts in der Welt der Berufstätigen oder gar der Politik zu suchen, sie sollten sich auf ihre drei Ks besinnen: Kinder, Küche, Kirche. Die Frauen der Bundesrepublik richteten sich in der Beschränkung ihres Lebensentwurfes ein. Noch 1965 hielten beinahe 80 Prozent aller Frauen den Beruf der Hausfrau für die schönste und vielseitigste Lebensaufgabe.

Erst im Gefolge der Studentenrevolte erwachte die Frauenbewegung ein zweites Mal. Diesmal allerdings ging es um ganz andere Themen: Abtreibung, sexuelle Befreiung, antiautoritäre Erziehung. Der Pillenknick setzte ein, und es zeigte sich, daß Adenauer mit seinem Ausspruch "Kinder kriegen die Leute immer" unrecht gehabt hatte. Plötzlich fingen die Frauen an, sich selbst zu verwirklichen - durch Berufstätigkeit und Gebärstreik.

Heute rächt sich, daß die Zeichen der Zeit damals nicht erkannt wurden. Heute wollen gutausgebildete Frauen durchaus trotz eigener Kinder berufstätig sein und Karriere machen - und sei es nur als Tagesschau-Sprecherin. Weniger gut ausgebildete Frauen müssen häufig berufstätig sein, da ihr Einkommen für die Familie zwingend erforderlich ist.

Während es in nahezu allen europäischen Ländern vorbildliche und bezahlbare Möglichkeiten gibt, selbst kleinste Kinder betreuen zu lassen, stellt sich in Deutschland noch immer die Frage: Wohin mit den Kindern?

Zwar kann durch die drastisch sinkende Geburtenrate mittlerweile der schon seit Jahren bestehende Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz für Kinder ab dem Alter von drei Jahren auch eingehalten werden. Je nach Bundesland und Betreuungszeit sind jedoch die Kindergartengebühren horrend hoch. Hinzu kommt, daß der Staat aus Kostengründen bei der Betreuung der Drei- bis Sechsjährigen auf dem Rückzug ist. Diese überläßt er lieber den Kirchen oder gar privaten Initiaten. Die dadurch entstehenden Mehrkosten werden den Eltern aufgebürdet.

Ganz schwierig wird es bei der Betreuung von Kindern unter drei Jahren. Dank der kinderreichen Familienministerin Ursula von der Leyen wurde die Zeit des bezahlten Erziehungsurlaubs von zwei auf ein Jahr verkürzt. Freuen können sich künftig all jene Frauen, die berufstätig sind, zwischendurch ein Kind bekommen und sofort in den Job zurückkehren. Das Nachsehen haben aber alle jene, die man von einer konservativen Ministerin gestärkt sehen wollte: Frauen, die mehr als ein Kind haben wollen und die Hege und Pflege für ihre Kinder selber in die Hand nehmen möchten.

Wer nun nach einem Jahr - falls sich der Ehegatte beurlauben lassen kann, sogar erst nach 14 Monaten - nach einer Kinderbetreuung sucht, steht vor dem Dilemma, daß es nach wie vor kaum Betreuungsplätze für Kinder unter drei Jahren gibt. Die großzügig eingeräumte steuerliche Absetzbarkeit von Tagesmüttern ist bei näherem Hinsehen eine Mogelpackung. Jede Tagesmutter, die steuerlich geltend gemacht wird, muß ihr Einkommen natürlich auch versteuern und sich gleichzeitig selber krankenversichern. Von dem ohnehin mageren Stundenlohn von vier bis fünf Euro bleibt dann nicht mehr viel übrig. Und wer möchte sich allen Ernstes für weniger als ein Taschengeld eine so verantwortungsvolle Aufgabe wie die Erziehung eines Kleinkindes aufbürden?

Es wäre wünschenswert, Frauen heute nicht auf Teufel komm raus in die Berufstätigkeit zu drängen, sondern ihnen die Wahlfreiheit zwischen Familie und Beruf einzuräumen. Diese Entscheidung können Frauen aber nur dann wirklich frei treffen, wenn sie finanziell nicht unter Druck stehen und ihre Arbeit in der Familie endlich eine entsprechende Anerkennung findet. Doch das Gegenteil ist heute der Fall: In der Zeit der Großen Koalition werden die Daumenschrauben für Familien immer weiter angezogen. Bei der Erziehung und Bildung ihrer Kinder werden sie zunehmend entmündigt.

Das beginnt bei der "Bildungspartnerschaft" zwischen Elternhaus und Kindergarten und den Überlegungen, das dritte Kindergartenjahr für alle verpflichtend zu machen. Anschließend werden auf dem Rücken der Kinder Bildungsexperimente abenteuerlichster Art ausgetragen, Lehrinhalte sind so oft für Eltern undurchschaubar. Eltern werden bei der Einführung von - noch - offenen Ganztagsgrundschulen nicht befragt, müssen aber hinnehmen, daß die bisherigen vorbildlichen, weil privat organisierten Betreuungsangebote plötzlich von doppelt so vielen Kindern wahrgenommen werden - während gleichzeitig das pädagogische Fachpersonal halbiert wird. Nach dem Willen einiger Bundesländer sollen die Eltern künftig nicht einmal mehr ein Mitspracherecht bei der Auswahl der weiterführenden Schule haben.

Gleichzeitig wachsen die finanziellen Belastungen für Familien in unverfrorener Weise. Immer schlechter ausgestattete Kindergärten erheben immer höhere Gebühren, die Lehrmittelfreiheit an den Schulen wird Stück für Stück ausgehöhlt und aufgehoben, der Zustand der Schulen ist so schlecht, daß man nicht ohne Sachspenden wie Papier und Seife auskommt, und schließlich werden auch noch Studiengebühren eingeführt, ohne daß die Ausstattung der Universitäten dadurch wirklich besser würde.

Es ist gut nachvollziehbar, daß Frauen, vor die Wahl Kinder oder Karriere gestellt, sich für letzteres entscheiden - auch wenn viele von ihnen dieses, so wie Eva Herman, später bereuen.

Foto: Zwischen Kind und Karriere: Die Gleichberechtigung der Frau wird nirgends in Europa noch immer so heftig diskutiert wie in Deutschland


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