© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 41/06 06. Oktober 2006

Das Erweiterungskarussell dreht sich weiter
EU-Politik: Trotz Bedenken sollen Rumänien und Bulgarien schon 2007 beitreten / Das wirtschaftsstärkere Kroatien muß wohl bis nach 2009 warten
Michael Paulwitz

Zum 1. Januar 2007 sollen Bulgarien und Rumänien als Nummer 26 und 27 der EU beitreten. Gegen die schweren Bedenken, die selbst von den Brüsseler Eurokraten geteilt werden, hat die EU-Kommission Sofia und Bukarest strenge Auflagen und die Drohung mit weitreichenden Einschränkungen ihrer Mitgliedsrechte verordnet. Der Grundwiderspruch zwischen Erweiterung und Vertiefung und die Frage nach einer grundlegenden Reform der EU bleiben indessen unbeantwortet.

Nicht einmal die optimistisch gefärbten Fortschrittsberichte der EU-Kommission können es gänzlich leugnen: Die Latte, die vor dem Eintritt in die EU-Vollmitgliedschaft liegt, haben die beiden Balkan-Länder noch immer nicht übersprungen. Obwohl der aktuelle Kommissionsbericht zunächst allgemein "erhebliche Fortschritte" beider Länder seit dem im Mai 2006 vorgelegten letzten Report vermeldet, sind die Kritikpunkte dieselben geblieben.

Korruption und organisierte Kriminalität bereiten bei den Neuen die größten Sorgen. Bulgarien hat seine Mafia nach wie vor nicht im Griff; und käufliche Richter, Beamte und Funktionäre stehen dem angestrebten EU-Standard im Wege. Während man sich früher an Richtern rieb, die - in vornehmem Eurokratisch formuliert - unter "Interessenkonflikten" leiden, beginnt man gerade erst zu entdecken, daß das größte Problem die weitverbreitete Korruption in der Wirtschaft ist, mit der verschiedene EU-Staaten freilich seit langem schon glänzende Geschäfte machen.

Nicht nur im Justizwesen findet die EU-Kommission Anlaß zur Klage, sondern auch in der Innenpolitik, bei der Gewährleistung der korrekten Verteilung der - nach dem Beitritt nicht unbeträchtlichen - Agrarmittel, bei der Lebensmittelkontrolle und - im Falle Bulgariens - auch in puncto Flugsicherheit. Die durch enge Vertragsauflagen bereits gebundene EU-Kommission wählte gleichwohl nicht die Möglichkeit, den Beitritt beider Länder noch um ein Jahr zu vertagen, sondern genehmigte die Aufnahme der Neumitglieder unter dem Vorbehalt umfangreicher "Sicherungsklauseln", die de facto auf eine eingeschränkte Mitgliedschaft in wesentlichen Bereichen hinauslaufen. Das heißt: Zusammenarbeit und Stimmrechte werden in den betreffenden Bereichen drastisch beschnitten, Agrarsubventionen können gekürzt werden. Auch auf die volle Freizügigkeit für ihre Arbeitssuchenden werden beide Balkan-Beitrittskandidaten noch Jahre warten müssen.

Das könnte sich freilich, wie schon bei der letzten Erweiterungsrunde 2004, in erster Linie als Beruhigungspille für die besorgten Arbeitnehmer (und Wähler) der Alt-EU erweisen. Denn das Grundproblem wird durch Übergangsregelungen nicht aus der Welt geschafft: Das Wohlstandsgefälle in der EU würde durch die Aufnahme der beiden Länder, die schon 1949 bis 1991 in der "Ost-EWG" (dem sowjetisch dominierten Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe/RGW/Comecon) zu den ärmsten zählten, stärker als je zuvor verschärft.

"Die Partnerschaft mit den USA beflügeln"

Die Beitrittsentscheidung der EU-Kommission, die noch von den einzelnen Mitgliedstaaten gebilligt werden muß, ist daher klar eine politische Entscheidung, für die Brüssel allerdings Beifall vom anderen Ufer des Atlantiks erntete: "Amerika unterstützt den Beitritt von Bulgarien und Rumänien zur EU", erklärte der US-Botschafter bei der Europäischen Union, C. Boyden Gray. Von Washington aus gesehen verständlich, hat doch der rumänische Präsident Traian Băsescu im Focus verkündet, sein Land sehe eine Aufgabe seiner EU-Mitgliedschaft darin, "die Partnerschaft mit den USA zu beflügeln".

Wie Polen, könnten sich daher auch Rumänien und wohl auch Bulgarien quasi als "Trojanische Pferde" Washingtons in der EU-Festung erweisen. Kein Wunder also, daß Gray im gleichen Atemzug fortfährt, "auch eine Mitgliedschaft der Türkei wäre wichtig". Anders als das muslimisch geprägte 70-Millionen-Land gehören Rumänien und Bulgarien historisch, kulturell und geographisch unbestreitbar zu Europa - was Zweifeln an der derzeitigen EU-Reife aber nicht widerspricht.

Was die EU dringend braucht, ist dennoch nicht eine "Erweiterungspause", wie sie der Chef des außenpolitisches Ausschusses im EU-Parlament, Elmar Brok (CDU), gerne möchte. Es wäre absurd, wenn die nächste EU-Erweiterung von 2007 zur Folge hätte, daß dem im Herzen Mitteleuropas gelegenen katholischen Kroatien die Tür vor der Nase zugeschlagen würde. Jede neue Erweiterungsrunde, wie scheinheilig und willkürlich auch immer die argumentativen Winkelzüge erscheinen mögen, mit denen sie begründet wird, drängt unerbittlich auf die Auflösung des immanenten Widerspruchs zwischen Vertiefung und Erweiterung.

Will die EU mit demnächst 28 oder noch mehr Mitgliedern im 21. Jahrhundert Bestand haben, muß sie sich von einem zwischen wenigen westeuropäischen Staaten ausgehandelten Umverteilungsapparat zum europäischen Bund souveräner Nationalstaaten wandeln, der seine Hauptaufgabe nicht in der EU-subventionierten Herstellung einheitlicher Lebensverhältnisse sieht, sondern in der Koordination außen-, sicherheits- und handelspolitischer Positionen.

Der EU-"Monitoring-Bericht über den Stand der Beitrittsvorbereitungen Bulgariens und Rumäniens" findet sich im Internet unter: http://ec.europa.eu/enlargement/pdf/key_documents/2006/sept/report_bg_ro_2006_de.pdf


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