© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 41/06 06. Oktober 2006

Nach dem Blitzlichtgewitter
Integration: Nach der medienwirksamen Auftaktveranstaltung zur Islamkonferenz beginnt die Detailarbeit / Arbeitsgruppen gebildet
Christian Vollradt

Unter Beschwörung der Tradition "preußischer Toleranz" und der Betonung, der Islam sei "ein Teil unseres Landes", eröffnete Innenminster Wolfgang Schäuble (CDU) in der vergangenen Woche die deutsche "Islamkonferenz" im Charlottenburger Schloß. Fünfzehn Vertretern des Bundes, der Länder und Gemeinden saß dieselbe Anzahl von Muslimen gegenüber, die als Funktionäre ihrer jeweiligen Interessenverbände oder als namhafte Einzelpersonen zum Dialog geladen waren.

Die eintägige Veranstaltung soll den Auftakt bilden zu einem andauernden Austausch von Meinungen und zur Lösung von Problemen, die im wesentlichen die (fehlende) Integration großer Teile der islamischen Zuwanderer oder ihrer Nachkommen mit sich gebracht hat. Fortan soll in Arbeitsgruppen zu bestimmten Schwerpunktthemen dezentral getagt werden; der Beginn dieses Dialogs wurde jedoch schon von allen Teilnehmern als großer Erfolg bewertet; auch wenn vieles noch strittig sei, wurde die Zusammenkunft als vertrauensbildende Maßnahme zum Abbau beiderseitiger Vorurteile begrüßt.

Auf der Tagesordnung stehen unter anderem Themen wie Moscheebau, islamischer Religionsunterricht, Imam-Ausbildung in Deutschland sowie die gesellschaftliche Streuung muslimischer Frauen bis hin zur Frage der Teilnahme junger Mohammedanerinnen am Schwimmunterricht in der Schule.

Zu den Organisationen, die in Berlin repräsentiert waren, gehörten unter anderem der Islamrat (IR), der Zentralrat der Muslime in Deutschland (Z MD), der Verband der islamischen Kulturzentren (VIKZ) sowie die Türkisch-islamische Union der Anstalt für Religion (Ditib).

Bei letzterer handelt es sich streng genommen weniger um eine religiöse als vielmehr um eine staatliche - türkische - Organisation. 1982 in Berlin gegründet, vertritt die in Köln ansässige Ditib etwa 100.000 Mitglieder und gilt als größte türkische Interessenvertretung in Deutschland. Offiziell folgt sie dem in der Türkei vorherrschenden laizistischen Islam, die von ihr betrauten Imame werden in der Türkei ausgebildet und vom türkischen Staat bezahlt. Die Organisation stand wegen ihres säkularen Auftretens lange Zeit abseits des von deutscher Seite betriebenen Dialogs, was sich mit den verstärkten Bemühungen der Türkei um Aufnahme in die Europäische Union zusehends änderte.

Mit seinen etwa 25.000 Mitgliedern gilt der VIKZ als zweitstärkste Vertretung des türkischen Islam in Deutschland. Der nach außen betont tolerant auftretende Verband vertritt jedoch im Gegensatz zur Ditib eine orthodoxe Auffassung vom islamischen Recht (shari'a) und soll - intern - westliche Staats- und Verfassungsformen ablehnen, so der Vorwurf seiner Kritiker.

Der 1986 gegründete Islamrat ist stark von der islamistischen Milli Görüs (IGMG) bestimmt, die wiederum einen Ableger der mittlerweile in der Türkei verbotenen Wohlfahrtspartei darstellt. Die IGMG wird von deutschen Verfassungsschutzbehörden als gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung der Bundesrepublik gerichtet eingeordnet und daher nachrichtendienstlich beobachtet. Der in Berlin teilnehmende IR-Vorsitzende Ali Kizilkaya war zuvor IGMG-Generalsekretär; allen Unterwanderungsvorwürfen hält er entgegen, der Islamrat halte sich selbstverständlich an alle Regeln des Grundgesetzes. Der IR (140.000 Mitglieder) strebt die Anerkennung als Körperschaft öffentlichen Rechts an, um Einfluß auf die Erteilung islamischen Religionsunterrichts an Schulen nehmen zu können.

In Konkurrenz dazu bildete sich 1994 der ZMD, der dem IR die Rolle als islamische Spitzenorganisation und zentraler Ansprechpartner für die Belange der Muslime streitig macht. Der ZMD zählt etwa 20.000 hauptsächlich arabischstämmige Mitglieder, seit diesem Jahr steht ihm der deutsche Konvertit Axel Köhler vor. Hauptkritikpunkt am ZMD ist seine offizielle Ablehnung der Gleichberechtigung von Mann und Frau. Außerdem sieht sich die Organisation immer wieder dem Vorwurf ausgesetzt, Kontakte zur radikalen ägyptischen Muslimbruderschaft zu unterhalten.

Obwohl es zwischen diesen Organisationen Dissonanzen und Rivalitäten gibt, eint sie innerhalb der Islamkonferenz die Ablehnung der Mehrzahl der als Einzelpersonen auf "muslimischer" Seite Teilnehmenden. Denn diese seien, so der gegen die Auswahlkriterien des Innenministeriums gerichtete Vorwurf, sämtlich Kritiker des traditionellen, von der Mehrheit der hier lebenden Muslime praktizierten Islam und somit nicht der richtige Partner auf einer Islamkonferenz.

Zu dem Personenkreis jenseits islamischer Verbände gehören unter anderem der Schriftsteller Feridun Zaimoglu (der sich 1995 mit seinem Buch "Kanak-Sprak" den sprachlichen Eigenheiten von Einwanderern widmete), der Grünen-Abgeordnete Omid Nouripour, der iranischstämmige Orientalist Navid Kermani und der Medienproduzent Walid Nakschbandi.

In der Kritik der Islam-Funktionäre stehen jedoch vor allem die Berliner Rechtsanwältin Seyran Ates und die Autorin Necla Kelek, die sich für die Rechte der muslimischen Frauen einsetzen.

Am Verhandlungstisch vertreten ist auch die Alevitische Gemeinde, wobei völlig unklar ist, inwieweit diese Glaubensgemeinschaft, die nach den Sunniten die zweitgrößte Konfessionsgruppe in der Türkei darstellt, überhaupt wirklich islamisch genannt werden kann. Denn in dieser ursprünglich von den Schiiten abgespaltenen Sekte sind islamische Glaubensinhalte stark von gnostischen und heidnischen Strömungen überlagert.

Alevitische Vorstellungen von einer Seelenwanderung erscheinen strenggläubigen Muslimen genauso "unislamisch" wie der für nicht wesentlich gehaltene Moscheebesuch, die verkürzte Fastenzeit, das Nichtpraktizieren ritueller Waschungen oder die Vermeidung eines Alkoholverbots.

Generell werden die Aleviten gerne als beispielhaft für das Funktionieren eines europäisierten, sprich säkularisierten, Islam angeführt, der mit westlichen Werten und westlicher Lebensweise kompatibel und daher integrierbar sei; personifiziert wird dies hierzulande unter anderem durch den türkischstämmigen Politiker Cem Özdemir (Grüne), der Alevit ist. Vernachlässigt wird dabei der Minderheitsstatus dieser Glaubensgemeinschaft, die außer in der Türkei in nahezu allen islamischen Staaten aufgrund ihrer abweichenden Auffassungen starken Verfolgungen ausgesetzt ist.

Foto: Auftaktveranstaltung der Islamkonferenz im Berliner Schloß Charlottenburg: Beschwörung der "preußischen Toleranz"


Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen