© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 41/06 06. Oktober 2006

Das Recht im Kampf gegen die Parteilichkeit
Karl Albrecht Schachtschneider hat mit seinem jüngsten juristischen Lehrbuch eine fulminante Verteidigung des Rechtsstaates vorgelegt
Julius Möllenbach

Der Nürnberger Staatsrechtslehrer Karl Albrecht Schachtschneider gehört zu denjenigen, die ihr Amt als Rechtslehrer mit einem bemerkenswerten Engagement für die Republik, die öffentlichen Dinge, ausüben. Seine vielfältigen Stellungnahmen etwa zum Maastricht-Vertrag oder zur Europäischen Grundrechtscharta sind Meilensteine klaren Rechtsdenkens. Schachtschneider bezieht gegen die immer vorhandenen oder immer drohenden Abweichungen der Realität von der verfassungsrechtlichen Norm auf entschiedene Weise Stellung. Er macht, unter emphatischer Berufung auf Kant, die Normativität der republikanischen Verfassung so stark, wie man sie nur machen kann, und entwickelt aus philosophisch tragfähigen und tief durchdachten Grundlagen die Prinzipien seiner Rechtslehre, die er andernorts, in seiner monumentalen Untersuchung (Res publica res populi. Grundlegung einer Allgemeinen Republiklehre, Berlin 1994), entfaltet hat.

Im vorliegenden Lehrbuch bietet er nun ein Grundlagenwissen über die zentralen "Prinzipien des Rechtsstaates" mit ständiger Beziehung auf die einschlägigen Gesetzestexte und Urteile des Bundesverfassungsgerichts. Schachtschneiders Buch, das sich zunächst einmal an die Studenten der Rechtswissenschaft wendet, ist indes auch für jeden interessierten Nicht-Juristen ein höchst nützliches Kompendium. Dient es doch zuallererst dazu, Grundlagen unserer Rechtsordnung zu vermitteln, die einen wesentlichen Teil unserer Kultur und unserer freiheitlichen Staatlichkeit ausmachen. Wenn der Bürger seiner Freiheit gemäß handeln will bzw. soll, so ist die Kenntnis dieser Rechtssätze von grundlegender Bedeutung. Denn "die Mißachtung der Prinzipien des Rechtsstaates verletzt die Menschen in ihrer Würde".

Schachtschneider reichert seine rechtswissenschaftlichen Darlegungen an vielen Stellen mit teils sehr prononcierten Wertungen und Einschätzungen an, die nicht der herrschenden Lehre unter den Juristen entsprechen, aber für ein kritisches politisches Denken stehen, das in Deutschland noch viel zu selten ist. Allein wegen dieser Stellen verdient das Buch zahlreiche Leser nicht nur unter Juristen. So vertritt er eine massive Kritik an der "führerschaftlichen pluralen Parteienoligarchie" in Deutschland, die schlicht republikwidrig sei. Die republikanische Gewaltenteilung werde in der Parteiendemokratie massiv unterlaufen. Zwar bestehe ein gewisses, nicht zu unterschätzendes Gegengewicht dazu im öffentlichen Dienst, mit den unabhängigen Beamten und Richtern. Doch fordert Schachtschneider, Richter dürften wegen ihrer Unparteilichkeit nicht Mitglied in einer politischen Partei sein, was auch für Beamten insgesamt gelte. Ein hohes berufliches Ethos dieser Gruppen sei von erheblicher Bedeutung für den Staat. Denn nur wenn man sich zum Beispiel der Unbestechlichkeit der Richter sicher sein könne, werde eine Republik Bestand haben.

Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sowie die Auswahl der Richter durch die Parteienoligarchie werden von Schachtschneider oft mit beißender Schärfe kritisiert. Er spricht von einer zunehmenden Gängelung der Richterschaft durch die Parteien. Doch gibt es wegen der doch recht unabhängigen Stellung der Richter, von denen manche nur aus Karrieregründen eine Parteimitgliedschaft in Kauf nehmen, auch Ausnahmen. Der juristische Erfolg der JUNGEN FREIHEIT gegen den nord-rhein-westfälischen Verfassungsschutz zeigt, daß die Lage nicht durchgängig so schlecht ist, wie man nach der Lektüre Schachtschneiders zu denken geneigt ist.

