© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 42/06 13. Oktober 2006

"Eine Frage der Staatsräson"
Einwanderung: Die deutschen Innenminister streiten über ein dauerhaftes Bleiberecht für abgelehnte Asylbewerber / 180.000 Betroffene
Matthias Müller

Am Montag trafen sich in München die deutschen Innenminister, um über eine mögliche Änderung des Bleiberechts für geduldete Ausländer zu beraten. Das Treffen diente der Vorbereitung auf die für den 16. November von Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) angesetzte Innenministerkonferenz in Nürnberg, wo endgültig entschieden werden soll, wie mit Ausländern ohne dauerhafte Aufenthaltserlaubnis künftig verfahren werden soll.

Hintergrund sind die rund 180.000 Ausländer, die derzeit in Deutschland geduldet werden, etwa 120.000 von ihnen bereits seit mehr als fünf Jahren, rund 50.000 sogar seit über elf Jahren. Unter Duldung wird dabei eine zeitweilige Aussetzung der verhängten Abschiebung verstanden, die aus verschiedenen, zumeist humanitären Gründen erfolgen kann, beispielsweise dann, wenn die Behörde von einer fortwährenden "Traumatisierung" eines ehemaligen Bürgerkriegsflüchtlings ausgeht.

Bei der Konferenz soll es daher vor allem um solche Ausländer gehen, die mit Hilfe der sogenannten Kettenduldung mittlerweile ein de-facto-Bleiberecht in Deutschland erzwingen konnten, weil von einzelnen Behörden die ursprünglich temporär gewährten Aufenthaltsgenehmigungen stets um weitere drei Bleibemonate verlängert wurden. Vorwiegend handelt es sich dabei um Kosovaren, Roma und Bosnier, aber auch um Personen aus Serbien-Montenegro, der Türkei, Afghanistan oder dem Irak. Somit teilweise um Länder, von denen seit Jahren keine Verfolgung mehr ausgeht.

Dennoch wird es bei der anberaumten Konferenz gar nicht mehr um das Ob, sondern lediglich noch um das Ausmaß der angestrengten Bleiberechtsänderung zu gehen. Emsige Befürworter einer Änderung wie beispielsweise in den Ländern Berlin und Schleswig-Holstein haben in offensichtlich vorauseilendem Gehorsam bereits im Vorfeld der Konferenz einen Abschiebestopp für abgelehnte Asylanten verhängt.

Nachhaltig treten beide Länder auch für eine Änderung des Bleiberechts ein. So erklärte der schleswig-holsteinische Innenminister Ralf Stegner (SPD), daß er sich auf der Konferenz im November für eine großzügige und humanitäre Regelung einsetzen werde.

Ähnlich Töne waren vom Berliner Innensenator Ehrhart Körting (SPD) zu hören, der gegenüber Spiegel-Online erklärte: "Für mich ist entscheidend, Kindern eine Zukunftsperspektive zu geben, die bei uns geboren oder hier weitgehend sozialisiert wurden." Aber auch wer keine Kinder hat, solle von einer Neuregelung profitieren. Hessens Innenminister Volker Bouffier (CDU) warnte dagegen vor einem verfrühten Abschiebestopp, da dieser nur trügerische Erwartungen unter den in Deutschland lebenden Ausländern wecke.

Doch selbst er sprach sich für eine Änderung des Bleiberechts aus. Nach Bouffiers Einschätzung könne jedoch nur ein kleiner Teil der Geduldeten auf eine dauerhafte Legalisierung hoffen: "Wer ein geregeltes Einkommen hat, wer sich nichts zuschulden hat kommen lassen, wer über sechs oder sieben Jahre hier lebt, dem sollten wir ein Bleiberecht geben." Wer aber den Staat getäuscht habe, könne nicht davon profitieren, so der hessische Innenminister.

Weiter verteidigte er die Abschiebepraxis seiner hessischen Behörden: "In Hessen wird nicht unmenschlich abgeschoben." Daß dies auch Kinder treffe, sei im Einzelfall bitter; wer aber Kinder ausspare, veranlasse deren Eltern, alles zu tun, um die Ausreise zu verzögern. Deshalb teilten Kinder das Schicksal ihrer Eltern: "Das ist für mich eine Frage der Staatsräson."

Sein niedersächsischer Kollege Uwe Schünemann (CDU) erteilte den Forderungen nach einem Abschiebstopp ebenfalls eine klare Absage, weil nur unter ganz bestimmten Bedingungen langjährig geduldeten Asylbewerbern mit Kindern ein Bleiberecht verschafft werden dürfe. So müßten diese Familien ihren Lebensunterhalt durch dauerhafte Beschäftigung selbst bestreiten können. Zudem dürfen die Eltern nicht straffällig geworden sein oder den Staat hintergangen haben, sagte Schünemann. Darin stimmt er auch mit dem stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden der Union im Bundestag, Wolfgang Bosbach, überein. Für ihn ist entscheidend, daß keine Zuwanderung in die sozialen Sicherungssysteme stattfinde. Er schlägt einen Stichtag für das Bleiberecht vor: "Man muß vor dem 1. Juli 1999 eingereist sein."

Auch der SPD-Innenexperte Dieter Wiefelspütz spricht sich für einen Stichtag aus. Gegenüber der Welt nannte er als Eckpunkte für ein Bleiberecht einen bis zu sechsjährigen Aufenthalt in Deutschland, die Erfüllung der Schulpflicht, Deutschkenntnisse sowie die Fähigkeit, seinen Lebensunterhalt selbst zu verdienen.

Die Grünen wiederum wollen schon nach eineinhalb Jahren vom Duldungsstatus zum Bleiberecht übergehen. Entgegen dieser Forderung sollen bei der Konferenz nach dem Willen der Bundesregierung jedoch nur die "Altfälle" geregelt werden. Als einziger genereller Gegner einer Neuregelung trat bisher Bayerns Innenminister Günther Beckstein (CSU) in Erscheinung.

Sollten im November tatsächlich die Innenminister eine Liberalisierung des bisherigen Bleiberechts beschließen, wie sie sich derzeit abzeichnet, würde sich damit eine wesentliche Forderung der Flüchtlingslobby erfüllen. Ebenfalls ganz oben auf der Agenda steht seit Jahrzehnten eine bedingungslose Niederlassungsfreiheit von Ausländern in Deutschland - eine Forderung, die auch nach der wahrscheinlichen Änderung des Bleiberechts durch die Innenministerkonferenz weiter erhoben wird, bis auch diese eines Tages konsensfähig ist.

Die jüngste Äußerung von Bundes-innenminister Wolfgang Schäuble gegenüber der Passauer Neuen Presse wird solchen Bestrebungen sicher weiter Vorschub leisten: "Wir haben etwa 180.000 Menschen, die geduldet sind und nicht abgeschoben werden können. Da ist es doch besser, sie arbeiten zu lassen. Sonst fallen sie dem Sozialsystem zur Last", sagte der CDU-Politiker, der damit das Tor in Richtung genereller Niederlassungsfreiheit von Ausländern ein Stück weiter aufgestoßen hat.

Foto: Demonstration gegen die Abschiebung von Ausländern: Niederlassungsfreiheit gefordert


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