Man mag angesichts der unerbittlichen Radikalität der Logik Schachtschneiders gelegentlich den Eindruck gewinnen, seine Ausführungen ließen ein normativ überhöhtes und daher unrealistisches Politikverständnis erkennen. Dies wäre jedoch ein Trugschluß. Schachtschneiders republikanische Demokratiekonzeption ist nur nicht schon mit freien Wahlen allein zufrieden, denn mangels programmatischer Alternativen hätten die Bürger keine ausreichende Wahlmöglichkeiten. Dies galt auch in der Frage der Einführung des Euro, gegen die Schachtschneider vergeblich juristisch einzuschreiten versucht hatte.

Auch scheut er sich nicht, bestimmte Entscheidungen des Verfassungsgerichts, etwa in der Frage der Bodenkonfiskation 1945 bis 1949, als Fehlentscheidungen deutlich zu kritisieren. Das Recht ist für Schachtschneider schlechterdings unverzichtbar als Garant der Freiheit. Es dürfe nicht durch Verweis auf die Realität ignoriert werden. Wer die Verfassungsnorm zugunsten der Realität zurückstelle, rede den Mächtigen nach dem Munde. So sei die Tatsache, daß die Abgeordneten im entwickelten Parteienstaat des heutigen Deutschland "meist vollziehen, was die Parteiführer entschieden haben", statt ausschließlich ihrem Gewissen verpflichtet zu sein, der Grund, warum unsere Gesetze nicht ausreichend den republikanischen Prinzipien entsprechen.

Höchst scharfe Verdikte fällt Schachtschneider auch, wenn es um den Zustand der demokratischen Grundrechte geht. Man mag bedauern, daß der konzentriert geschriebene Lehrbuchtext kaum konkrete Beispiele zur Beweisführung anführt. Doch zum besonders heiklen Thema der Meinungsfreiheit sagt Schachtschneider: "Gegenwärtig wird eine gewisse political correctness mit großem Propagandaaufwand eingeübt, mittels derer der Wahrnehmung von Rechten, insbesondere des Menschen- und Grundrechts der freien Rede, die Legitimität streitig gemacht wird." Das Recht der freien Rede sei "in der Praxis weitgehend ruiniert"; doch sei juristisch klar, daß der Staat zwar informieren, sich aber nicht propagandistisch betätigen dürfe. Redefreiheit sei ein Menschenrecht, nicht aber ein Recht des Staates gegenüber seinen Bürgern. Auch die Medien kommen in Schachtschneiders Augen nicht gut weg, was die Erfüllung ihrer Aufgaben betrifft: "Das Defizit an Diskurs haben weitgehend die Medien zu verantworten, die die freie Rede durch Moralismus unterdrücken." Fast nebenbei und lapidar liest man schließlich bei Schachtschneider auch Positives über die nationale Homogenität, die lange Zeit tabuiert war: "Die Homogenität der Menschen sichert nach aller Erfahrung das gemeinsame Leben in Freiheit und damit den Frieden."

Schachtschneiders fundamentales Prinzip lautet: "Es gibt keine Freiheit ohne Recht, und es gibt kein Recht ohne Staat." Daß dies so ist, kann und muß gegen die drohende Aushöhlung des Rechtsstaates in Erinnerung gerufen werden. Schachtschneiders Lehrbuch ist eine Mahnung, die Rechtspraxis nicht verludern zu lassen und die Bürger in ihrer Freiheit, das heißt in ihrer Bürgerlichkeit, zu stärken. Denn die Republik ist vor allem die Sache der Bürger und nicht der Parteien.

Karl Albrecht Schachtschneider: Prinzipien des Rechtsstaates. Duncker & Humblot, Berlin 2006, broschiert, 445 Seiten, 48 Euro

Foto: Honoré Daumier, Auf- und Abstieg der Gerechtigkeit, Lithographie 1846: Vollziehen, was die Parteiführer entschieden haben


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